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nmz-archiv
nmz 2004/02 | Seite 8
53. Jahrgang | Februar
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Luigi Nono
Es gibt Komponisten, die es zu Lebzeiten dem Publikum keineswegs
leicht machten, deren Werke postum aber eine erstaunlich tiefe und
anhaltende Wirkung entfalten. Das ist auch der Fall beim 1990 verstorbenen
Luigi Nono. Das stets wache Interesse an seiner Musik hat nach seinem
Tod eher noch zugenommen. Es zeigte sich schon bei der großen
Nono-Retrospektive im Salzburger Zeitfluss-Festival. Es zeigt sich
auch am Erfolg seines „Prometeo“; das ebenso komplexe
wie subtile Hördrama gehört zu den meistgespielten musikdramatischen
Werken der Gegenwart. Und nun, zu Nonos achtzigstem Geburtstag am
29. Januar, finden an einigen Orten wieder Konzerte und sogar ganze
Konzertreihen mit seinen Werken statt.
Diese ungebrochene Faszinationskraft scheint rätselhaft.
Die kämpferischen politischen Positionen, die der italienische
Kommunist Nono vertreten hat, stehen dem heutigen Zeitgeist frontal
entgegen. Und auch seine enorm differenzierte Musik, die die Wahrnehmung
bis zum Äußersten fordert, scheint das durch akustische
Dauerberieselung abgestumpfte heutige Hören permanent zu überfordern.
Doch vielleicht liegt es gerade an der unnachgiebigen Haltung,
die der Komponist und Zeitgenosse Nono an den Tag legte, dass die
Auseinandersetzung mit seiner Musik ungebrochen anhält. Sie
wirkt wie ein Stimulans für aktives Hören, wie ein Antidot
zur um sich greifenden Begleitradio- und Easy-Listening-Kultur.
Wenn man die wie Diamanten blitzenden Klänge des Streichquartetts
von 1980 hört oder sich in die ausgetüftelten Raumklangkompositionen
aus Nonos letztem Lebensjahrzehnt vertieft, so wirkt das, bei aller
Zartheit dieser Klangkonstellationen, auf das Ohr wie ein reinigendes
Gewitter, das wieder den Blick in die Ferne ermöglicht. „Das
atmende Klarsein“, das luzide Werk für kleinen Chor,
Bassflöte und Live-Elektronik über Texte von Rilke, ist
da gleichsam Programm.
Nonos Stellungnahmen waren klar und kompromisslos bis zur Selbstpreisgabe.
Von seinem Weg als engagierter Komponist ließ er sich weder
durch die Vorwürfe serieller Puristen noch durch politische
Anfeindungen abbringen; in der politischen Diskussion scheute er
auch die Kritik an eigenen ideologischen Positionen nicht. Als Protest
gegen das Kriegsrecht in Polen komponierte er 1981 sein Zweites
Polnisches Tagebuch, in dem er mit den Worten von Welemir Chlebnikow
die „orthodoxen Wölfe“ in Moskau anklagte. Und
1983, als in Westeuropa Hunderttausende gegen die so genannte Nachrüstung
der Nato auf die Straße gingen, forderte er, man solle nicht
nur gegen amerikanische, sondern auch gegen russische Atomraketen
protestieren.
Sein selbstkritisches Denken radikalisierte sich um 1980, als
er im Freiburger Experimentalstudio die wirklichkeitsumstürzenden
Möglichkeiten der Live-Elektronik kennen lernte. Alles, was
zuvor fest schien, geriet für ihn nun ins Wanken, alle bisherigen
Konzepte wurden entwertet, der Wahrnehmung eröffneten sich
vollkommen neue Perspektiven. Der „suono mobile“, der
veränderliche und im Raum bewegliche Klang, wurde ihm zur Metapher
für die stetige Unruhe, für die große, fruchtbare
Unsicherheit in der Musik, in der Politik, im Leben.
Ein weiteres Thema beschäftigte ihn in den letzten Jahren:
Die zunehmende Ökonomisierung der Kultur und die damit verbundene
Versimpelung des Denkens. Der Markt erfordere schnelle Lösungen
und lasse keine offenen Fragen zu, kritisierte er. „Es gibt
Fragen, die haben keine Antwort. Diese Manie, alles zu erklären,
alles zu beweisen, alles zu organisieren, alles zu systematisieren,
führt zum Tod der Kultur. Heute sind wir schon sehr weit.“
Luigi Nono sagte das 1983. Zwanzig Jahre später ist es aktueller
denn je.