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nmz-archiv
nmz 2003/12 | Seite 40
52. Jahrgang | Dez./Jan.
Hochschule
Symbiose hausgemacht und schon bewährt
Gespräch mit dem Kulturmanager Werner Heinrichs, Rektor
der Stuttgarter Musikhochschule
Im Frühjahr 2002 besetzte die Stuttgarter Hochschule für
Musik und Darstellende Kunst ihr Rektorenamt mit einem Kulturmanager.
Dieser scheinbar ungewöhnliche Zusammenschluss von Musikmanagement
und künstlerischer Kompetenz ist in der Landschaft deutscher
Musikhochschulen bis heute einzigartig. Grund genug für die
nmz mit dem mittlerweile eingelebten Rektor über Chancen, Perspektiven
und Visionen dieser richtungsweisenden Konstellation zu sprechen.
nmz: Der Bau der neuen Musikhochschule steht inmitten der
Kulturmeile von Stuttgart. Sie sprachen bei Ihrer Antrittsvorlesung
von einer Brückenfunktion der Hochschule für das Kulturleben
der Stadt?
Werner Heinrichs
Heinrichs: Zunächst einmal ist dieser Standort wirklich
fantastisch. Direkt in der so genannten Kulturmeile mit der Oper
und dem Schauspiel, der Staatsgalerie, der Landesbibliothek und
der Musikbibliothek der Stadt liegt er günstiger, als man sich
denken kann. Brücken, von denen ich sprach, gibt es inzwischen
einige. Wir haben Veranstaltungen in der Staatsgalerie und dort
auch einen eigenen Flügel stehen. Wir arbeiten sehr eng mit
dem Staatstheater zusammen. Es gibt gerade das Weihnachtsmärchen
„Der Hutzelmann“ mit unserem Figurentheater. Immer wieder
arbeiten Studierende aus unserer Schauspielschule im Schauspielhaus
mit und Sängerinnen und Sänger stehen dort regelmäßig
im Chor. Dazu haben die Studierenden die wunderbare Chance, an der
Jungen Oper Stuttgart mitzuarbeiten.
nmz: Im Frühjahr 2002 haben Sie als erster Nicht-Musiker
das Rektorenamt an einer deutschen Hochschule übernommen. Welche
Perspektiven ergeben sich dadurch für die Stuttgarter Musikhochschule?
Heinrichs: Die Intention der Lehrenden habe ich hier so
verstanden, dass man zunächst einmal schlicht und ergreifend
gegenseitig voneinander profitieren will. Ich habe zwar lange Kulturmanagement
unterrichtet und hatte wohl auch die erste Professur für Kulturmanagement
in Deutschland. In den Jahren davor war ich aber auch schon lange
in der Praxis tätig. Von daher war das Thema Musik eigentlich
in meinem ganzen Berufsleben verankert.
Zu meinem Erstaunen werde ich immer wieder darauf angesprochen,
wie verwunderlich es ist, dass ein Kulturmanager Rektor einer Hochschule
wird. Ich antworte darauf immer das Gleiche: Musiker haben wir hier
im Hause genug, es mangelt ihnen nicht an Musikkompetenz. Woran
es mangelt ist Managementkompetenz, Hochschulmanagement, Kulturmanagement.
Und genau dies hat man sich hier sehr berechnend ins Haus geholt.
nmz: Also bezieht sich ihre Qualifikation eher auf das Hochschulmanagement.
Wie sieht es mit Angeboten in ihrem Fach für die Studierende
aus? Sind solche Kurse geplant?
Heinrichs: Es ist ein ganzes Paket von zusätzlichen
Veranstaltungen geplant und da ist unter anderem Musikmanagement
vorgesehen. Man muss ja sehen, dass sich das Berufsbild und die
Berufsperspektiven der Musikerin/ des Musikers in den letzten Jahren
sehr stark verändert haben. Noch vor circa fünfzehn Jahren
bekam ein Absolvent eine feste Stelle. Dies ist leider vorbei. Dennoch
bestehen auch heute hervorragende berufliche Perspektiven für
Musiker. Nur eben in einer Weise, dass sie sich ihren Job selbst
einrichten müssen. Sie müssen wie eine Art Patchwork verschiedene
Dinge zusammenbasteln, haben dann aber auch tatsächlich ein
gutes Einkommen. Das funktioniert, es gibt dafür viele Beispiele.
Und am Ende entsteht dann so eine Art Ich-AG. Dies bedeutet jedoch
für uns als Hochschule, dass wir die Musiker darauf vorbereiten
müssen, wie sie diese Ich-AG managen können. Daraus ergibt
sich die Notwendigkeit, das Hochschulstudium neben der künstlerische
Kompetenz, die immer noch im Vordergrund steht, spezifisch zu ergänzen,
nicht zu verändern. Wir sind gerade dabei, dies durch zusätzliche
Ergänzungs-, Zusatz- und Kontaktstudien anzugehen. Beschlossen
sind sie bereits.
nmz: In der Vergangenheit gab es große Diskussionen
bezüglich der Schulmusik. Man überlegte, ob sie an die
Pädagogische Hochschule verschoben werden soll. Vor kurzem
war die Attraktivität des Faches durch eine geplanten Streichung
der Geisteswissenschaften an der Stuttgarter Universität gefährdet
und immer wieder wird die Frage laut, ob Schulmusiker von Professoren
unterrichtet werden müssen. Sie möchten die Schulmusik
in Stuttgart fördern. Warum?
