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nmz-archiv
nmz 2003/12 | Seite 10
52. Jahrgang | Dez./Jan.
Kulturpolitik
Musikalische Synergien im Saarland
Das „Netzwerk Musik Saar“ legt erstmals ein komplettes
Jahresprogramm vor
Ein Theater, zwei Orchester, eine Rundfunkanstalt, eine Musikhochschule,
eine Universität, eine Kunsthochschule, unzählige private
Vereine, die sich der Kultur im weiteren und der Musik im engeren
Sinne widmen: Das alles ist im Saarland vorhanden. Dass mal mehr,
mal weniger bewusst aneinander vorbei, auch gegeneinander gearbeitet,
programmiert und gelehrt wird, war und ist nichts Ungewöhnliches.
Es wäre doch wunderbar, wenn alle zusammenarbeiten könnten,
miteinander etwas schaffen, was einzeln aus den unterschiedlichsten
Gründen nicht machbar wäre!
Seit einigen Jahren gibt es einen in Saarbrücken ansässigen
Verein, der sich auf die Fahnen geschrieben hat, all diese Organisationen,
Vereine und Gruppen zu bündeln und zu koordinieren, kurzum:
zu vernetzen: „Netzwerk Musik Saar e.V.“. In dieser
Saison hat er nach einigen erfolgreichen kleineren Versuchen erstmals
ein komplettes Jahresprogramm vorgelegt, in dem viele Kulturinstitutionen
gemeinsam ein Thema näher beleuchten. Jeder trägt etwas
bei und nimmt damit auch teil an der Erkundung und Entdeckung von
Luigi Nonos Musik und Denken – denn dem großen Italiener
ist das Programm des Netzwerkes in dieser Saison gewidmet.
Der Verein sieht sich in der Position eines Mittlers. Bewusst will
er sich mit seinem Programm gegen den Trend der Popularisierung
und Verflachung wenden, indem er mit anspruchsvoller Thematik den
Kulturschaffenden und den Rezipienten etwas abverlangt. Da, wo gerade
öffentlich-rechtliche Kulturträger ihrem Bildungsauftrag
nicht mehr nachkommen, will der Verein sich umso nachdrücklicher
dafür einsetzen, dass der Anspruch nicht verloren geht. Und
das nicht nur im musikalischen Bereich: „Grenzüberschreitung“
wollen die Programmmacher erreichen, andere Künste ausdrücklich
mit ins Boot nehmen. Ganz besonders, – wenn auch noch nicht
verwirklicht –, sollen dabei in Zukunft Klangkunst und Klanginstallationen
auch einen Schwerpunkt der Arbeit bilden; der Kammermusik als ohnehin
nicht gerade von einer breiten Zuhörerschaft wahrgenommener
Gattung gilt ein besonderes Augenmerk. Im vorliegenden Programm
ist eine Vortragsreihe einbezogen, in der es nicht nur um den Aspekt
Musik und Politik, sondern auch um die Verbindungen zwischen Musik
und Kunst bei Nono gehen wird. Diesen Anspruch an den Mann zu bringen,
ist im Saarland, wo eine im besten Sinne „bildungsbürgerliche“
Schicht nicht eben stark ausgeprägt ist, kein einfaches Unterfangen.
Dennoch hoffen die Verantwortlichen, auf Interesse und Resonanz
zu stoßen.
Aus der Arbeit des Vereins resultieren Synergieeffekte, die man
vor einiger Zeit noch nicht für möglich gehalten hätte,
und das nicht nur auf dem Gebiet der Darbietung, sondern auch auf
dem Gebiet der Lehre und Forschung: Dank der Arbeit des Vereins
kooperieren die Musikwissenschaftler der Universität des Saarlandes
inzwischen stärker als in der Vergangenheit mit der Hochschule
für Musik Saar, und im gerade angelaufenen Semester ließ
sich erstmals eine Kooperation des bei der Musikhochschule ansässigen
Instituts für Neue Musik und der Hochschule der Bildenden Künste
Saar realisieren. Vernetzung soll umfassend versucht werden, gerade
auch in der Ausbildung. So lässt sich nicht nur Potential nutzen,
das bisher brach lag, sondern so lässt sich auch Geld einsparen,
ohne dass die kulturelle Landschaft dabei leidet.
Ein dritter Vernetzungseffekt ergibt sich beim Publikum: Jeder
Veranstalter, der etwas zum Netzwerk beiträgt, bringt auch
ein eigenes Stammpublikum mit – und das gilt es, auch für
die anderen Veranstaltungen zu interessieren. Durch die Programme,
die gemeinsam mit dem Netzwerk entstehen, werden auch Publikumsschichten,
die mit aktueller Musik nicht oder nur geringen Kontakt hatten an
diese Musik herangeführt und möglicherweise dafür
begeistert. Auch deswegen versuchen viele der Konzerte des aktuellen
Programms den Brückenschlag zwischen der „neuen“
Musik Nonos und älterer Musik: Da stehen Werke Gabrielis und
Vivaldis neben solchen von Malipiero, Maderna und Nono und aus der
Verbindung ergeben sich nicht nur interessante Aspekte in Bezug
auf Nonos Biografie: Im Konzert kann die „neue“ Musik
plötzlich auf eine unerwartete Art fesseln und begeistern.
