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nmz-archiv
nmz 2004/02 | Seite 4
53. Jahrgang | Februar
Cluster
Die Kunst der Friseure
Der Mitteldeutsche Rundfunk wird in den „Dresdner Neuesten
Nachrichten“ vom 17.12.2003, anlässlich einer Pressekonferenz
zur Veränderung seines Radio-Kulturprogrammes in ein Programm
„Figaro” zitiert mit der Auskunft, Hörerumfragen
hätten ergeben, dass „es beim Begriff Kultur einen Abschreckungsfaktor
gibt”.
Mit dieser Feststellung – von der man so sehr wünscht,
es gäbe Anlass, sie zu bezweifeln – ist auf den Punkt
gebracht, was sich allenthalben und schon seit längerem abzeichnet;
zum Ende des Jahres 2003 ist es nun schließlich einmal als
deutlicher Satz ausgesprochen worden. Je öfter man diese Aussage
versucht zu bedenken, desto erschreckender offenbart sich ihre Ungeheuerlichkeit,
und alle je prämierten Unwörter des Jahres verblassen
gegenüber solchem Fazit.
Eigentlich müssten alle sofort auf die Straße eilen
und „Wir sind das Kulturvolk!” rufen, oder aber die
Koffer packen und Figaroland, ehemals Kulturnation, den Rücken
kehren. Aber wohin?
Für Kulturverantwortliche, also Leute, deren Beruf es ist,
für ein Kulturbewusstsein Verantwortung zu tragen, stellt sich
die Frage, ob das angeht, vor einer solchen Feststellung zurückzuweichen.
Eine Tatsache, die man zur Kenntnis zu nehmen hat, muss man als
bedauerlichen gesellschaftlichen Zustand ja nicht zugleich einfach
auch akzeptieren. Es geht immerhin um die Herausforderung, einen
jahrtausendgereiften Wertbegriff in seinem Anspruch und seiner Würde
zu verteidigen. Ob da ausreicht, sich etwas hübscher machen
zu wollen? – Dann sollte konsequenterweise der erfolgreiche
Herbert Roth, Deutschlands populärster singender Friseur, zum
Maßstab erkoren werden.