[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2003/12 | Seite 6
52. Jahrgang | Dez./Jan.
Musikwirtschaft
Wenn der HipHop-Dollar durch die Staaten rollt
Wie HipHop das Verhältnis zwischen Pop-Entertainment und
Werbung neu definiert
Früher gingen Rapper in Rente, indem sie umgelegt wurden.
Heute ist das anders. Wenn Jay-Z (geboren 1970), für viele
HipHop-Fans der größte lebende MC der vergangenen Jahre,
sich Ende 2003 vom Rappen zurückzieht, dann ist dies nicht
eine Frage von Leben oder Tod, sondern eine des Geschäfts und
des Cross-Marketings.
Jay-Zs Schwanengesang, das „Black Album“, und ein schwarzer
Turnschuh, den der Hersteller unter dem bürgerlichen Namen
des Rappers, Shawn Carter, vermarktet, sollten in den USA ursprünglich
am „Black Friday“ (28. November) veröffentlicht
werden. Gefolgt von einem „Black Book“ im Frühjahr
– die Autobiografie zum Turnschuh, zum Album und zum Rapper.
Doch böse Jungs, die sich im CD-Presswerk bedienten, haben
einen Strich durch die schöne Inszenierung gemacht. Weil die
CD – eine Art Autobiografie des gerappten Größenwahns,
mit der Jay-Z wieder an seine besseren Alben anknüpft –
seit gut einer Woche im Internet kursiert, wurde die US-Veröffentlichung
auf den 14. November vorverlegt. Damit sich das Album trotzdem gut
verkauft, winken den ehrlichen Fans in ihren ehrlich erworbenen
CDs goldene Lose. Die drei Hauptgewinne, schwarze Cabrios von Mercedes,
bekam der New Yorker Rapper gesponsert. Mercedes darf schließlich
mit Rap-Texten von Jay-Z werben. Dass Popmusiker sich sponsern lassen,
von Herstellern und Marken-Strategen umworben werden, und ihre Musik,
Texte und Gesicht zu Markte tragen, ist nichts Neues. Seitdem Marken
für ihr aggressives Branding beim Pop die Authentizität,
Idenität und hippe Coolness des vermeintlich Gegenkulturellen
tanken, lassen sich die Stones ihre Tourneen sponsern, führen
Pepsi und Cola ihre Werbekriege mit Madonna, Tina Turner oder Whitney
Houston, werden junge Musiker von der eigenen Plattenfirma als der
„Typ aus der GAP-Werbung“ vermarktet.
Neu ist allerdings, welch innige Ausmaße das Verhältnis
zwischen Band und Brand im HipHop angenommen hat, der in den USA
nicht nur die Charts, sondern weite Teil der Popularkultur dominiert.
Die erfolgreichsten Rapper von heute machen nicht nur erfolgreich
Werbung, von Cognac bis Milch, sondern sind zu geschäftstüchtigen
Unternehmern und Marketing-Strategen in eigener Sache geworden,
bei denen Entertainment und Werbung, Musik und Marketing miteinander
verschmelzen.
Rapper wie Jay-Z vermarkten sich so erfolgreich, dass sie nicht
nur Musik, sondern eigene Produkte verkaufen. Aus den schon traditionellen
Textilabteilungen der HipHop-Labels, die die Jacke und Hose zur
Rap-Single verkaufen, ist ein ganzes HipHop-Kaufhaus geworden. Neben
Turnschuhen, Wodka, HipHop-Autos, Kreditkarten und Spielzeugpuppen
im HipHop-Outfit klingelt der HipHop-Dollar mittlerweile auch mit
Energy Drinks. Der Rapper Nelly etwa hat passend zu einem seiner
Hits den „Pimp Juice“ (Pimp: zu Deutsch „Zuhälter“)
auf den Markt gebracht. Selbst die US-Army will sich dem rauen Charme
des HipHop-Marketing nicht entziehen. Ihre neue „Taking It
To The Streets“-Kampagne, an der auch das führende Hip
Hop-Magazin „The Source“ beteiligt ist, hat HipHop-Fans
als Rekruten im Visier.
Und die Musik? Sie ist in der Hip Hop-Industrie, deren Umsatz vom
„Black Enterprise Magazine“ auf jährlich fünf
Milliarden Dollar geschätzt wird, zu einem Verkaufsvehikel
geworden. Es ist beinahe so, als ob Musik nur mehr dazu dient, das
herzustellen, was wir anschließend gegen viel Geld, Werbung
und Marketing verbrauchen dürfen: Authentizität und Image.
Rap-Songs und ihre Musik-Videos strotzen mittlerweile so vor Produkten
und Markennamen, dass Kritiker von Product-Placement sprechen. Beispiel
Jay-Z: Der Rapper, der seine Platten auf dem eigenen Label „Roc-A-Fella-Records“
herausbringt, schlürft zwar bevorzugt den hauseigenen Armadale-Wodka
und trägt „Roc-A-Wear“-Kleidung (Jahresumsatz 2002:
300 Millionen Dollar) – so wie seine Label-Kollegen, die von
„Roc-A-Fella“-Chef Damon Dash dazu ermuntert werden,
„Armadale in ihren Texten und Videos einzubauen“.
Überhaupt funktioniert Product-Placement à la HipHop
nach eigenen Gesetzen, wie der krasseste und mittlerweile schon
mehrfach kopierte Fall zeigt. Nachdem der Rapper Busta Rhymes in
Zusammenarbeit mit P. Diddy (Spitzname: „König Midas
des HipHop“) mit „Pass the Courvoisier“ 2002 einen
Riesenhit gelandet und die gleichnamige Marke daraufhin 20 Prozent
mehr Cognac verkauft hatte, dementierten der Rapper und sein Liebling-Cognac,
dass es eine Absprache gegeben habe. Mag sein. Klar ist aber auch,
dass die Cognac-Marke und das Management des Rappers im Nachhinein
einen PR-Deal schlossen. Und dass die Marketingfirma von Russell
Simmons, dem größten und erfolgreichsten der Hip-Hop-Mogule
(Spitzname: „CEO of HipHop“), schon vorher damit beauftragt
worden war, das Image von Courvoisier aufzupeppen.
Jede Punk-Band, die „Reich mir den Couvoisier rüber“
veröffentlicht hätte, hätte sofort ausgepunkt. Warum
funktioniert es im HipHop? Weil es im Rap und HipHop schon immer
um eine Kultur des Protzens ging, die als trendsetzender Markenfetischismus
ausgelebt wird. Wenn es eine Schlüsselbotschaft vieler Rapper
gibt, dann die: „Schaut, ich hab‘ es geschafft. Dank
HipHop habe ich mich aus der Ghetto-Gosse erhoben. Und jetzt kann
ich mir all das leisten, was im Ghetto unerreichbar ist.“
Kommerziell ausschlachten lässt sich der Lifestyle-Exhibitionismus
des HipHop deswegen so gut, weil er ideal zu den Bedürfnissen
der anderen Player passt. Die Musikindustrie sucht begierig nach
anderen Einnahmequellen und Verwertungsmöglichkeiten als dem
banalen Verkauf von CDs. Die Werbe- und Marken-Strategen finden
alles gut, was Werbung ist, aber nicht danach aussieht.