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nmz-archiv
nmz 2003/12 | Seite 10
52. Jahrgang | Dez./Jan.
Kulturpolitik
Die Zukunft der Orchester ist ihr Publikum
Beobachtungen beim Deutschen Orchestertag in Berlin
Da stehen sie, die Verbandsvertreter, und können nicht anders.
Die Herren an der Spitze des organisierten Orchesterwesens in Deutschland,
Rolf Bolwin (Geschäftsführender Direktor des Deutschen
Bühnenvereins) und Gerald Mertens (Geschäftsführer
der Deutschen Orchestervereinigung) vermögen ebenso wenig über
die Schatten ihrer hauptamtlichen Funktionen zu springen wie zum
Beispiel die Generalsekretäre der Parteien. Und da sie ebenfalls
auftrittserfahren und eloquent sind, läuft der erste Deutsche
Orchestertag am 3. November in Berlin ähnlich ab wie eine Talkshow
bei Sabine Christiansen – oder auch ein Wunschkonzert im Stadttheater:
Die Rollen sind verteilt und einstudiert, man hört viel Vertrautes,
wenig Neues, fühlt sich eher entspannt als angeregt. Erst einige
Gastreferenten und Diskutanten sind es dann, die aufhorchen lassen.
Erklärtes Ziel der Initiatoren war es, den seit 1997 in informellen
regionalen Arbeitskreisen praktizierten Meinungs- und Erfahrungsaustausch
von Manager/-innen deutscher Kulturorchester nun „auf breiter
Ebene fortzusetzen und die Interessen der über 150 deutschen
Kulturorchester zu artikulieren und zu akkumulieren“. Dabei
sollten „aktuelle Entwicklungen und Strategien der Tarifpolitik“
erörtert werden „ebenso wie kulturpolitische Themen“.
Dass beides auch, sogar erheblich, miteinander zusammenhängt,
klang immerhin im Verlauf der Tagung mehrfach an, beispielsweise
als die Äußerung von Kultur-Staatsministerin Christina
Weiss über eine „weltfremde Verwöhnlandschaft Orchester“
– gemeint war der Orchester-Tarifvertrag TVK – zitiert
und von Mertens zunächst als „populistisch und wenig
hilfreich“ zurückgewiesen wurde. Wenigstens aus dem Teilnehmerkreis
kam der Hinweis, dass die zunehmend prekäre Lage vieler Orchester
im Zusammenhang gesehen werden muss nicht nur mit der vielfach desaströsen
Finanzlage der Kommunen, sondern mit tiefgreifenden gesellschaftlichen
Veränderungen.
Monika Griefahn (SPD), Vorsitzende des Bundestagsausschusses für
Kultur und Medien, wurde ebenfalls deutlich: „Es geht um das
Überleben der Orchester, da brauchen wir uns nichts vorzumachen.“
Die Prioritäten werden dabei nämlich vor Ort gesetzt und
da ist Kultur immer noch eine freiwillige Leistung. „Den traditionellen
Status der Orchester im Gemeinwesen kann man nicht zementieren“,
und so wird es auch in Sachen Kunst und Kultur mehr denn je um das
Spiel von Angebot und Nachfrage gehen. Um die Nachfrage nicht verebben
zu lassen, fordert Griefahn: „Musikpädagogen müssen
her!“ Spätestens an dieser Stelle wurde deutlich, dass
die Zukunft der Orchester mit der Entwicklung unseres Bildungswesens
verknüpft ist, in dem sie selbst eine Rolle spielen müssen.
Um Beispielhaftes aus dem Ausland zu erfahren, hatte man gleich
zwei Referenten aus England eingeladen: Russell Jones, Präsident
der Association of British Orchestras, berichtete über seine
noch junge Organisation, „small but perfectly formed“
– deren Vorstand satzungsgemäß neben sechs Orchesterintendanten
auch zwei orchester-externe Mitglieder angehören; so kann man
eher der Gefahr entgehen, die Interessen und Probleme immer nur
aus der Innenperspektive zu definieren und zu behandeln.
Paul Rissmann, Komponist und derzeit hauptamtlich als Trainer für
Kinder- und Jugendarbeit beim London Symphony Orchestra tätig,
erläuterte in einer von drei parallelen Arbeitsgruppen die
Grundzüge und Systematik pädagogischer Musikereinsätze
und Orchesterveranstaltungen in seinem Land, in dem Orchester grundsätzlich
nicht mehr gefördert werden, wenn sie „nur traditionelle
Konzerte für die Mittelklasse“ spielen.
Kinder- und Jugendprogramme sind zwar auch für Orchesterdirektoren
oder -geschäftsführer in Deutschland inzwischen kein ganz
fremdes Gebiet mehr; häufig allerdings kann man sich bei genauerem
Hinsehen und Hinhören des Eindrucks nicht erwehren, dass es
sich dabei immer noch um Stiefkinder im Konzertwesen handelt, um
Aktivitäten, in die wenig investiert wird an konzeptueller
Energie, gestaltender Fantasie und zielorientierter Programmplanung.
Anders als in England oder in den USA leisten sich in Deutschland
die allerwenigsten Orchester einen oder gar mehrere Mitarbeiter
für Aufgaben, die von der traditionellen Orchesterroutine abweichen,
denen man sich daher aber gerade mit spezieller Professionalität
und besonderem Geschick widmen sollte. Dabei wächst, so wurde
auch in der Schlussdiskussion der Tagung zutreffend festgestellt,
die Bedeutung der pädagogischen Aufgaben aller Orchester umso
mehr, als immer weniger Musikunterricht in den Schulen von ausgebildeten
Fachlehrern erteilt wird.
Auf der Tagungsmappe prangte unübersehbar das Logo des „Orchestra
Planning and Administration System – „OPAS“. Am
Ende war es dann doch nicht ganz und gar Opas Deutscher Orchestertag,
dank einiger Akzentsetzungen. Doch schließlich zählt,
was hinten herauskommt – wie beim Waldhorn.