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nmz-archiv
nmz 2004/02 | Seite 15
53. Jahrgang | Februar
Deutscher Kulturrat
Der Staat, der Markt, die Bürger...
Wer leistet die kulturelle Grundversorgung? · Von Olaf
Zimmermann
Die Mehrzahl der Länder bekennen sich in ihren Verfassungen
zur Kultur und Kulturförderung. So ist in Artikel 3 (1) der
Verfassung des Freistaats Bayern festgelegt „Bayern ist ein
Rechts-, Kultur- und Sozialstaat” und weiter steht in Artikel
140 (1) „Kunst und Wissenschaft sind von Staat und Gemeinde
zu fördern. (2) Sie haben insbesondere Mittel zur Unterstützung
schöpferischer Künstler, Gelehrter oder Schriftsteller
bereitzustellen, die den Nachweis ernster künstlerischer oder
kultureller Tätigkeit erbringen. (3) Das kulturelle Leben und
der Sport sind von Staat und Gemeinden zu fördern.” Nun
gehört die Bayerische Verfassung sicherlich zu den weitgehendsten
deutschen Landesverfassungen, was die Verpflichtung zur Kulturförderung
betrifft, doch wird in den anderen Verfassungen zumindest der Schutz,
oder weicher formuliert: die Förderung des kulturellen Lebens,
festgelegt.
Die Verfassungen der Länder schreiben damit das Erbe der Feudalstaaten
fort. Kulturförderung in Deutschland war zuerst Förderung
durch die Kirche oder durch den Staat. Ein Blick zurück in
frühere Jahrhunderte belegt dies schnell, seien es mittelalterliche
Kirchenmalereien oder die Dichtkunst im Auftrag von Fürsten,
seien es Gemäldesammlungen von Fürstenhäusern oder
auch Theater, in denen nicht zuletzt der Fürst selbst teilweise
Rollen übernahm. Berichte über den weimarischen Hof der
Herzogin Anna Amalia belegen dies sehr anschaulich.
Es war also neben den Kirchen, die im Folgenden vernachlässigt
werden sollen, zuerst der Staat, der Künstler und damit auch
das kulturelle Leben förderte. Erst langsam bildete sich mit
der Entstehung des Bürgertums ein Markt für Kunst, der
es ermöglichte, dass ein Verlagswesen sowohl für Bücher
als auch für Noten entstand. Der Kunstmarkt im engeren Sinne,
also die privatwirtschaftliche Verwertung von Werken Bildender Kunst,
entstand erst im 19. Jahrhundert. Von der Vermarktung ihrer Werke
konnten jedoch nur die allerwenigsten Künstler leben, die Mehrzahl
musste sich in anderen Berufen verdingen.
Mit dem erstarkenden Bürgertum wuchs auch das Interesse an
Kultur und wohlhabende Bürger stifteten Kultureinrichtungen
wie das Städelsche Kunstinstitut oder sammelten für Denkmäler.
Gerade die Ende des 19. Jahrhunderts erstarkende Denkmalkultur ist
ein Ausdruck des bürgerlichen Kulturlebens. Die bürgerliche
Kultur ist eine Kultur in der Stadt.
ultureinrichtungen wie die vormalige Charlottenburger Oper, heute
Deutsche Oper Berlin, sind ein Teil dieser bürgerlichen städtischen
Kultur, die selbstbewusst eigene Kultureinrichtungen schafft und
sich damit von der adeligen Kultur emanzipiert.
Drei prägende Säulen
Die drei Säulen der Künstler- und Kulturförderung
– Markt, bürgerschaftliches Engagement und Staat –
prägen in Deutschland nach wie vor das kulturelle Leben.
Es gibt zum einen den Kulturmarkt. Hier werden Bücher, Kunstwerke,
Tonträger, Noten et cetera gehandelt. Bei den Kulturgütern
handelt es sich um Waren, Waren besonderer Art, wie immer wieder
betont wird. Verlage, die Phonowirtschaft, aber auch die Filmwirtschaft
verdeutlichen immer wieder, dass sie nur mit Hilfe der Massenartikel
hochwertige Kunst auf den Markt bringen können. Oder anders
ausgedrückt: Hera Lind finanziert Sarah Kirsch und Henning
Mankell Durs Grünbein. Oder auch: Dank Madonna kann in die
Nachwuchsband investiert werden. Trotz dieser Mischkalkulation unterliegt
der Kulturmarkt hauptsächlich ökonomischen Zwängen.
Eine Kulturförderung findet nicht statt, eine kulturelle Grundversorgung
wird nicht geleistet.
