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nmz-archiv
nmz 2003/12 | Seite 42
52. Jahrgang | Dez./Jan.
Laienmusik
Die Chemie muss stimmen, aber auch die Arbeitsteilung
Ehrenamtliche und Profis in einem Boot: Ein praktischen Beispiel
aus Sindelfingen
Wo steht die Laienmusikszene? Wie wird das Ehrenamt in der Gesellschaft
betrachtet? Welche politische Unterstützung erfährt die
Laienmusik von Volksvertretern und Parteien? Diese Fragen sind Grundlage
der Artikelserie „Die Laienmusikszene in Deutschland –
Mut zur Veränderung!“ in der nmz von Nico Lauxmann und
Stefan Liebing. Der heutige Artikel beschäftigt sich mit einem
Beispiel der Zusammenarbeit von Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen
im Bereich der Musikschulen in Sindelfingen, Landkreis Böblingen.
Das Ziel: wir fahren nach England! Die Zutaten: eine Musikschule,
zwei Vereine, zwei Berufsdirigenten, drei ehrenamtliche Jugendleiter
und natürlich nicht zu vergessen: etwa siebzig Jugendliche
im Alter zwischen 10 und 17 Jahren. Alles in allem eine Mischung
die Pädagogen und alle, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten
erzittern lässt. Das Ergebnis des Projektes England war zum
Redaktionsschluss noch nicht bekannt, frühere Erfahrungen lassen
aber darauf vertrauen, dass auch diesmal alles wie am Schnürchen
klappen wird.
Wie alles begann
Doch der Reihe nach. Bereits im Jahr 2001 haben die Sindelfinger
Schule für Musik, Theater und Tanz (SMTT) und die Stadtkapelle
Sindelfingen nach einer längeren Phase getrennter Wege entsprechend
der Rahmenvereinbarungen des BVBW (Blasmusikverband Baden-Württemberg
e.V.) und des VdM (Verband deutscher Musikschulen) einen Kooperationsvertrag
abgeschlossen. Hauptinhalt ist die enge Zusammenarbeit im Bereich
der bläserischen Jugendausbildung. Zuständigkeiten, Zuschüsse
und Ziele sind im Vertrag schriftlich fixiert, gegenseitige Rechte
und Pflichten erläutert, denn man wollte natürlich aus
Versäumnissen der Vergangenheit lernen. Von Beginn an war klar,
dass sich die Stadtkapelle nicht nur finanziell sondern auch personell
engagieren wollte, schließlich ist die Sicherung des Nachwuchses
für Vereine eine Frage des Überlebens. Wichtige Faktoren
sind dabei nicht nur die Qualität der Ausbildung, sondern auch
die Attraktivität des gesamten Angebotes. Und hier kommt ein
äußerst komplexes Paket zusammen, das von rein logistischen
Dingen wie Proben und Räumlichkeiten über Stückauswahl,
Konzerte und Auftritte bis hin zu Freizeitveranstaltungen und der
vielgerühmten Kameradschaft reicht.
Markus Nau, Schulleiter und Dirigent in Personalunion verfolgte
die Zielsetzung mit großer Motivation und stellte das noch
gar nicht existente Team gleich auf die Probe. Eine Einladung aus
Ungarn lag vor. Also wurden gemeinsam mit der ehrenamtlichen Jugendleiterin
der Stadtkapelle, Tanja Knof die ersten Pläne geschmiedet.
Doch schnell musste man feststellen, allein reicht es nicht wir
sind noch zu wenige und zu jung, wir brauchen Verstärkung!
Nach kurzem Überlegen wurde man in der eigenen Stadt fündig,
das Netzwerk der Jugendleiter im Kreisverband der Musikvereine hatte
geholfen. Mit Armin Moroff und seinen Jungmusikanten aus Darmsheim,
einem Teilort Sindelfingens war die Mannschaft vollzählig an
Bord und es konnte losgehen. Mit großem Elan wurde diese Reise
zu einem großen Erfolg und hat dann ein gutes Team hervorgebracht,
das in den folgenden zwei Jahren weitere, kleinere Projekte durchgeführt
hat. Und nun also das Großprojekt England.
Um es gleich vorneweg zu sagen: würde die Chemie zwischen
den Hauptakteuren nicht so gut passen, so hätte das Projekt
an vielen Stellen scheitern können. Denn trotz prinzipieller
Übereinstimmung tauchten enorm viele kleine Probleme und Widrigkeiten
auf, mit denen man so nicht gerechnet hatte. Es begann ganz harmlos
mit der Festlegung von Besprechungsterminen. Ehrenamtliche Mitarbeiter
haben eben immer noch einen Hauptberuf, und der geht vor, auch und
gerade wenn der Arbeitgeber der Weltkonzern mit dem Stern ist. Und
die Musikprofis haben meist dann ihre Termine, wenn normale Menschen
Freizeit haben. Doch die moderne Kommunikation – auch das
als wichtige Erkenntnis – macht’s möglich. Über
Handys und E-Mail wurden Termine abgestimmt, Protokolle und Entwürfe
verschickt und Kontakt gehalten.
Als zweiter wichtiger Punkt in der Zusammenarbeit zwischen Ehrenamt
und Profis wurden von Beginn an eine klare, aber gleichwertige (!)