Heinrichs: Wir haben zu diesem Thema eine sehr lange und
intensive Diskussion gehabt, mit Resolutionen und Unterschriftenaktionen
von Seiten der Studierenden und so weiter. Am Ende waren wir uns
alle darüber einig, dass wir die Schulmusik verstärkt
brauchen. Alle klagen über die Überalterung des Konzertpublikums.
Wie will man dieses Problem in den Griff bekommen, wenn man nicht
für eine sehr breit angelegte und qualitativ hochwertige Schulmusikausbildung
sorgt? Die Schulmusiker sind für uns die Basis des gesamten
Musikbetriebes. Aus der Schule heraus erwächst die Freude,
das Interesse an der Musik, in jedem Fall aber auch das Interesse
daran, Musik live zu hören. Wenn es uns nicht gelingt, die
Schulmusik stärker im Schulalltag zu verankern und hervorragende
Lehrerinnen und Lehrer für die allgemein bildenden Schulen
auszubilden, dann steht es zwangsläufig schlecht um den Musikbetrieb
in Deutschland. Das wollen wir damit verhindern. Die Schulmusiker
erziehen das Publikum von morgen und um dieses Publikum muss man
sich kümmern.
nmz: Im Bereich des Hochschulmarketings sprechen Sie von
der Notwendigkeit eines Leitbildes für die Hochschule. Was
steht da dahinter?
Heinrichs: Durch ein Leitbild ist eine Hochschule stärker
als Gesamtinstitution identifizierbar und kann sich auf dem Hochschulmarkt
klarer herausheben und positionieren, vor allem natürlich im
sehr großen Wettbewerb um die besten Lehrenden und die besten
Studierenden. Mit dem Entwurf eines neuen Logos, das den Turm als
äußeres Bild der Hochschule symbolisiert, sind wir dabei,
ein einheitliches Erscheinungsbild durchzusetzen. Entworfen wurde
es übrigens von Studierenden der Fachhochschule Pforzheim.
Die zweite Maßnahme war die Hochschulzeitung „Spektrum“.
Das nächste ist der neue Internetauftritt, in dem auch eine
virtuelle Studienberatung eingerichtet wurde. Ein weiterer Schritt
ist die Einrichtung eines Hochschulradios. Dabei ist das Erscheinungsbild
nur ein äußeres Signet. Dahinter stehen die Inhalte,
die wir versuchen, über diese Medien zu kommunizieren: dass
wir ein tolles Gebäude haben; dass keine Hochschule der Welt
über eine ähnliche Orgelausstattung verfügt; dass
wir über Überäume verfügen, die 24 Stunden am
Tag geöffnet sind; dass wir ein hervorragend ausgestattetes
Studio für elektronische Musik besitzen und mit dem Wilhelmatheater
über ein eigenes Lerntheater verfügen, wie es dies ein
zweites Mal in Deutschland nicht gibt. Und wir haben so natürlich
auch die Möglichkeit, den Lehrkörper vorzustellen und
zu präsentieren.
nmz: Seit ihrem Amtsantritt vor nun fast zwei Jahren ist
nun schon einiges geschehen. Sind sie mit den Entwicklungen zufrieden?
Was ist ihre Vision, was sind ihre Wünsche für die Zukunft?
Heinrichs: Ich bin natürlich auch mit einer gewissen
Spannung hierhin gekommen, weil ich ja auch wusste, dass ich für
mich etwas ausprobiere, was noch keiner vorher erprobt hat. Insgesamt
muss ich sagen, ist es weit besser gelaufen, als ich erwartet hatte,
die Zusammenarbeit in der gesamten Hochschule ist sehr gut und auch
vertrauensvoll. Alle wissen, was ich einbringen kann, und ich weiß
sehr gut, was die anderen einbringen können. Ich kann von meiner
Seite aus sagen, dass ich sehr froh darüber bin, diesen Weg
gegangen zu sein, sehe hier noch gute Entwicklungsmöglichkeiten
und habe auch das Gefühl, dass mir von keiner Seite Steine
in den Weg gelegt werden, um die Dinge, die ich noch im Kopf habe,
in die Tat umzusetzen. Aber wir machen das Schritt für Schritt,
wir machen keine Revolution, sondern wir machen hier eine maßvolle
und vor allem sinnvolle Erneuerung der Hochschule, nicht um sie
zu verändern, sondern um sie fit zu machen für die Herausforderungen,
die in den nächsten Jahrzehnten an die Hochschule gestellt
werden.