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nmz-archiv
nmz 2003/12 | Seite 6
52. Jahrgang | Dez./Jan.
Musikwirtschaft
Feldzug gegen das Gerümpel des Alltags
Selbstmanagement für Musiker Teil vier: Ordnung und Logistik
im Büro
Tim Renner sitzt hinter seinem Schreibtisch und qualmt lächelnd
eine Zigarette. Der Schreibtisch vor ihm sieht aus wie ein Schlachtfeld.
Wahre Papierberge mit vielen Gipfeln und ineinander verwobenen Schichten
stoßen an Miniaturwolkenkratzer aus gestapelten CDs. Zwischen
Papier und Tonträgern findet der aufmerksame Betrachter dieser
Zeitungsfotografie Terminkalender, Taschenrechner, Telefonanlage,
Kaffeetasse und – ganz zentral hinter der Computertastatur
– den vollen Aschenbecher. Als Schmuckstück ziert den
Tisch ein Reichsapfel, der schräg hinter dem Monitor eine Randexistenz
führt. Im Bildhintergrund gleichen alle Ablagen dem gleichen
Schema. Warum lässt sich der heutige Universal-Chef in solcher
Pose für die breite Öffentlichkeit ablichten? „Die
Unordnung ergibt sich automatisch, wenn der Fokus im Schaffen liegt“,
verteidigt sich Renner offensiv. Dass der Kult um so genanntes Chaos
jedoch ein folgenschweres Missverständnis ist und was sich
umgekehrt durch ausgeklügelte Bürologistik an positiven
Effekten erreichen lässt, das ist Inhalt des vierten Teils
unserer Selbstmanagement-Serie.
Aufgabe 1: Betrachten Sie Ihren Schreibtisch. Wie schaut
das Verhältnis von Freifläche zu bedeckter Fläche
aus?
Mit weniger als einem Din-A4-Blatt Freifläche schneidet der
durchschnittliche Schreibtisch bei diesem Test nicht besser ab als
der von Plattenboss Renner. „Das Genie beherrscht das Chaos“,
so heißt es lässig in der Umgangsprache. Der griechische
Begriff Chaos allerdings bezeichnet den Urstoff, aus dem die Welt
hervorgegangen ist. In dieser Beziehung ist Tim Renner also ehrlicher.
Er nennt den Zustand in seinem Büro Unordnung, denn Unordnung
ist gleichbedeutend mit wirrer Masse. Diese Verwirrung, daraus macht
Renner keinen Hehl, wurde von ihm selbst geschaffen und mit allen
Negativkonsequenzen von ihm verantwortet. Negativkonsequenzen von
Unordnung sind vielfältig. Unordnung kostet Zeit und Geld,
vor allem aber beeinflusst Sie Unordnung negativ in Ihrem kreativen
Handeln. Gerade dann, wenn der „Fokus im Schaffen liegt“,
sollten Sie einen freien Blick auf ihre Umwelt haben, der nicht
durch unerledigte Aufgaben und nutzlosen Krempel abgelenkt und blockiert
wird. Ordnung verschafft Freiräume für:
geistige und materielle Transparenz,
Kostenminimierung bei Materialverbrauch, Lagerbestand und Immobiliengröße,
Geldzuwachs durch den Verkauf unnötigen Besitzes,
Zeitgewinn durch direkten Zugriff und Vermeidung von Doppelarbeiten,
weniger Putzaufwand und mehr Gesundheit,
Abbau von Schuldgefühlen (verursacht durch unerledigte
Aufgaben) und Energie für neue Projekte.
Aufgabe 2: Zeichnen Sie einen Grundriss Ihres Büros.
Gehen Sie im Geiste alle Problemzonen durch und tragen Sie diese
aus der Erinnerung in Ihre Skizze ein. Bewerten Sie die Problembereiche
in Abhängigkeit von der jeweiligen Brisanz farblich in Ihrer
Skizze.
Fast jedes Büro enthält Gerümpel. Gerümpel sind
Dinge, die wir nicht brauchen oder die wir nicht lieben, die unordentlich
und schlecht organisiert sind, die auf zu kleinem Raum untergebracht
werden oder die unerledigt sind. So wie eine weggeworfene Zigarettenschachtel
am Wegesrand zu einem Müllhaufen anwächst, so zieht auch
Gerümpel in Ihrem Büro neues Gerümpel an. Krempel
ist nichts anderes als stagnierende, klebrige Energie, die zu mehr
und mehr Energiestau führt.
Unsere äußere Umgebung spiegelt unser inneres Wesen
wieder. Umgekehrt kann uns äußere Ordnung neue Möglichkeiten
eröffnen: Disharmonie unter Mitarbeitern verwandelt sich in
Elan; Scham und Isolation von Repräsentanten wandeln sich in
Empfangsbereitschaft und Offenheit. Der erste Schritt zu einem Umdenken
in Richtung Bürologistik fordert ein tieferes Verständnis
der einfachen Gleichung „Wer Zeit hat Krempel anzusammeln,
hat bestimmt auch genug Zeit ihn aufzuräumen“ (Kingston).
Gerade dann, wenn Sie sich im Stress fühlen, ist Aufräumen
die beste Therapie. Aufräumen ist nichts anderes als Loslassen.
Schaffen Sie zunächst all jenes weg, was Sie nur „für
den Fall“ aufheben. Im Zweifelsfall benutzen Sie den von Kingston
entwickelten „Krempeltest“.