Arbeitsteilung vereinbart. Die Musikprofis kümmerten sich um
die Auswahl der Stücke, Besetzung und Probenplanung, die Jugendleiter
um Infobriefe, Angebote, Anmeldung und Freizeitplanung. Als Koordinationsstelle
fungierte die Musikschule, trotz leerer kommunaler Kassen mit einem
gut funktionierenden Büro und allen technischen Hilfsmitteln
ausgestattet. Die Nutzung vorhandener Ressourcen hängt natürlich
ebenfalls stark von der Kommunikation ab. Ohne das Wissen, was wo
vorhanden ist, sind Synergieeffekte nicht nutzbar.
Als ein Pluspunkt hat es sich auch erwiesen, dass die Jugendleiterin
der Stadtkapelle, Tanja Knof hauptberuflich ebenfalls bei der Stadt
arbeitet und ihre Vorgesetzten ihre ehrenamtliche Tätigkeit
nicht nur tolerieren sondern auch unterstützen. Was manche
Arbeitgeber hier übersehen ist die Tatsache, dass ehrenamtlich
engagierte Mitarbeiter auch in den Betrieben die Aktivposten sind.
Sonderurlaube oder die Nutzung von Kommunikationseinrichtungen dürften
sich dadurch sogar rechnen!
Die erste gemeinsam Probe
Ein weiterer Meilenstein des „Projektes England“ war
dann die erste gemeinsame Probe. Man sollte die Identität auch
eines aus Jugendlichen bestehenden Klangkörpers nicht unterschätzen.
Es erfordert einiges an Fingerspitzengefühl zwei verschiedene
Orchester zusammen zu schmieden. Da sich die Dirigenten im Vorfeld
auch in Fragen wie Sitzordnung oder Disziplin gut abgestimmt hatten,
war der Zusammenklang von fast 70 Instrumenten dann sofort ein Erlebnis.
Ganz nebenbei wurde das Jugendblasorchester Sindelfingen noch komplett
neu eingekleidet, eine Aktion die von Jugendleiterin Tanja im Alleingang
meistert wurde! Besonders anstrengend wurde die schon angesprochene
Arbeitsteilung für die Ehrenamtlichen dann mein folgenden Probenwochenende.
Während die Dirigenten tagsüber mit den Jugendlichen
Proben bis die Lippen schlapp machten, mussten die Jugendleiter,
die für dieses Wochenende noch Verstärkung mitgebracht
hatten nachts für Ruhe in der Jugendherberge sorgen. Eine Sysyphosarbeit
und daraus die Erkenntnis: man kann auf Reisen und Freizeiten nie
genug erwachsene Betreuer dabei haben. Ein Konzert im Rathaus bildete
dann den Abschluss der Vorbereitungen und auch hier waren ehrenamtliche
Heinzelmännchen mit an der Arbeit. Sowohl beim Auf- und Abbau
als auch beim Pausensekt halfen die Orchestereltern, organisiert
natürlich von der Jugendleitung. Bleibt also nur noch, der
ganzen Gesellschaft eine gute und erfolgreiche Reise zu wünschen.
Im wörtlichen Sinne auf die Insel, gutes Wetter und viel Publikum
eingeschlossen. Und natürlich auf dem weiteren Weg des Orchesterlebens
mit vielen gut organisierten Veranstaltungen und Erlebnissen, die
man nur als Musiker machen kann und die so nur in der Kombination
von Ehrenamt und Proffesionalismus erreichbar sind. Für die
Zusammenarbeit zwischen Ehrenamt und Profis lassen sich aus der
praktischen Erfahrung folgende Punkte ableiten:
Zusammenfassend lassen sich für die Zusammenarbeit zwischen
Ehrenamt und Profis aus der praktischen Erfahrung und der täglichen
Arbeit folgende Punkte ableiten. Die Gleichwertigkeit der Partner
in der täglichen Arbeit, in Diskussionen und bei Projekten
ist eines der wichtigsten Punkte, um eine erfolgreiche Verbandsarbeit
durchzuführen. Auch spielt hier die Unterstützung sowie
die Förderung der Ehrenamtlichen durch deren Arbeitgeber eine
wichtige Rolle, damit eine für die Mitglieder interessante
und abwechslungsreiche Freizeitgestaltung geschaffen werden kann.
Nur mit guten Kommunikationsstrukturen sowie einer klaren Abgrenzung
der Zuständigkeiten von Ehrenamtlichkeit und Hauptamtlichkeit
lassen sich gemeinsam die Verbandsziele erreichen.
Aber auch der Einfluss von Außenstehenden mit flankierenden
Maßnahmen ist für eine erfolgreiche Arbeit unerlässlich.
Eine wichtige Rolle spielt hierbei die Politik, die die Ehrenamtlichkeit
mit einem Gesetz zur Förderung des Ehrenamtes sowie Steuererleichterungen
für Ehrenamtliche unterstützen könnte. Auch die Förderungsmöglichkeiten
für engagierte Ehrenamtliche innerhalb des Hauptberufes darf
nicht außer Acht gelassen werden.
Markus Nau, Schulleiter & Dirigent
Redaktion: Nico Lauxmann