Zum zweiten sind die Stiftungen bürgerlichen Rechts sowie
die Vereine zu nennen. Sie sind Ausdruck des bürgerschaftlichen
Engagements im Kulturbereich. Stiftungen werden von Personen errichtet,
die ihr Vermögen mit der Idee der Kulturförderung verbinden
wollen. Die Mehrzahl der Kulturstiftungen sieht ihre Aufgabe darin
zusätzliche Aufgaben in der Kulturförderung zu übernehmen
und nicht die kulturelle Grundversorgung zu leisten. Gerade Kulturstiftungen
wurden im Zuge des Aufschwungs an Stiftungserrichtungen seit Ende
der 90er- Jahre häufig gegründet. Vereine haben entweder
als Fördervereine zum Ziel, Kultureinrichtungen wie Fördervereine
von Museen zu unterstützen oder aber sie fördern direkt
Künstler wie beispielsweise Kunstvereine und sind im Bereich
der Laienkultur aktiv. Generell kann gesagt werden, dass es sich
bei der Kulturförderung durch bürgerschaftliches Engagement
um das berühmte Sahnehäubchen auf dem Kaffee handelt.
Zum dritten sind die Kultureinrichtungen in der Trägerschaft
der öffentlichen Hand zu nennen. Sie sind teilweise ein Ausfluss
des Feudalismus, so ist es zum Beispiel zugleich die Freude und
das Leid des Freistaats Thüringen, dass sich sein Gebiet aus
vielen kleinen besonders kunstsinnigen Herzogtümern zusammensetzt
und es daher eine Vielzahl an kulturell bedeutsamen Bauwerken sowie
relativ viele Kultureinrichtungen gibt. Zum anderen Teil wurden
Kultureinrichtungen von selbstbewussten Bürgerstädten
gegründet. Betrachtet man die verschiedenen Bundesländer
heute, so lässt sich das Erbe vieler Jahrhunderte unschwer
erkennen. Die Freistaaten Bayern und Sachsen zehren hinsichtlich
ihrer Kunstschätze von der Sammellust ihrer feudalen Vorgängerstaaten
und bekennen sich in der Kulturförderung zur Verantwortung
für dieses Erbe.
Das Land Nordrhein-Westfalen als nach dem Zweiten Weltkrieg neu
zusammengesetztes Bundesland betreibt eine relativ kleine Landeskulturförderung.
Der größte Teil der Künstler- und Kulturförderung
wird hier von den Städten und Gemeinden übernommen. Die
öffentlichen Hände sichern heute in allen Bundesländern
die kulturelle Grundversorgung der Bevölkerung. In der aktuellen
Diskussion um die Kulturfinanzierung kommt der Wert der Kulturschätze
und des kulturellen Erbes viel zu kurz. Die Werke scheinen viel
mehr sehr oft ein „Klotz am Bein“ zu sein, da sie bewahrt
und gepflegt sein wollen. Die Kultureinrichtungen, besonders die
Theater, Opern und Museen, erscheinen als unbeweglich. Es erweist
sich, dass Prinzipien der öffentlichen Hand wie ein starres
Besoldungssystem sowie eine Haushaltspolitik in den engen Zwängen
der Kameralistik dazu führen, dass die Einrichtungen immer
mehr der öffentlichen Verwaltung ähneln. Das Eigentliche,
nämlich die Bewahrung und die Vermittlung von Kultur, tritt
demgegenüber in den Hintergrund.
Die Überführung von Kultureinrichtungen in Stiftungen
erscheint dabei als ein geeigneter Ausweg, aus den engen Zwängen
des Haushaltsrechts und der Beamtenbesoldung sowie der Vergütung
nach den Bundes- und Landesangestelltentarifen zu entkommen. Abgesehen
davon, dass, wie verschiedene Beiträge in diesem Buch zeigen,
der Wechsel der Rechtsform noch lange keine neue Unternehmenskultur
bedeutet, ist die Frage zu stellen, welchem Bereich die neuen hybriden
Formen der Kultureinrichtungen zuzuordnen sind.
Nach ihrer Rechtsform gehören sie dem dritten Sektor an, sind
also weder Staat noch Markt. Sie haben aber oftmals eine große
Staatsnähe, die sich auch darin niederschlägt, dass der
zuständige Minister und Senator in den Entscheidungsgremien
der Stiftung vertreten ist und direkten Einfluss auf die Ausrichtung
nehmen kann. Die Kultureinrichtung ist also nicht unabhängig
wie eine Stiftung sondern nach wie vor eng mit Politik und Verwaltung
des Landes und der Kommune verbunden. Die in Stiftungen überführten
Museen der Stadt Hamburg sind ein prägnantes Beispiel dieser
hybriden Formen.