Aufgabe 3: Machen Sie eine Liste von allen Büchern,
Zeitschriften, Akten, Dekor, Möbeln, Hilfsmaterialien und so
weiter, die in Ihrem Büro nicht täglich Verwendung finden.
Stellen Sie sich bezüglich jedes verwendungsunsicheren Stücks
drei Fragen (Krempeltest nach Kingston):
a) Steigert es meine Energie, wenn ich es ansehe oder daran denke?
b) Liebe ich es aus vollem Herzen?
c) Ist es wirklich nützlich?
Wenn Sie sich ans Ausmisten machen, beschränken Sie Ihre
Aktion bitte unbedingt auf den eigenen Arbeitsbereich. Analog zur
Annahme, dass Ihre Umgebung ein Spiegel der eigenen inneren Welt
ist, bedeutet ein Aufräumen des Arbeitsplatzes Ihres Kollegen
oder Ihres Lebenspartners unter Umständen einen schweren Eingriff
in dessen innerliche Konflikte.
Aufgabe 4: Stellen Sie im Büro fünf große
Kisten auf: 1.) Müllkippe, 2.) Reparatur, 3.) Wiederverwertung
durch Verkauf, Schenkung oder Umtausch, 4.) Umräumen an einen
anderen Ort und 5.) Krempeltest (die Unentschiedenheitskiste).
Ist Ihr Büro erst krempelfrei, so können Sie eine neue
Systematik entwerfen. Stellen Sie die Dinge dort in Griffweite,
wo sie ständig verwendet werden. Bewahren Sie Dinge stets am
gleichen Platz auf. Beschriften Sie Ordner und Schachteln. Bringen
Sie unregelmäßig verwendete Dinge ins Lager. Stellen
Sie Mülleimer so auf, dass sie zur Leerung einladen. In der
neuen Ordnung bietet sich nun eine Grundreinigung an.
In Ihrem entrümpelten, systematisierten und von Grund auf
gesäuberten Büro wenden Sie sich nun Ihrem PC zu. Entwerfen
Sie zunächst auf dem Papier ein Ordnersystem für Ihre
Dateien. Übergeordnete Ordner (zum Beispiel Finanzen, Projekte,
Datenbanken, Marketing, Dokumentation, Internet, Familie und Gesundheit)
erhalten untergeordnete Kategorien (Steuer 2002, Steuer 2003 et
cetera). Je präziser Sie die Ordner benennen, um so einfacher
ist die Benutzung, insbesondere durch Partner und Kollegen (Einheitlichkeit).
Durchforsten Sie jetzt auch Ihr Ablagesystem für E-Mails. Oft
sammeln sich Tausende von unbearbeiteten oder gelöschten Emails
in immer träger arbeitenden Programmen an.
Aufgabe 5: Schalten Sie Ihren PC ab (!) und rekapitulieren
Sie geistig die alltägliche Arbeit mit dem Gerät. Welche
technischen Probleme tauchen immer wieder auf? Welche Probleme bereitet
Ihnen die Nutzung Ihrer Software? Welche Zusatzgeräte fehlen
Ihnen bei der Arbeit?
Ein Musiker, der Werbung machen will, aber dessen Druckertreiber
spinnt, ist wie ein Gärtner mit einer klemmenden Heckenschere.
Vielleicht haben Sie auch einen tollen Scanner, dessen Funktionsweise
Sie nicht verstehen. Möglicherweise verschicken Sie Ihre Newsletter
im Einzelverfahren, wo Ihnen eine professionelle Mailsoftware volle
Arbeitstage ersparen würde. In diesen und noch viel mehr Fällen
ist eine sofortige Problemlösung geboten und möglich:
behandeln Sie Programmkonflikte auf Ihrem Rechner, gegebenenfalls
durch einen Gang zum Computerladen (einige Spezialisten bieten
Sofortreparatur in Ihrem Beisein an),
updaten Sie veralterte Software,
schaffen Sie weitere Software an, wenn Sie diese mehrmals im
Monat gebrauchen und eine wesentliche Zeiteinsparung nachweisbar
ist,
deinstallieren Sie Programme, die nicht in Betrieb sind (auch
Autostart-Funktionen),
belegen Sie Kurse zum Lernen oft benötigter Software (Word,
Newsletter, Acrobat, Photoshop et cetera) an Abendschulen, Unis
und so weiter, lernen Sie deren professionelle Anwendung
In einem letzten Schritt verschönern Sie Ihr sauberes und
aufgeräumtes Büro. Runde Möbel regen den Energiefluss
an, Ecken „lassen anecken“. Pflanzen mit großen
runden Blättern wirken aktivierend, Bilder an den Wänden
sollten auf ihre anregende Aussage, ihre Farben hin überprüft
werden. Stellen Sie Bürostühle und Schreibtische für
ein sicheres Arbeitsgefühl mit dem Rücken zur Wand, unterbrechen
Sie weite freie Wege („Autobahnen“) durch Raumteiler
oder große Pflanzen. Zum guten Schluss: Vergessen Sie nicht,
Ihr Büro an den Außentüren (glänzend) auszuweisen.
Erfolg zieht Erfolg an…
Literatur:
• „Braucht Politik den Pop oder Pop die Politik, Herr
Renner?“, Interview mit Tim Renner, in: Frankfurter Rundschau,
9.9.1998.
• „Logistik im Büro. Unordnung kostet Geld“,
Edith Stork, Beltz Verlag.
• „Feng Shui gegen das Gerümpel des Alltags“,
Karen Kingston, Rowohlt Verlag.
• „Das Kultur Bureau“, Para-SOL/Verein für
angewandte Kultur e.V., Eigenverlag.