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nmz-archiv
nmz 2004/02 | Seite 14
53. Jahrgang | Februar
Musikvermittlung
György Ligeti kam auch bis Afrika
Ein musikalischer Ferienworkshop für Kinder im Kölner
Stadtgarten
„Yamoh, Yamoh. Amba!“, so begrüßen sich
Kinder an Afrikas Elfenbeinküste. Der Gruß ist Auftakt
eines Ferienworkshops für Kinder und Jugendliche von 8 und
18 Jahren, veranstaltet von der KölnMusik und Offenen Jazz
Haus Schule Köln. Was die Wörter bedeuten, ist weniger
wichtig. Wohl aber der Spaß am Klang der Silben, dem Rhythmus,
der Bewegung, dem Miteinander.
Angestoßen wurde die Workshop-Idee seitens der Köln
Musik, anlässlich ihrer Konzertreihe zum 80. Geburtstag von
György Ligeti. Lange Zeit hat sich der ungarische Komponist
mit afrikanischer Musik auseinander gesetzt, mit den „musikalischen
Illusionsgestalten“ polyphoner Klänge aus Uganda, Malawi,
Simbabwe und Kamerun. Ein musikalischer Brückenschlag zwischen
Kontinenten und Kulturen. „Ligeti in Afrika“: unter
diesem Motto konnten nun die Kinder und Jugendlichen an fünf
Tagen im vergangenen Herbst in den mittelalterlichen Räumen
der Kölner Eigelsteintorburg durch den Bau eines Balaphons
und eigenes Musizieren Gemeinsamkeiten und Unterschieden zeitgenössischer
europäischer und afrikanischer Musiktradition auf die Spur
kommen.
Ein Bala- was? Die Kinder rätseln ein bisschen herum. „Wir
wussten nie, dass es so Balaphone gibt und dass da „Bala“-
vorkam. Wir haben nämlich immer gedacht, dass das Megaphon
oder Xylophon oder Telefon oder so was heißt,“ gesteht
Julia, ein 10-jähriges Mädchen aus der Kindergruppe. Inzwischen
weiß sie, was ein Balaphon ist: ein bisschen sieht es aus
wie ein zu groß geratenes Xylophon, nur sind die Klangstäbe
nicht aus Metall, sondern aus Hartholz und unter dem Gestell aus
Holzstäben sind Kalebassen als Resonanzkörper angebracht.
Balaphon, selbst gebaut:
Spielerisch lernen junge Musiker neue Klänge kennen.
Foto: Echlas Abbis/transparent
Geleitet wurde der Workshop von dem Kölner Jazzpianisten Hans
Lüdemann und dem afrikanischen Balaphon-Spieler Ali Keita.
Beide verbinden zahlreiche gemeinsame Projekte und ihre Band, das
„Trio Ivoire“. Mehrfach reiste Hans Lüdemann bereits
nach Afrika, schnitzt, bis er zur temperierten Stimmung des Klaviers
passt. Jetzt sind die Balaphone fertig. Die Kinder sind stolz und
Valerie findet, dass ihr selbst gebautes Balaphon richtig professionell
aussieht: „Als hätte das jemand gemacht, der das schon
ganz oft gemacht hat.“ Für heute ist die Arbeit geschafft.
Zum Abschied spielen sie noch ein afrikanisches Kinderspiel. Wildschwein
fangen. Alle stehen mit gegrätschten Beinen hintereinander,
einer krabbelt durch den Tunnel und ruft dabei den afrikanischen
Wildschweinruf. Klatschen, Singen, Bewegen – es werden viele
Ebenen angesprochen, sich der afrikanischen Musik zu nähern.
Weitgehend ohne Noten, stattdessen durch konzentriertes Zuhören,
auf das, was die anderen machen. Die Kinder sind begeistert dabei.
Vielleicht nicht zuletzt deshalb, weil sich Ali Keita und Hans Lüdemann
nicht als Pädagogen verstehen, die „Wissen“ vermitteln
wollen, sondern als Musiker, denen es in erster Linie ums gemeinsame
Spiel und den Spaß an der Musik geht. Eine Grundüberlegung,
die bei der Konzeption des Workshops für Rainer Linke, den
Leiter der Jazz Haus Schule, und Agnes Rottland, der Koordinatorin
für Kinderprojekte der KölnMusik, besonders wichtig war.
Die Begegnung und Zusammenarbeit mit professionellen Musikern sollte
die Wahrnehmung und Urteilsfähigkeit der Kinder schärfen,
den eigenen musikalischen Erfahrungsschatz kreativ erweitern und
die Offenheit und Aufnahmebereitschaft für aktuelle Musik fördern,
ein wesentlicher Bestandteil unserer vielschichtigen Kultur. Doch
bei allem kreativen Elan und wohl überlegten Konzepten: ohne
zusätzlich bereit gestellte Gelder wäre ein solches Projekt
nicht zu realisieren. In diesem Fall kam die finanzielle Unterstützung
von Seiten der rhein land ag. Eine partnerschaftliche Initiative
der Städte Bonn, Köln, Düsseldorf und Duisburg, deren
jeweilige Kulturdezernenten das kulturelle Profil der Region von
Rhein und Ruhr stärken und mit Unterstützung des Kulturministeriums
NRW identitätsstiftende, kulturelle Schwerpunkte setzen wollen.
