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nmz-archiv
nmz 2003/12 | Seite 48
52. Jahrgang | Dez./Jan.
Nachschlag
Nachschlag
Bohlen an die Schulen!?
Junge Rock/Popbands befinden sich in einem schier aussichtslosen
Dilemma. Am meisten mangelt es an Auftrittsmöglichkeiten. Veranstalter
lassen Newcomer in der Regel nicht auf ihre Bühnen, weil ihnen
diese vermeintlich kein oder wenig Publikum ziehen und dadurch auch
keinen Gastroumsatz generieren. Aber ohne Live-Auftritte erlangen
die Bands nicht die nötige Routine im Umgang mit Publikum und
Konzerttechnik. Und ohne Konzerte können sich die Bands auch
nicht das Publikum erspielen, das Veranstalter für Engagements
voraussetzen. Ein Teufelskreis – der seit vielen Jahren Auswege
bräuchte.
Der Aktion „SchoolJam“ des Deutschen Musikrates hätten
sich sehr griffige Ansatzpunkte für eine sinnvolle Konzeption
geboten. Man hat diese Chance nicht genutzt! Den Nutzen hat nicht
die Breite der Nachwuchsbands! Den Nutzen haben – mal wieder
– die Bürokraten. Wollten sie den vielleicht auch haben?
Ging es ihnen womöglich gar nicht primär um die jungen
Musikerinnen und Musiker? Sind unbedarfte Bands der Transportschlitten
für die eigenen Pop-Versäumnisse?
Bezeichnend einige der vom DMR angeführten Referenzen. Jürgen
Terhag schrieb: „Mit dem Wettbewerb ,School-Jam’ wird
die Musik der unterschiedlichen Jugendszenen in Deutschland zum
ersten Mal von der Erwachsenenwelt ernst genommen!“ Sorry,
aber das betrifft vielleicht „die Erwachsenenwelt des DMR“.
Warum hält man nicht endlich die Nase vor die Tür? Es
werden sich nicht viele junge Popmusiker finden, die auf diese Art
vom DMR „ernst genommen“ werden wollen.
Andererseits schrieb Thorsten Mewes/„Die Happy“: „Es
gibt immer zwei Mög-lichkeiten entdeckt zu werden: Entweder
du läufst aus der Disco direkt in die Arme von Dieter Bohlen
oder du spielst überall, wo es eine Steckdose gibt“.
Hätte der DMR diesen Satz aufmerksam gelesen, dann wäre
das Konzept von „SchoolJam“ fast von alleine besser
und schlüssiger geworden.
Statt unzählige Steckdosen in der Fläche unter Strom
zu setzen und die Bands massenhaft bei zahlreichen dezentralen Festivals
dort vor Publikum auf die Bühnen zu stellen, wo sie auch zukünftig
ihren ersten regionalen Fankreis finden müssen, wurde wieder
ein Wettbewerb gestrickt. Bohlens Fußstapfen – ick hör’
dir trapsen!
Was unterscheidet „SchoolJam“ von „Deutschland
sucht den Superstar“? Nicht viel. Allerorten immenses Werbebrimborium,
vollmundige Sprüche und – wenig Nachhaltigkeit in den
Szenen. 2004 jetzt sechs regionale Vorausscheidungen. Man könnte
Fördergelder effizienter einsetzen.
Das Rock.Büro SÜD/ABMI e.V. geht mit seinen bayerischen
Projekten an Schulen längst andere Wege hin zu Persönlichkeitsbildung
und Selbstfindung durch Popkultur sowie Berufsorientierung oder
Bewerbungstraining.
Wir haben schon 1993 (in Klammern die Werte des Jahres 1994) mit
den Volksbanken und Raiffeisenbanken in Bayern binnen vier Wochen
53 (55) Schülerbandfestivals in 51 (51) Landkreisen durchgeführt
– ohne Wettbewerb und ohne Sieger. Auf den Bühnen präsentierten
sich 261 (285) Newcomerbands vor 25.000 (30.000) Besuchern. Beworben
hatten sich alleine aus Bayern 370 (450) Bands mit einem Durchschnittsalter
von 17,25 (17,8) Jahren. Wieviele haben sich eigentlich bei „SchoolJam“
beworben – die Website schweigt stille…?
Neben optimalen Bühnenbedingungen bekam jede Band zudem noch
300 Mark in die Bandkasse, was bedeutet, dass die Bands alleine
eine Summe von 78.300 Mark (85.500 Mark) in bar und als symbolische
Wertschätzung für die erbrachten Leistungen ausbezahlt
bekamen. Alle waren Sieger! Fünf Bands durften bei einem Schlussfestival
mit den „Kinks“ („Spider Murphy Gang“) auf
die Bühne und bekamen nochmals jeweils 2.000 Mark für
eine CD-Produktion. Und es gab durch die Medienpartner Antenne Bayern,
„jetzt“ – das Jugendmagazin der Süddeutschen
Zeitung –, „Sound Check“ sowie durch rund 400
meist ganzseitige Berichte in den bayerischen Tageszeitungen eine
voluminöse PR für die Bands – und natürlich
auch den Sponsor, für den die Aktion mit 300.000 beziehungsweise
350.000 Mark überaus billig war. 20 der Gruppen kamen jeweils
in beiden Jahren auch noch zusätzlich zu TV-Auftritten beim
RTL2-Jugendmagazin „Vampy“. Daraus hätte man bei
einem Relaunch von „SchoolJam“ positive Lehren ziehen
können…