Harmonielehre, Kontrapunktlehre und Tonsatz gehören zu den
weniger beliebten, häufig isolierten, defizitären und
Prüfungsangst verbreitenden musikalischen Disziplinen. In ihrer
Modulationslehre befreit Doris Geller die Musiktheorie aus ihrem
Ghetto-Dasein, indem sie die komplette Harmonielehre akribisch aufarbeitet,
in den gesamtmusikalischen Kontext stellt und so tatsächliches
musikalisches Verständnis weckt.
Die klare und transparente Gliederung folgt den drei klassischen
Modulationsarten, nämlich „diatonisch“, „enharmonisch“
und „chromatisch“. Andere Varianten wie die „tonzentrale
Modulation“ (nach Haba), Möglichkeiten einstimmiger Tonartwechsel
oder die bekannte Dur-Moll-Durchlässigkeit einiger Akkorde
sind hier thematisiert. Ein eigenes Kapitel über die vielfältigen
Spielarten und Verwandtschaftsgrade freier Terzverwandtschaft und
Mediantik wäre wünschenswert gewesen. Kapitel vier
entfaltet Modulationen in tonalen und realen Sequenzen. Als besonders
wichtiges und schlüssiges Modell musikalischer Formung findet
die weitverbreitete barocke Quintfallsequenz besondere Beachtung.
Komplementär zur grob gerasterten Gliederung analysiert Geller
die einzelnen Bausteine und Strukturen verschiedener Modulations-Modelle
in feinsten Nuancierungen und erschöpfender Vielfalt. Dabei
verliert die Mannheimer Professorin niemals den Blick für den
Zusammenhang: harmonische Strukturen als Schlüssel für
das Gesamtverständnis. Auch aus diesem Grunde besetzt sie ebenso
wichtige wie zum Teil verwaiste Schnittstellen: zwischen Theorie
und Praxis beziehungsweise Notenblatt und Instrument, zwischen strengem
Satz und freier Improvisation, zwischen musikalischem Extrakt und
lebendigem Kunstwerk. Dabei kommt dem Klavier eine besondere Bedeutung
zu – nicht zuletzt getreu der bedeutsamen anthropologischen
These „vom Greifen zum Be-Greifen“.
Auf 72 Seiten kann vieles nur skizziert und angedacht werden.
Wertvolle Anregungen ermutigen zu weiterführenden, vertiefenden
Studien und keinesfalls zu Kritik. Ein wenig getrübt wird das
positive Bild durch einige inhaltliche und terminologische Unschärfen
sowie sprachliche Mängel.
In einer chromatischen Modulation „verliert die Funktionalität“
nicht zwangsläufig „an Bedeutung“ (verbreitet:
dominantische Wirkung durch „künstlichen“ Leitton).
Ebenso wenig zwingend „haben die Verbindungen Rückungscharakter“
(S. 46). Im Gegenteil: Häufig anzutreffende Kombinationen
aus chromatischen und diatonischen Fortschreitungen und liegenden
Stimmen garantieren eine hohe melodische und harmonische Kontinuität.
Fazit: Trotz kleinerer Einschränkungen ist das Buch empfehlenswert:
als profunde und gezielte Hilfe bei Prüfungsvorbereitungen
in Harmonielehre und Tonsatz, als solide Basis für aufbauende
und vertiefende Studien in freier Improvisation und Liedbegleitung,
Formenlehre und Analyse oder historisch-stilistischer Differenzierungen
im Sinne von Diether de la Motte, Thomas Krämer oder Ulrich
Kaiser.