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nmz-archiv
nmz 2003/12 | Seite 19
52. Jahrgang | Dez./Jan.
Rezensionen
Kleiner Rundgang durch große Opernhäuser
Warner veröffentlicht Opern-Edition auf DVD-Video
Für immer mehr Melomanen wird der kleine Rundgang durch die
großen Opernhäuser zur täglichen Realität.
Nicht, weil Billigfluglinien fanatische Musikliebhaber als neue
Klientel erobert hätten. Und auch die stets horrenderen Preise
am Kartenmarkt scheinen momentan noch nicht der „Geiz-ist-geil“-Mentalität
zum Opfer gefallen zu sein. Nein, das alles sind nicht die wahren
Gründe dafür, dass sich das Interesse an Oper und ihrer
szenischen Realisierung in einem neuen Hoch befindet. Denn die Aufenthalte
in den Welt-Theatern sind rein fiktiver Art, sozusagen virtuell.
Im Flieger ist jeder sein eigener Kapitän, als Cockpit dient
die Fernbedienung.
Wann immer von den Möglichkeiten neuer Datenträger die
Rede ist, fallen früher oder später drei Buchstaben: DVD
und hier vornehmlich Video-DVD. Denn der Audio-Ableger des silbernen
Alleskönners wurde im Zuge des letzten Jahres von der SACD
meilenweit überrundet, fristet mittlerweile – wenn überhaupt
– ein dürftiges Nischendasein. Dahingegen erfreut sich
die Video-DVD vor allem unter Opern-Fans bester Beliebtheit. So
groß ist der Zuspruch seitens der Käufer, so unaufhaltsam
die Erfolgsstory der Digital Versatile Disc (DVD), dass immer mehr
Firmen sich ein Stück vom Kuchen sichern möchten und mit
eigenen Videos auf den Markt drängen. Jüngstes Beispiel:
Warner Vision und seine Staffel mit sieben Opern-Veröffentlichungen,
die jedoch alle bereits im analogen VHS-Format erhältlich waren.
Wer sich einen Überblick darüber verschaffen möchte,
was in den 80er- und frühen 90er-Jahren in London und Glyndebourne
als „State of the Art“ galt, wird sich über die
Edition freuen – Musiktheater auf der Höhe seiner Zeit.
Aufregende Bezüge zur Gegenwart, allgemeingültige aussagen
über die Befindlichkeiten auch heutiger Menschen, sollte niemand
erwarten: Die nahezu durchweg naturalistischen Inszenierungen ecken
in ihrer Konventionalität kaum an, dafür sind die Besetzungen
gut – manchmal sogar sehr gut.
Schöne Beispiele hierfür sind drei Videos mit Plácido
Domingo in seiner absoluten Glanzzeit. In Puccinis „Manon
Lescaut“ (Warner Vision 5050466-7174-2-9) ist er ein geradezu
idealer Des Grieux, der sich der Rolle völlig überantwortet
und sie mit der für ihn typischen Mischung aus lyrischer Innerlichkeit
und heroischem Pathos singt. Weitere Argumente für die Aufzeichnung
von 1983 sind die cremigen Töne von Kiri Te Kanawa in der Titelpartie
und das mediterrane Temperament des Dirigenten Giuseppe Sinopoli.
Ähnlich lebendig auch die Hand von Georges Prêtre in
der Aufnahme von Offenbachs „Les Contes d’Hoffmann“
(0630-19392-2). Sie entstand 1981 im Londoner Covent Garden und
ist das genaue Gegenteil zum Rivalen auf Arthaus: Dort erlebt man
aufregend surrealistische Bilder-Welten und distanzierte Sänger,
hier überzeugen Domingo in der Hauptrolle und Ileana Cotrubas
als Antonia eher denn die wenig individuelle Inszenierung John Schlesingers.
Solch gediegene Regie raubt dem Stück trotz guter Sänger
Bewegungsenergie und Vorwärtsdrang – bei Offenbach ebenso
wie in Strauss’ „Arabella“ aus Glyndebourne (063016912-2)
mit Ashley Putnam als Titelheldin und in Puccinis „La Fanciulla
del West“ (5050466-8356-2-8) mit Carol Neblett und Domingo
als Wildwest-Paar. Dagegen wirkt Leopold Lindtbergs ironische Inszenierung
einer All-Star- „Fledermaus“ (4509-99216-2) deutlich
spritziger. Dass sich der Katzenjammer nicht vorzeitig einstellt,
hat sicher mit der Sylvester-Einlage zweier Travestie-Künstler
und dem authentischen Frosch von Josef Meinrad zu tun. Zwar geraten
die Tempi mit Plácido Domingo am Pult der Covent Garden recht
träg und bieder, doch Hermann Prey (Eisenstein), Kiri Te Kanawa
(Rosalinde) und Dennis O’Neill lassen sich davon zum Glück
nicht beirren. Trotz allem: Die rivalisierende DVD mit einer Aufzeichnung
aus München bleibt die unangefochtene Referenz fürs Heimkino
– zumal wegen des überschäumenden Elans von Carlos
Kleiber.
Im Gegensatz dazu werden selbst gut sortierte DVD-Fans an zwei
Produktionen aus der Warner-Edition kaum vorbeikommen: Benjamin
Brittens „Peter Grimes“ (0630-16913-2) mit dem vor Intensität
glühenden Jon Vickers als Titelhelden, der bereits in nmz 10/2003
unter den DVD-Tipps rangierte. Das zweite Video, das sich guten
Gewissens empfehlen lässt: Janáceks „Die Sache
Makrupolos“ (0630-14016-2). Was hier nun endlich im Digital-Format
greifbar wird, reiht sich nahtlos in den maßstabsetzenden,
den Beginn einer neuen Renaissance des tschechischen Komponisten
markierenden Janáek-Zyklus, deren erste Teile „Kátja
Kabanová“ und „Jenufa“ bereits vor einiger
Zeit auf dem DVD-Vorreiter-Label Arthaus erschienen. In „Die
Sache Makrupolos“ setzte Regisseur Nikolaus Lehnhoff für
die Glyndebourne Festival Opera auf eine Mischung aus dezentem Realismus
und ausgefeilter Abstraktion. Zwei Pole, die in souveräner
Balance gehalten werden und spannende Gegensätze schaffen.
Mit Anja Silja hatte Lehnhoff aber auch eine Emilia Marty im Team,
die Anfang der 90er-Jahre, als die Aufzeichnung entstand, unschlagbar
war. Doch eigentlich ist es ungerecht, nur sie auf den Schild zu
heben – das gesamte Ensemble singt und spielt auf hohem Niveau.
Schade, dass ein so künstlerisch wertvolles Video ohne tiefergehenden
Kommentar ganz für sich selbst sprechen muss: Ein schmaler
Absatz auf einem Faltblatt ist alles, was Warner zu dieser legendären
Produktion beizusteuern hatte. Überhaupt ist die editorische
Seite das Manko. Wer sich für die genauen Besetzungsangaben
interessiert, muss auf den Abspann warten. Ausführliche Tracklistings,
Booklets mit Künstler-Biografien oder andere Extra-Features
sucht man vergeblich.