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nmz-archiv
nmz 2004/02 | Seite 1
53. Jahrgang | Februar
Leitartikel
Grundwerte-Wirr-Warr
Wenn’s um Wert geht: Deutsche Bank. Bei der Auswahl seiner
Vorsitzenden legt das Kreditinstitut mit dem staatstragenden Namen
offensichtlich Augenmerk auf hohe lyrische Kompetenz. Mit der Allegorie
von der Erdnuss vermittelte seinerzeit Hilmar Kopper einen tiefen
Einblick in hausinterne Rankings und Wechsel-Kurse: Der 50-Millionen-Mark-Schaden
als Wertberichtigungs-Bedarf im Peanut-Format. Sein Enkel Josef
Ackermann (den Leo-Kirch-Terminator Rolf E. Breuer überspringen
wir mal) outet vor der Szenerie von hohen achtstelligen Abfindungen
bei Mannesmann die Bundesrepublik als das „einzige Land, wo
diejenigen, die erfolgreich sind und Werte schaffen, deswegen vor
Gericht stehen“.
Man läge nicht ganz richtig, schlösse man aus diesem
Urteil messerscharf die Begründung für den dramatischen
Musiklehrer-Mangel in vielen Bundesländern – die Damen
und Herren befinden sich vermutlich gerade in Untersuchungshaft.
Was was wert ist und wieviel, was ein Wert ist und warum: Darüber
herrscht hierzulande nicht nur babylonische Sprachverwirrung sondern
ein nahezu schon pathologischer Denk-Infarkt. Dies zu beheben ist
eine Studie des „Frankfurter Institutes für Musikpädagogik“
auch nicht gerade angetan: Sie prüfte die Blut-Werte eines
Frankfurter Laienchores vor und nach einer Probe des Mozart-Requiems
mit dem Fazit: Eine wertvolle weil resistenzfördernde Konzentrationssteigerung
von Immunglobulin A und Cortisol durch den Gesang ließ sich
im Lebenssaft der Sängerinnen und Sänger nachweisen. Welcher
Global-Pharma-Player vertreibt als erster Chorliteratur über
Apotheken?
Wenig hilfreich auch die jüngste Hauspost des Deutschen Musikrates
unter dem Leitmotiv Musik und Mammon: Schon im Editorial wird man
etwas realitätsfremd belehrt, dass gerade die Wirtschaft den
Wert von Musik längst erkannt habe, um fünf Seiten später
zu erfahren, Kultursponsoring mache gerade mal 0,5 Prozent beispielsweise
der Theaterhaushalte aus (als kleine Zusatz-Info: das wären
0,0005 Prozent am Bildungsetat). Was denn nun? Neue Musik bei der
Fußball-Weltmeisterschaft als sättigende Wert-Beilage
zum Elfmeter-Menü (so ein Musik-Rat-Schlag)?
Da halten wir es lieber mit dem Leitsatz der GEMA: „Musik
hat ihren Wert“. Dort stimmt wenigstens die Reihenfolge. Im
Zentrum steht der wertgeschätzte Gegenstand, die Konsequenzen
sind angemessen materiell. Angesichts der verbreiteten denk-verfaulenden
Hirnverfettung hierzulande schlagen wir zudem für jeden zweiten
Tag dieses Jahres die Umkehrung einer gern zitierten Brecht-These
als bindendes Gebot vor: Erst kommt die Moral, dann das Fressen.
Basta.