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nmz-archiv
nmz 2003/12 | Seite 23
52. Jahrgang | Dez./Jan.
Bücher
Sehnsucht nach dem Authentischen
Udo Zimmermann: unverbesserlicher, von der Realisierbarkeit seiner
Träume Überzeugter
Frank Geißler/Brunhild Matthias (Hg.): Man sieht, was
man hört. Udo Zimmermann über Musik und Theater,
Reclam Leipzig, Leipzig 2003, 256 S., Abb., ISBN 3-379-00810-9,
€ 39,90
Er war Sängerknabe im Dresdner Kreuzchor, wollte in Dresden
zunächst Gesang und Dirigieren studieren und geriet fast durch
Zufall zum Komponieren – weil er wegen einer Erkältung
durch die Gesangs-Aufnahmeprüfung fiel. Nach einer Assistentenzeit
bei Walter Felsenstein an der Komischen Oper Berlin war er Dramaturg
an der Dresdner Staatsoper. Seine erste Oper „Die weiße
Rose“, 1967 noch für das Opernstudio der Dresdner Musikhochschule
entstanden, war auch gleich der Durchbruch und ist sein bekanntestes
Werk geblieben. Gründer der Konzertreihe „Studio Neue
Musik“, Leiter der Werkstatt für zeitgenössisches
Musiktheater in Bonn, Leitung des Dresdner Zentrums für Zeitgenössische
Musik und der „Musica Viva“ in München, Intendanzen
an den Opern in Leipzig und Berlin – spätestens hier
fragt man sich, wie viele Leben Udo Zimmermann eigentlich hat.
Tatsächlich ist es nur ein einziges, rastloses und äußerst
kreatives, das soeben sein sechzigstes Jahr vollendet hat. Es kreist
um das Musiktheater in allen erdenklichen Formen und Facetten. „Man
sieht, was man hört“ heißt denn auch der von dem
Musikwissenschaftler Frank Geißler herausgegebene Band, der
diese Vielseitigkeit mit Schriften von Zimmermann, Interviews und
Portraits zu würdigen versucht. Die Schlagworte „Musik
erfinden“, „Musik inszenieren“, „Musik fördern“
und „Musik und Kunst in der Gesellschaft“ kreisen jeweils
„Spielräume“ für eigene Werke, für Visionen
von Inszenierungen und neuen Klangmöglichkeiten oder „Sprachräumen“
für kulturpolitische Auseinandersetzung ein. Dabei erscheint
Zimmermann weniger als der „Macher“, für den man
ihn seinen Aktivitäten nach vielleicht halten könnte,
vielmehr als ein unverbesserlich von der Realisierbarkeit seiner
Träume Überzeugter, der auch Sehnsüchte und Selbstzweifel
freimütig einräumt. Bereits im Kreuzchor unter dem akribisch
strengen Leiter Rudolf Mauersberger seien Leistungsdruck und Versagensangst
entstanden, die ihm später gerade das Komponieren schwer gemacht
hätten: „nie habe ich einen Termin gehalten“. Dass
aber etwa in den Achtziger Jahren die Produktion spärlicher
wird, führt er eher darauf zurück, dass es ihn zu den
damaligen Umbruchzeiten in die unmittelbarer wirksame Praxis der
Opernarbeit drängte. Die Arbeit an der Leipziger Oper gleich
nach der Wende versteht er als „Gegenbewegung gegen eine ungeheure
geistige und ästhetische Stagnation“, Auswirkung der
Lethargie, die durch die verunsichernde Veränderung fast aller
Lebensbereiche aufkam. Selbst die glücklose Generalintendanz
an der Deutschen Oper Berlin war noch von dem Versuch geprägt,
„Oper als ein Teil zeitgenössischer Zeugenschaft zu begreifen“
und damit ein Bewusstsein für gesellschaftliche Entwicklungen
zu schärfen, in denen „viele Menschen allmählich
des Konsenses der äußeren Sicherheiten, der Warenherrschaft
müde geworden“ seien und „Sehnsucht nach dem Authentischen“
entstehe.
Zimmermann fand die Regisseure, die solche Sichtweisen in lebendige,
bühnenwirksame Aktion umsetzen konnten. Mit ausführlichem
Bild- und Pressematerial werden die wichtigsten Inszenierungen seiner
Intendanzen dokumentiert. „Jonny spielt auf“ von Ernst
Krenek, John Dews Mozart/Da Ponte-Zyklus, Erwin Schulhoffs deutsche
Erstinszenierung der „Flammen“, Stockhausens „Licht“-Opern
oder Schönbergs „Moses und Aron“, von George Tabori
inszeniert, belegen eindrucksvoll den Mut und die Phantasie, mit
der Zimmermann dem zu DDR-Zeiten „muffigen“ Haus internationale
Geltung verschaffte. In Berlin spricht etwa Hans Neuenfels’
„Idomeneo“-Inszenierung dafür, welch unermesslicher
Schaden durch Zimmermanns vorzeitigen, durch Personalquerelen und
Machtkämpfe verursachten Weggang entstanden ist. Auch die Kommentare
eigener Werke lesen sich geradezu als Lehrgang in Utopie, als Traum
vom anderen Ufer, zu dem man nie gelangen kann, das jedoch von entscheidender
Bedeutung für die eigene Lebensgestaltung ist. Und wenn auch
Sätze wie „Das erkennende Herz vermag manchmal mehr und
Tieferes als der Verstand [...] zu erfassen, von menschlicher Tragik,
dass ein Mensch seine Berufung gefährdet und verfehlt, weil
er im unabdingbaren Wagnis der Selbstfindung sich auch immer wieder
selbst in Frage stellen wird“ leicht redundant-überspannt
klingen, so fasziniert doch in diesem Band immer wieder das Ringen
um die Einheit von Hören und Sehen, Kunst und Leben, Musik
und Politik eines Visionärs, wie es in unserer zunehmend buchhalterisch
bestimmten Welt viel zu wenige gibt.