Entscheidender noch als eine sozialwissenschaftliche Zuordnung
zu den verschiedenen gesellschaftlichen Sphären ist meines
Erachtens jedoch, ob die Überführung von Kultureinrichtungen
in Stiftungen nicht zugleich einen ersten Schritt aus der Verantwortung
des Staates für die kulturelle Grundversorgung bedeutet. Wie
oben dargelegt, sichert in Deutschland der Staat aus historisch
gewachsenen Gründen eine Grundversorgung an Kultureinrichtungen,
die zu relativ günstigen Preisen breiten Bevölkerungsschichten
zugänglich sind.
GATS und die Kultur
In allen Diskussionen um Liberalisierungen auf der europäischen
und im Rahmen der GATS-Verhandlungen auf der internationalen Ebene
wird von Seiten der öffentlichen Hand betont, dass diese Grundversorgung
von der Liberalisierung ausgenommen werden soll. Das heißt
konkret, dass Kultureinrichtungen sowie die Künstlerförderung
eben nicht unter Wettbewerbsgesichtspunkten betrachtet werden sollen.
Im Vorfeld der GATS-Verhandlungen im September 2003 in Cancún
(Mexiko) wurde ganz besonders von Seiten der deutschen Bundesländer
gefordert, den Kulturbereich in die Verhandlungen nicht einzubeziehen.
Der Deutsche Kulturrat hat diese Forderung mit Nachdruck unterstützt.
Auf der europäischen Ebene wurde im Oktober 2003 von der Europäischen
Kommission der erste Konsultationsprozess zu Dienstleistungen von
allgemeinem Interesse abgeschlossen. Neben Dienstleistungen wie
dem öffentlichen Personennahverkehr oder der Wasserversorgung
stehen auch Kulturdienstleistungsunternehmen wie Theater, Opern,
Museen, Konzerthäuser oder Kulturzentren, die sich in Trägerschaft
der öffentlichen Hand oder die sich in privater Trägerschaft
(Stiftung, Verein, GmbH) befinden und die von der öffentlichen
Hand subventioniert werden, im Mittelpunkt des Interesses. Der Deutsche
Kulturrat hat sich im Rahmen dieses Konsultationsprozesses für
eine Grundversorgung mit Kultureinrichtungen ausgesprochen. Dabei
versteht es sich, dass der Begriff der Grundversorgung inhaltlich
gefüllt und vor dem Hintergrund der jeweiligen regionalen Gegebenheiten
betrachtet werden muss. Das Plädoyer für eine Grundversorgung
mit Kultur impliziert noch nicht, dass diese Grundversorgung ausschließlich
durch Kultureinrichtungen in Trägerschaft der öffentlichen
Hand erbracht werden muss. Es sollte jedoch deutlich sein, dass
ein Rückzug des Staates aus der direkten Kulturfinanzierung,
einen ersten Rückzug aus einer staatlich verantworteten Grundversorgung
mit Kultur ist. Die Wahl einer neuen Rechtsform für Kultureinrichtungen
ist mehr als die Ablösung der Kameralistik durch die kaufmännische
Buchführung. Es ist der Einstieg in eine neue Kulturpolitik,
die nicht mehr vom Primat des Staates ausgeht. Die kulturpolitischen
Implikationen der Umstrukturierung werden bei aller Begeisterung
für mehr Wirtschaftlichkeit in den Einrichtungen und die bessere
Motivation von Mitarbeitern oftmals vergessen. Ebenfalls vergessen
wird, dass private Kultureinrichtungen wie Stiftungen sehr viel
schneller in das Visier der Liberalisierung, sei es auf der europäischen
(Europäische Kommission) oder der internationalen Ebene (Welthandelsorganisation),
geraten können, als es bei Kultureinrichtungen in Trägerschaft
der öffentlichen Hand ist.
Es bleibt abzuwarten, ob die Europäische Kommission nicht
in der Zukunft die Förderung von Kultureinrichtungen in der
Rechtsform einer Stiftung als Wettbewerbsverzerrung gegenüber
ungeförderten privatwirtschaftlichen Unternehmen betrachten
wird oder ob auf Dauer die Kultureinrichtungsstiftungen aus dem
GATS-Reglement herausgehalten werden können. Als Aufgabe für
die Zukunft gilt, den Prozess der Veränderung stärker
unter kulturpolitischem Blickwinkel und weniger unter betriebswirtschaftlichem
zu betrachten.