Das Workshop-Konzept von KölnMusik und Jazz Haus Schule überzeugte.
Haben die Kinder in den ersten Tagen über das Bauen der Balaphone
und ihrem spielerischen Umgang mit afrikanischer Musik und einem
Jazzstück von Hans Lüdemann verschiedene Bereiche improvisierter
Musik kennen gelernt, steht als nächstes eine Ligeti-Etüde
seines „Zauberlehrlings“ auf dem Programm. Zusammen
mit Hans Lüdemann klatschen einige Kinder gerade Viertel, die
anderen versuchen, genau in die Pausen zu treffen. Das braucht Zeit,
Ausdauer und Geduld. Ali Keita und Hans Lüdemann können
davon den Kindern genug vermitteln. Mit den vertrackten Rhythmen
der Ligeti-Etüde im Ohr besuchen sie nun eine Probe mit Pierre-Laurent
Aimard in der Kölner Philharmonie. Der französische Pianist,
Spezialist für die Musik György Ligetis, stellt ihnen
anschaulich einige Ligeti-Etüden vor. Er spricht in Bildern
und Geschichten. Etwa dieser, wie Ligeti während eines Aufenthalts
in Amerika jeden Tag mit dem Fahrrad einen steilen Berg in Serpentinen
hochfahren musste und ihm dabei regelmäßig die Puste
ausging. Die chromatischen Töne, die jetzt mal drängend
nach vorne preschen, mal stotternd ins Nichts versinken, malen die
Szene plastisch nach. Die körperlichen Mühen des Komponisten
kann man sich lebhaft vorstellen. Bei einer anderen Etüde spricht
Aimard von Motten, die Löcher in einen Teppich fressen. Auch
in die Partitur scheinen sie Löcher gefressen zu haben, wenn
die Finger der linken Hand Tasten heruntergedrückt lassen,
über die die rechte Hand rasend schnell hinwegspielt. Paradox
für den Pianisten, Tonfolgen zu spielen, von denen nicht alle
Töne zu hören sind. Beinahe komisch für die Zuhörer,
wenn sie mit der Nase so dicht dabei sind wie die Workshop-Kinder.
Zum Konzert mit Pierre-Laurent Aimard am Samstagabend sind alle
Kinder eingeladen. Der Eintritt ist in der Kursgebühr bereits
enthalten.
Ein anderes Highlight des Konzerts: ein Auftritt der AKA-Pygmäen.
1,40 Meter große Männer und Frauen aus Zentralafrika
stellen den traditionellen, hoch komplexen polyrhythmischen Gesang
ihres Volkes vor. Die Kinder sind nachhaltig beeindruckt. „Begegnung
mit Fremden und Fremdem“: ein weiteres erklärtes Ziel
der Initiative von Jazz Haus Schule und KölnMusik. Die erste
Kooperation beider Institutionen verlief überaus erfolgreich.
Freilich kein Zufallsprodukt, denn beide verfügen über
langjährige Erfahrung in der Kinder- und Jugendarbeit. So veranstaltet
die KölnMusik regelmäßig in Kooperation mit dem
WDR und dem Büro für Konzertpädagogik „Response“-Projekte,
bei denen Kinder und Jugendliche aus Kölner Schulen unter Anleitung
von Komponisten Stücke zu einem bestimmten Thema erarbeiten
und auf den Konzertbühnen des WDR oder der Kölner Philharmonie
aufführen. Die Offene Jazz Haus Schule bietet in Kursen, Workshops
und Weiterbildungsmaßnahmen Unterricht für Kinder, Jugendliche
und Erwachsene an, mit dem Ziel des „kreativen, verantwortungsvollen
und selbstständigen Umgangs mit Musik, der Förderung der
Gesamtpersönlichkeit von Kindern und Jugendlichen und der Integration
verschiedener ethnischer, religiöser und sozialer Gruppen.“
Für die Workshop-Kinder geht es nach der Probe mit Pierre-Laurent
Aimard weiter zum Stadtgarten, einem der maßgeblichen Veranstaltungsorte
für Jazzkonzerte in Köln. Die Balaphone stehen schon im
Halbkreis auf der Bühne. Für einige Kinder ist es der
erste Auftritt, ein bisschen Aufregung gehört wohl dazu. Das
Konzert wird ein voller Erfolg. Das Publikum erklatscht sich begeistert
Zugaben. Für die KölnMusik und Offene Jazz Haus Schule
wird es nicht das letzte gemeinsame Projekt sein. Der nächste
Workshop mit den Teilnehmern, die auch diesmal dabei waren, ist
bereits geplant. Dann findet das Abschlusskonzert in der Kölner
Philharmonie statt, pünktlich zum Kindertag am 20. Mai. Andere
Kinder, die die Philharmonie an diesem Tag besuchen werden, können
unter Anleitung der Workshop-Kinder und des „Trio Ivoire“
auf den Balaphonen spielen. Ob der Workshop allerdings stattfinden
wird, hängt von der finanziellen Förderung des Landes
NRW ab. Verbindliche Zusagen gibt es noch nicht.