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nmz-archiv
nmz 2003/12 | Seite 12
52. Jahrgang | Dez./Jan.
Kulturpolitik
Kulturförderung im Begründungsnotstand
Verfassungswidriger Haushaltsplan in Berlin · Von Olaf
Zimmermann
Das Land Nordrhein-Westfalen machte den Auftakt. In einem Hintergrundgespräch
kündigte Kulturminister Vesper Anfang Oktober diesen Jahres
an, zunächst alle Projektförderungen im Kulturbereich
auf null zu stellen, um dann anschließend einzelne Fördermaßnahmen
erneut zu begründen. Den Aufschrei in der Kulturszene versucht
er mit dem Hinweis zu beruhigen, dass das „auf Null stellen“
lediglich ein Fachbegriff aus dem Haushaltsrecht sei und selbstverständlich
am Ende von Einzelverhandlungen weiterhin Kultureinrichtungen und
-initiativen gefördert werden, sofern diese Förderung
ausreichend begründet werden kann.
Damit war der Ton angestimmt, der nun die Diskussion um die Kulturförderung
in den Ländern begleitet. In Berlin klingt das öffentliche
Streichkonzert besonders schrill: Der Haushalt ist schlicht verfassungswidrig.
Ein Umstand, der dem als Sparkommissar berühmt berüchtigten
Finanzsenator ganz zu pass kommen mag. Nur noch den Pflichtaufgaben
wird nachgekommen, alle freiwilligen Leistungen werden auf das Mindestmaß
heruntergefahren.
Erstaunlicherweise ist der Kulturbereich auf die jetzigen und
die noch anstehenden Einsparungen erschreckend schlecht vorbereitet.
Zu lange scheint man sich auf die Position zurückgezogen zu
haben, dass es einen allgemeinen Konsens zur Kulturförderung
gibt.
In den vergangenen fünf Jahren wurde zwischen dem Bund und
den Ländern mehr darüber gestritten, ob der Bund überhaupt
im Kulturbereich fördern darf, als dass sich Gedanken darüber
gemacht wurde, die Kulturförderung des Bundes, der Länder
und Kommunen als solche fundiert zu begründen.
Betrachtet man die verfassungsrechtlichen Grundlagen zur Kulturförderung,
so ist das Eis in einigen Ländern relativ dünn, dieses
gilt in besonderem Maß für Berlin. In Artikel 20 §
2 der Berliner Verfassung ist zwar nachzulesen: „Das Land
schützt und fördert das kulturelle Leben“, doch
wird eine Verpflichtung, den Zugang zu Kultureinrichtungen zu ermöglichen
und deshalb ein Mindestmaß an kultureller Infrastruktur zur
Verfügung zu halten, nicht eingegangen. Demgegenüber wird
in der Verfassung ein deutlicher Akzent auf den Zugang zu Bildung
oder zum Sport gelegt. So steht in Artikel 20 § 1: „Jeder
Mensch hat das Recht auf Bildung. Das Land ermöglicht und fördert
nach Maßgabe der Gesetze den Zugang eines jeden Menschen zu
den öffentlichen Bildungseinrichtungen (...)“ oder in
Artikel 32: „Sport ist ein förderungswürdiger und
schützenswerter Teil des Lebens. Die Teilnahme am Sport ist
allen Bevölkerungsgruppen zu ermöglichen.“ Ganz
anders lauten die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Kulturförderung
im Freistaat Bayern. Dort wird in Artikel 140 der Verfassung festgelegt:
„Kunst und Wissenschaft sind von Staat und Gemeinde zu fördern.
Das kulturelle Leben und der Sport sind von Staat und Gemeinden
zu fördern“.
In Berlin wird es also schwierig werden, aus den verfassungsrechtlichen
Vorgaben zum Schutz des kulturellen Lebens eine Pflicht zu Kulturförderung
abzuleiten. Einfacher wird es sein, den deutsch-deutschen Einigungsvertrag
heranzuziehen, der besagt, dass die kulturelle Substanz im Beitrittsgebiet,
also den neuen Ländern und Ost-Berlin, keinen Schaden nehmen
darf. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass das Land Berlin
in der Kulturförderung besonders schwere Aufgaben zu schultern
hat. Beide Teile der Stadt, Ost- wie Westberlin, waren für
die jeweiligen Teilstaaten das Aushängeschild im Kulturbereich.
Der Kulturbereich wurde auf einem vergleichsweise hohen Niveau gefördert.
Durch den Aufbau von Doppelstrukturen über 40 Jahre, das Erbe
Preußens, die Hauptstadtfunktion seit Anfang der 90er-Jahre,
eine relativ geringe Wirtschaftskraft und die spezifische Situation
eines Stadtstaates steht Berlin vor einer Gemengelage in der Kulturförderung,
die einem gordischen Knoten gleicht, der bis heute noch nicht durchschlagen
werden konnte. So ist auch die kürzlich zusätzlich zugesagte
Übernahme der Finanzierung der Akademie der Künste und
der Betriebskosten für den Hamburger Bahnhof durch den Bund
im Tausch zur Errichtung der Opernstiftung mit einer Morgengabe
von drei Millionen Euro nur der berühmte Tropfen auf den heißen
Stein.
Es wird vielmehr erforderlich sein, inhaltliche und gesetzliche
Begründungen zur Förderung der Kultur nicht nur für
Berlin zu liefern. Der verfassungsrechtlich garantierte allgemeine
Zugang zu Bildung könnte eine solche Begründung sein.
Kultureinrichtungen sind nicht „l’art pour l’art“.
Kultureinrichtungen nehmen auch einen Bildungsauftrag wahr. Manche
erfüllen diesen in geradezu exemplarischer Weise ohne Berührungsängste
gegenüber dem Publikum, andere werden an dieser Stelle noch
nachlegen müssen. Da die kulturelle Bildung von Kindern und
Jugendlichen zusätzlich bundesgesetzlich durch das Kinder-
und Jugendhilfegesetz geregelt ist, bietet sich hier ein Begründungsstrang
an, der von den betreffenden Kultureinrichtungen aber inhaltlich
fundiert gefüllt werden muss. Es wird nicht helfen, aus der
Not einige Angebote für Kinder und Jugendliche ins Leben zu
rufen. Es muss dahinter ein konsistentes Konzept stehen.
Genau dieses, eine inhaltliche Bestimmung nach dem Auftrag der
Kultureinrichtungen, eine daran anknüpfende qualitative Beschreibung
und letztlich eine Festlegung, ob diese Aufgabe durch die öffentliche
Hand oder privat gefördert werden sollte, wird die Aufgabe
der Zukunft sein. Kulturförderung muss neu begründet und
gesetzlich fixiert werden. Das einzig Bedauerliche an diesem Begründungsnotstand
ist, dass die Diskussion nicht nur in Berlin unter dem Fallbeil
der knappen öffentlichen Kassen geführt werden muss.