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nmz-archiv
nmz 2003/12 | Seite 28
52. Jahrgang | Dez./Jan.
ver.die
Fachgruppe Musik
Talfahrt der Kommunen: auch Köln hat die Krise
Zu den massiven Sparmaßnahmen an der Rheinischen Musikschule
· Ulrich Steiner
In Nordrhein-Westfalen hat ver.di soeben ein Schwarzbuch zur kulturellen
Situation herausgegeben, in dem dieser Beitrag von Ulrich Steiner
veröffentlicht wurde. Es ist zu beziehen über die Fax-Nummer
0221-528195.
Köln hat die Krise. An dieser Tatsache mochte auch Oberbürgermeister
Fritz Schramma in seinem Antwortschreiben vom 3. Februar 2003 an
Ver.di Köln nichts beschönigen. Irritiert zeigte sich
der Mann an der Spitze der Domstadt allerdings über die von
der Dienstleistungsgewerkschaft geäußerte Kritik zu Budgetkürzungen
an der Rheinischen Musikschule der Stadt in Höhe von zirka
400.000 Euro und verwies die mehr als zehnprozentige Einsparsumme
flugs in den Bereich der Gerüchteküche. Als weitaus besser
informiert erwies sich zu diesem Zeitpunkt bereits Schrammas Parteifreund
Professor Dr. Rolf Bietmann. Der Vorsitzende der Kölner CDU-Fraktion
teilte Ver.di mit Datum vom 23. Januar 2003 mit, dass für die
Rheinische Musikschule im Jahre 2003 eine Einsparsumme von 420.000
Euro erforderlich wäre. Und auch der SPD-Fraktionsvorsitzende
Martin Börschel kennt am 12. März bereits die Zahlen.
Er bezieht sich in seinem Schreiben auf die von der Verwaltung vorgeschlagene
Etatkürzung von zirka 400.000 Euro für die Musikschule.
Da entsteht schnell der Eindruck, als sei das Amt des Oberbürgermeisters
die am schlechtesten informierte Abteilung in der Kölner Verwaltung.
Trotzig formuliert dann aber OB Schramma: „Auch bei noch
so gutem Willen und schlüssigen Argumenten besteht überhaupt
keine andere Möglichkeit, als gerade die freiwilligen Aufgaben
auf den Prüfstand zu stellen und wenn möglich abzubauen“.
Moment mal – diese Vorschläge zur Haushaltskonsolidierung
kennen wir doch nun schon seit Jahrzehnten zur Genüge! Das
sind doch nun wirklich ganz alte Hüte. Und jeder weiß
auch, dass die Budgetkürzungen von inzwischen mehr als einer
Millionen Euro mit einem nun schon seit mehreren Jahren bestehenden
Einstellungsstop einhergehen, der übrigens zum Abbau von 21
vollen BAT-Stellen an der Musikschule führte. Während
der BAT-Lehrer neben der Unterrichtstätigkeit seine Schüler
auf interne und externe Wettbewerbe, auf Konzerte, Tanztheaterprojekte
oder Musicalaufführungen vorbereitet, haben die Honorarkräfte
keinerlei Verpflichtung, derartige Zusatzaufgaben mit ihren Schülern
zu übernehmen. Im Gegenteil: die verbleibenden BAT-Lehrer werden
mehr und mehr diesen wichtigen Baustein zeitgemäßer Musikschularbeit
für die Honorarkräfte mit leisten müssen. Man darf
gespannt sein, wie lange die zahlende Kundschaft, also die Schülereltern,
sich die Ungleichbehandlung ihrer Kinder gefallen lässt.
Vor diesem Hintergrund wirkt die vom Kölner Oberbürgermeister
angedrohte weitere Kürzung sogenannter „freiwilliger
Aufgaben“ schon recht grotesk. Weitaus sinnvoller wäre
es für die Kölner CDU, sich den Antrag der CDU-Fraktion
im nordrein-westfälischen Landtag auf die Fahne zu schreiben.
Diese hatte, unterzeichnet von Dr. Jürgen Rüttgers und
anderen, unter dem Titel „Leben mit Musik – Musikerziehung
von Anfang an“ Eckpunkte für die Förderung des musikalischen
Nachwuchses in Nordrhein-Westfalen formuliert und in Sachen Musikschule
festgestellt: „Musikschulen haben die einmalige Möglichkeit,
Kinder und Jugendliche entsprechend ihren Fähigkeiten und Begabungen
zu unterrichten. Entscheidend für den Unterricht an einer Musikschule
müssen individuelle Neigung und Begabung des Kindes sein.“
Der CDU-Antrag aus Düsseldorf macht klar, dass man rheinabwärts
schon ein gewaltiges Stück weiter ist.
Dabei darf allerdings nicht verschwiegen werden, dass dort der
SPD-Regierung mit ihren Vorschlägen zur „Offenen Ganztagsschule“
nicht gerade eine Steilvorlage gelungen ist. Gegen die Integration
von Horten in das neue Schulsystem laufen inzwischen Kirchen und
Gewerkschaften gemeinsam Sturm. Eine gewiss ungewöhnliche Partnerschaft.
