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nmz-archiv
nmz 2003/12 | Seite 38
52. Jahrgang | Dez./Jan.
Jazz, Rock, Pop
Begrenzte Unmöglichkeiten
Pola Roy und Judith Holofernes von Wir sind Helden im Interview
Ob nun Spiderman, Daredevil, Hulk oder X-Men. Heroen mit Superkräften
liegen momentan schwer in Mode. Nicht nur auf der Kinoleinwand.
In Deutschland schickt sich eine Band an, die Musiklandschaft von
der Eintönigkeit zu befreien, und schmückt sich mit sensationell
bescheidener Aufmüpfigkeit schon jetzt vorsichtshalber mit
Lorbeeren. Diese fahren sie im Moment ein, die vier jungen Recken,
die in Berlin leben, wenn sie nicht gerade auf Tour sind. Frech
wie Oskar nennen sie ihre Musikkapelle „Wir Sind Helden“
und ohne zu wissen, wer dieser ominöse Oskar überhaupt
sein soll, ziehen sie inzwischen eine Fanschar hinter sich her wie
seiner Zeit der gute alte Rattenfänger.
Ihre jungen Zuhörer
fressen ihnen aus der Hand: Wir sind Helden. Foto: EMI
Von Wir Sind Helden selbst wird ihre Musik folgendermaßen
beschrieben: 28 Prozent Synthie, 34 Prozent Punk und 38 Prozent
Pop. Musik, die mit der Neuen Deutschen Welle der 80er-Jahre liebäugelt.
Und da gerade diese Dekade ja momentan die deutsche Popkultur wieder
fest in ihrer pinken manikürten Pranke hält, kommen die
blumigen, schön-traurig, kitschig-fröhlich-frechen Melodien
der Helden natürlich glänzend an.
Das ist aber nur die eine Seite der Münze. Die andere ist,
war und wird immer das Image einer Band sein. Wie wär’s
mit diesem: „Kleines alternatives Mädchen mit Gitarre,
umringt von starken Männern? Gabs auch schon mal in den 80ern,
klar. Dieses ist und war aber sehr rentabel. So rentabel, dass sich
damit 20 Jahre später prima Platten, Schuhe und Waschmittel
verkaufen lässt. Aber es soll in diesen Zeilen ja nicht um
die Wiederkehr von Nena gehen, sondern um Wir Sind Helden.
Judith Holofernes ist ihres Zeichens Sängerin, Gitarristin
und Liedautorin der Gruppe und seit geraumer Zeit ein wahres „Sweetheart“
der Medien. Einen anstrengenden Toursommer und viele Konzerte in
mittel- bis sehr großen Veranstaltungsorten hat sie mit Wir
sind Helden absolviert und berichtet euphorisch: „Es ist optimal
für eine Band, wenn so viele Leute zu den Konzerten kommen,
wie es bei uns der Fall war. Und wenn diese dann auch noch mitsingen
und von der Bühne springen wie die Lemminge, braucht man fast
nichts anderes im Leben.“
Hinter Frau Holofernes stehen übrigens noch drei männliche
Mithelden. Die sind aber in unmissverständlicher Weise die
„starken Jungs“ hinter einer noch stärkeren Frontfrau.
In wohlbekannten Deutschen TV Sendungen, wie „Die Harald Schmidt
Show“ oder Götz Alsmanns „Zimmer Frei“ wird
meist die Sängerin zu Wort gebeten und ein Platz auf der Couch
beziehungsweise an der Tafel angeboten.
Dieser Umstand scheint aber Jean-Michel Tourette (Keyboards, Gitarre),
Mark Tavassol (Bass) und Pola Roy (Schlagzeug) nicht weiter zu stören.
Letzterer behauptet sogar heldenhaft: „Ich fühle mich
durch Judith gut vertreten. Ich stehe voll hinter ihren Aussagen.
Wir nehmen uns aber als Band wahr. Es ist natürlich schon so,
dass Judith als Sängerin, Frontfrau, Haupttexterin und -komponistin
im Mittelpunkt steht. Es gibt aber auch Fixierungen, bei denen man
merkt, dass sie nur daraus folgen, dass Judith eine Frau ist“,
lenkt er ein. „Das ist auch ihr dann sehr unangenehm. Uns
ist zum Beispiel schon mal passiert, dass man uns vor einer Fernsehshow
sagte, dass man nur einen Stuhl hätte. Diesen sollte dann freilich
Judith einnehmen.“ Mit solchen ärgerlichen Zwischenfällen
muss man leben. Selbst wenn man der wohl größte deutsche
Newcomer des Jahres ist.
Das Debütalbum, „Die Reklamation“ verkaufte sich
übrigens sehr gut. So gut, dass es sich über Wochen in
den TopTen halten konnte. Pola Roy übt sich in Bescheidenheit:
„Das Album kam heraus und hatte einen solchen Erfolg, mit
dem keiner von uns gerechnet hätte. Wir wären mit viel
weniger extremst zufrieden gewesen.“
Man ertappt sich bei Wir Sind Helden immer und immer wieder bei
der Frage „Was macht diese Band so sympathisch?“. Eine
Antwort ist sicher, dass man bei ihnen das Gefühl hat, als
wären sie zum Erfolg gekommen wie die Jungfrau zum Kind. Und,
man hat es geahnt, genauso war es auch. Im Sommer des Jahres 2000
besuchte Judith Holofernes die schöne Stadt Hamburg. Dort lernte
sie dann Pola Roy und Jean-Michel Tourette kennen. Man kam auf die
Idee, eine Band zu gründen.
Wenig später wurde Mark Tavassol als letztes Mitglied verpflichtet.
Und wie das Frauen so können, überredete Judith Holofernes
ihre drei Kollegen, umzusiedeln und ihr nach Berlin zu folgen. Man
nimmt in Eigenregie eine CD mit fünf Titeln auf. Darauf befindet
sich die Single „Guten Tag“, zu der die Helden mit ein
paar Freunden ein schönes kleines Video drehten. Und nun kommt
das Unglaubliche: Ohne einen Plattenvertrag wird das Lied auf etlichen
Radiosendern gespielt und sogar MTV nimmt den Clip ins Programm
auf.
Von da an ging dann alles sehr schnell. Die Helden haben nun eine
Plattenfirma und all das, was man so braucht, um als Band Fuß
fassen zu können. „Guten Tag“ wurde vom Volk akzeptiert
und die dafür verantwortliche Band ins Herz geschlossen. Es
folgte ein riesiger Hit, namens „Müssen nur wollen“,
den die Spatzen inzwischen schon von den Dächern brüllen,
weil er wirklich wunderbar ist. Dann kam das nette Lied „Aurélie“
und nun steht die vierte Singleauskopplung auf dem neudeutschen
„Schedule“. „Denkmal“ heißt das Opus
und die Helden müssen sich auch hier keine Sorgen machen, ob
es auf Radio- und Fernsehsendern gespielt wird, da diese ihnen sowieso
aus der Hand fressen.