Doch: Das alles braucht auch Zeit. Damit die Arbeit des Vereines
Erfolg zeigen kann, reicht ein Programm sicher nicht aus, muss das
Netzwerk nach und nach weiter geknüpft werden. So ist es zum
Beispiel kaum zu verstehen, warum das gerade auf dem Gebiet der
Neuen Musik seit der Ära Zender bundesweit anerkannte Sinfonieorchester
des Saarländischen Rundfunks nicht ein Stück beiträgt.
Da liegt Potenzial brach, das genutzt werden müsste –
,aber das ist nicht immer einfach: Denn der Verein kann niemanden
zwingen, sich zu beteiligen. Er muss darauf bauen, dass sein Anliegen
mit offenen Ohren aufgenommen und begeistert übernommen wird,
wie es etwa der Saarländische Rundfunk mit Radiofeatures und
der Aufzeichnung der Konzerte und Vorträge tut, wie die Saarbrücker
Kammermusiktage, die Nonos Streichquartett ins Programm nahmen,
wie das Saarländische Staatstheater, das ein Orchesterkonzert
und die Aufführung von „Intolleranza 1960“ beisteuert,
und wie viele andere. Ohne die bereitwillige Mitarbeit der Kulturorganisationen
kann der Verein nicht arbeiten. Und derzeit ergeben sich viele Zusammenarbeiten,
Netze auch aus den persönlichen Kontaktnetzen der Verantwortlichen.
Womit ein weiteres Problem angesprochen ist: Ohne ehrenamtliche
Arbeit gäbe es den Verein nicht. Ohne den Einsatz der Mitglieder,
der Verantwortlichen gäbe es kein Programm, keine Vernetzung
– und das ist doch auch ein Aspekt, der nachdenklich stimmt:
Es muss jemand zur Verfügung stehen, der diese Arbeit ehrenamtlich
macht. Und es muss gleichzeitig gesichert sein, dass der Verein
finanziell auf festen Füßen steht. Gleichzeitig kann
ein Erfolg des Vereins, der aus der Not heraus, dass öffentliche
Kulturträger ihren Bildungsauftrag nicht mehr wahrnehmen, keine
Entschuldigung für staatliche Stellen sein, sich aus der Kulturförderung
weiter zurückzuziehen, wenn der Verein erfolgreich arbeitet.
Denn sollten sich eines Tages keine Freiwilligen mehr finden, die
diese anspruchsvolle Kulturarbeit machen können und wollen,
wäre eine anspruchsvolle kulturelle Versorgung möglicherweise
nicht mehr garantiert.
Eine Gratwanderung für den Verein, zugegeben. Aber seine Arbeit
sollte Grund zu einer offenen Diskussion der Problematik sein –
gerade für die Förderung der Kultur zuständige Stellen,
aber auch öffentliche Kulturträger sollten die Arbeit
des Vereins zum Anlass nehmen und das Ergebnis der Vereinsarbeit
nicht als sanftes Ruhekissen zur Gewissenberuhigung bei weiteren
Mittelkürzungen nehmen. Denn die wirtschaftliche Situation
des Vereins ist nicht unbedingt einfach zu nennen: Derzeit hat der
Verein zwölf zahlende Mitglieder, wovon alleine acht im Vorstand
sind.
Damit finanziert sich seine Arbeit nicht und so müssen Drittmittel
geworben werden – Arbeit, die auch nicht einfacher ist als
die programmatische und für die sich auch Freiwillige finden
müssen.
Dennoch ist der Verein ein Schritt in die richtige Richtung. Er
kann zeigen, dass sich Anspruch und Publikumsresonanz nicht ausschließen
müssen, wenn man versucht, vorhandenes Potential sinnvoll zu
koordinieren. Für die weitere Arbeit gilt sicher der Satz,
der Nono in seinen letzten Jahren umgetrieben hat: „Non hay
caminos hay que caminar“ – „Es gibt keinen Weg,
man muss nur gehen“.
Claus Huth
Weitere Informationen und Kontakt zum Netzwerk unter http://www.netzwerk-musik-saar.de.
Die Konzertreihe des Vereins wird von einer auf drei Bände
angelegten Publikationsreihe des Pfau-Verlages flankiert, deren
erster Teil, „Luigi Nono – Dokumente, Materialien“
gerade erschienen ist (ISBN 3-89727-240-7).