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nmz-archiv
nmz 2004/02 | Seite 35
53. Jahrgang | Februar
Oper & Konzert
Serenitas mit Elementen aller Stilrichtungen
Dem Komponisten Jürg Baur zu seinem 85. Geburtstag
Am 11. November 2003 wurde der Komponist Jürg Baur 85 Jahre
alt. Sein Geburtsort Düsseldorf blieb im Grunde sein Leben
lang Zentrum seines musikalischen Wirkens. Zwischen 1937 und 1939
hatte er Unterricht bei Philipp Jarnach in Köln, die Studien
setzte er dort nach russischer Kriegsgefangenschaft zwischen 1946
und 1948 fort und Baur ergänzte seine Ausbildung durch ein
Studium der Musikwissenschaft in Köln (bis 1951). Schon ab
1946 wirkte er als Dozent am Robert- Schumann-Konservatorium in
Düsseldorf, dem er nach Kantorentätigkeit an der Pauluskirche
Düsseldorf zwischen 1965 und 1971 als Direktor vorstand. Als
Nachfolger von Bernd Alois Zimmermann wirkte er von 1971 bis 1990
als Professor für Komposition in Köln.
Postmoderner Geist: Jürg
Baur.
Foto: Charlotte Oswald
Baur verfolgte stets mit kritisch wachem Verstand die Neuerungen
der musikalischen Moderne nach 1950 (sie wurden ja „vor Ort“
diskutiert, Köln war ein Zentrum der Auseinandersetzungen um
Serialismus, Elektronik oder musikalische Collagetechniken). Für
ihn aber waren andere Wurzeln entscheidender: Sein Werk knüpft
an Hindemith, Bartók, Strawinsky und diverse neoklassizistische
Bestrebungen an. „Ich war nie Avantgardist in extremer Art
und Weise, wollte Neue Musik schreiben, welcher der ‚normale’
Hörer zu folgen vermag, einen tiefen Zusammenhang darin erkennt
und sich davon angerührt fühlt. Aber ich habe viele neue
Techniken in die eigene Tonsprache und Klangvorstellungen einbezogen,
zum Teil sogar sehr streng (dodekaphone Strukturen, serielle Ordnungen
auf den Spuren von Schönberg und Webern). Im Bereich der Blockflötenmusik
um 1960 war ich sicher einer der ersten Avantgardisten – ,
aber nur solange es streng geformte, ausdrucks- und spannungsvolle
Musik blieb“, äußerte er noch jüngst in einem
Gespräch. Baur ging seinen eigenen Weg, spielerische Serenitas,
durchsetzt mit Elementen aus scheinbar divergierenden Stilmitteln
bis zum Jazz und der Tanzmusik, blieb ihm stets Orientierungspunkt.
Vor allem in den letzten 30 Jahren traten intensive Auseinandersetzungen
mit kompositorischen Charakteren der Tradition hinzu. Begegnungen
und hommageartige Werke über Gesualdo, Schumann, Mozart, Schubert,
Bartók, Johann Strauß (Sohn) oder Ravel mischten sich
in die eigene Sprache. Die Freude an kenntlich machenden Verbiegungen,
an diskursiven Amalgambildungen war die Basis solcher Näherungen.
Zu Jürg Baurs Orchesterwerken „als Dialog zwischen Tradition
und Moderne“ ist nun im Verlag Dohr eine Dissertation von
Lars Wallerang erschienen (woraus auch das obige Zitat Baurs stammt).
Sie zerfällt in zwei Teile: Zunächst wird belesen auf
Praktiken des Zitierens innerhalb der musikalischen Avantgarde von
Schnebel, Lachenmann, Henze, Berio, B.A. Zimmermann, Gubaidulina,
Rihm, Kagel, Nikolaus A. Huber, Schnittke oder Zender verwiesen.
Der Leser bekommt einen Abriss verschiedener kompositorischer Näherungen
ans Zitat, der sich freilich im Wesentlichen auf ein Zusammentragen
von Untersuchungen über die entsprechenden Komponisten beschränkt.
Auf den Begriff der Postmoderne wird fokussiert, ohne ihn freilich
zu verdichten.
Dem stehen Baurs Orchesterarbeiten über Schumann, Mozart,
Schubert oder Gesualdo im Grunde fern. Es sind Reflexionen im traditionellen
Sinne, nicht aber aus einem postmodernen Geiste heraus, der die
Prinzipien der Moderne offensiv zurückzudrängen sucht
(auch zu vielen Ansätzen der genannten anderen Komponisten
steht der Begriff Porstmoderne übrigens schief). Baur ist sich
dessen bewusst und hat das Attribut für sein musikalisches
Denken im Wesentlichen abgelehnt. Er dachte daran fortzuschreiben,
was von der seriellen Seite her vernachlässigt wurde: ein Verständnis
der Musik als spielerischen Akt. So hatte er einmal formuliert:
„...das, was das eigentliche Wesen der Musik ausmacht, Klang,
Form, Ausdruck, entzieht sich der Verbindung mit sozialer Ideologie.
Die Neue Musik sollte vielmehr, kraft ihrer besonderen Tonsprache,
sich bemühen, nicht das vordergründige Zeitgeschehen (wenn
auch noch so verschlüsselt und verfremdet) wiederzugeben und
wiederzuspiegeln, sondern zu überhöhen – und dabei
Ausdruck des Humanen, Tröstenden, ja sogar des poetisch Heiteren
(natürlich auch des schmerzvoll Verzweifelten) zu finden...
Es geht letzten Endes nicht um Konstruktion und System, sondern
um das Wesen der Dinge – Dinge, die den fühlenden und
denkenden Menschen ansprechen, erreichen und bewegen wollen.“
Unter diesen Aspekt hat Jürg Baur sein ganzes Schaffen gestellt.