Mit den Vorstellungen der NRW-Landesregierung, das erweiterte Schulangebot
mehr oder weniger zum Nulltarif durchführen zu können,
dürfte der nachhaltige Ruf nach besserer Schulbildung allerdings
kaum zu erfüllen sein. An diesem Punkt stellt sich dann spätestens
die Frage, wie eigentlich die Regierenden in Düsseldorf auf
die Idee kommen, für die RuhrTriennale 2002 bis 2004 insgesamt
42 Millionen Euro bereit zu stellen, wenn gleichzeitig land auf
und ab Musikschuletats gekürzt oder Musikschulen ganz dicht
gemacht werden, wenn die Ausbildung unserer Kinder im Nachmittagsbereich
von Ehrenamtlichen und Rentnern geleistet werden soll. Eine Frage,
auf die die Düsseldorfer wohl auch in Zukunft keine befriedigende
Antwort finden werden.
Doch zurück nach Köln. In seinem Schreiben an Ver.di
beziffert der SPD-Fraktionsvorsitzende Martin Börschel das
Haushaltsdefizit der Stadt auf 550 Millionen Euro. Ein Fehlbetrag
der erstmals ein Haushaltssicherungskonzept, das einer Genehmigung
durch den Regierungspräsidenten bedarf, notwendig macht. Doch
damit sei, so ist aus Politikerkreisen zu vernehmen, die Talsohle
noch keineswegs erreicht. Dieses Desaster hat sich bereits seit
mehreren Jahre angekündigt. Und dies nicht nur in Köln,
sondern in fast allen bundesdeutschen Kommunen. Da stellt sich dann
doch die Frage, warum Politiker überall der Misere tatenlos
zugesehen haben, warum die Kommunen nicht schon längst gegenüber
Land und Bund eine schärfere Gangart eingelegt haben. Erst
im März 2002 wurde von der Bundesregierung eine Kommission
zur Gemeindefinanzreform eingesetzt, die Vorschläge erarbeiten
soll, wie die Zahlungsunfähigkeit der Kommunen abgewendet werden
kann.
Die hochkarätig besetzte Kommission mit Vertretern aus Bund,
Ländern, Städtetag sowie Städte- und Gemeindeverband
sollte bis Anfang 2003 ihre Vorschläge vorlegen, da der Gesetzgebungsprozess
für eine Reform der Gemeindefinanzierung noch im Jahre 2003
abgeschlossen werden sollte. Leider ist nun abzusehen, dass der
ehrgeizige Zeitplan nicht einzuhalten sein wird. Die finanzielle
Talfahrt der Kommunen wird sich also auch weiterhin ungebremst fortsetzen.
So manche Gemeindevertretung greift da neuerdings zu drastischen
Maßnahmen: Am bayerischen Tegernsee postierten sich Gemeindevertreter
vor laufender Fernsehkamera, um gemeinsam am sprichwörtlichen
Hungertuch zu nagen. Ob dieser telegene Auftritt die Gemeinde vor
dem Kollaps bewahren kann, bleibt abzuwarten. Vorsorglich listete
der Bürgermeister schon mal den üblichen Horrorkatalog
auf: höhere Gebühren in der Bibliothek, weniger Kindergartenplätze
und so weiter. Auch der im „Spiegel“ Nr. 20 vom 12.
Mai 2003 abgebildete Protest von Kommunalpolitikern aus 20 Gemeinden
im Landkreis Bamberg ist zwar lobenswert, kommt aber um mindestens
zehn Jahre zu spät.
An der Rheinischen Musikschule zu Köln werden einstweilen
kreative Wege zum Überleben beschritten. So bemüht sich
die Schule verstärkt um Kooperation mit den Städtischen
Bühnen, um die Zusammenarbeit mit Museen, um gemeinsame Produktionen
mit der Kölner Philharmonie, mit der Hochschule für Musik
und mit Kölner Schulen. Synergieeffekte sind erwünscht,
neue Ideen im Bildungsbereich gefragt.
Was allerdings fehlt, ist die Unterstützung aus Verwaltung
und Politik. So fragen sich die Lehrer der Rheinischen Musikschule
wie auch ihre Vertreter in Ver.di schon seit geraumer Zeit, warum
sich die zuständigen Dezernenten samt diverser Ausschüsse
nicht gemeinsam an einen Tisch setzen, um die Zusammenarbeit zwischen
den Kultureinrichtungen der Stadt zu koordinieren und so die dringend
notwendige politische Unterstützung angedeihen zu lassen.
Im Jahre 2010 will Köln, so ist aus dem Rathaus zu vernehmen,
europäische Kulturhauptstadt werden. Damit die Kultur in Köln
bis dahin nicht auf den Hund kommt, plädiert Chefredakteur
Axel Hecht in der Kunstzeitung „Art“ für eine Kehrtwendung
im bildungs- und kulturpolitischen Denken des Kölner Rats.
Theater, Museen, Orchester, Musikschulen und Bibliotheken müssen
demnach in den kommenden Jahren auf breiter Basis gefördert
werden.
Köln muss zum Paradebeispiel einer mutigen Kultur- und Bildungspolitik
werden. Das und nur das wäre dann ein Weg aus der Krise. Auf
einem Scherbenhaufen jedenfalls lässt sich keine Kulturhauptstadt
begründen.