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nmz-archiv
nmz 2004/02 | Seite 44
53. Jahrgang | Februar
Nachschlag
Wegschauen, zuschlagen
Die Wogen gingen hoch zwischen Stockholm und Tel Aviv. Anlass
war ein Exponat im Historischen Museum zu Stockholm. Die Ausstellung
„Making Differences” war in Bezug auf eine internationale
Konferenz zum Thema „Völkermord” konzipiert. Dort
also fand sich die Installation „Schneewittchen und der Wahnsinn
der Wahrheit” von Dror Feiler und seiner Frau Gunilla Sköld
Feiler: Auf dem blutrot gefärbten Wasser eines Bassins schwamm
ein kleines weißes Schiff mit der Aufschrift „Snövit”,
das als Segel das Bild der palästinensischen Selbstmordattentäterin
Hanadi Jaradat zeigte, die im Oktober 2003 in einem Restaurant in
Haifa 21 Menschen mit sich in die Luft gesprengt hatte. Zu hören
waren dazu eine elektronisch veränderte Version von Bachs Kantate
„Mein Herz schwimmt in Blut” und Ausschnitte aus dem
Märchen und von Jaradats Lebensgeschichte. In der „Süddeutschen”
war in einem Kommentar zu lesen, dass die Welt zum ersten Mal von
einem Künstler namens Dror Feiler (einem in Schweden lebenden
Israeli) gehört habe. Vermutlich war da das Suchobjektiv falsch
eingestellt. Feiler ist unter Avantgarde-Musikern ein durchaus vertrauter
Name, er war als Komponist oder radikaler Saxophonist in Donaueschingen
und bei vielen anderen Festivals der zeitgenössischen Musik
immer wieder vertreten. Aus seiner politischen Ausrichtung seiner
Musik machte er nie einen Hehl. Fast immer bewegt sie sich an der
oberen Lautstärkegrenze, in Bereichen, wo es weh tut.
„Der Hörer soll”, so äußerte er einmal,
„keine Gelegenheit bekommen, Winkelzüge des formalistisch
intellektuellen Hörens dazwischen zu schalten.“ Und im
Dröhnen des massiven Schalldrucks zeigt sich eine intensive
musikalische Sensibilität, eine innige Hinwendung zum Menschen
und seinen Nöten in den gegenwärtigen Gesellschaftssystemen.
Ausdruck finden sie im Schrei, in aggressiver Auflehnung. Feiler
ist nicht auf Effekte aus, der Zustand der Welt aber gibt seinem
musikalischen Fühlen nicht den Raum der Mitte, die Region des
vorgeblich Angenehmen. Feilers Musik ist keine zum Weghören
und vielleicht ist das auch einer ihrer inneren Impulse in einer
Welt, die das Wegschauen und Weghören zum Überlebensprinzip
der Saturierten macht. Und das sogar manchmal in dialektischer Verdrehung:
Die eingebundenen Journalisten beim letzten Irak-Krieg berichteten
vor Ort und leisteten gerade durch diese Direktheit die erwünschten
Dienste im Verbiegen der Wirklichkeit.
Vielleicht war dies – dieses einfache aber unausweichliche
Hinschauen – der Grund, warum der israelitische Botschafter
Zvi Mazel so heftig vagabundierend reagierte und die Installation
zerstörte. Das Ehepaar Feiler legte es, trotz der extremen
und provokanten Sichtweise, die bewusst Grenzgebiete (auch des Geschmacks)
betritt, gewiss nicht darauf an, das Selbstmordattentat zu verherrlichen
oder gar die Opfer zu verhöhnen (so Mazel). Das klingt eher
wie ein Vorwurf, der eigenes schlechtes Gewissen kaschiert! Man
soll, so wäre die Installation zu deuten, hinschauen auf die
Verzweiflung auf beiden Seiten, man soll nachdenken über die
fatalen Wirkungsmechanismen von Gewalt und Rache. Die Fähigkeit
zu trauern, die immer mehr verödet, gilt es zu retten (es war
schon immer zentrales Anliegen der Kunst, sei es auf musikalischem
Gebiet Schütz, Bach, Schubert oder Mahler). Denn nur die Trauer
über das Ungeheuerliche, das in menschlichen Seelen losgetreten
wird (Jaradat hatte gerade ihren Bruder und einen Freund durch die
israelitische Armee verloren), nur die Trauer auf beiden Seiten
kann vielleicht den Teufelskreis der Gewalt lösen. Dazu gehört
eines: sich in die Position des anderen zu versetzen, zu differenzieren.
Das ist die Bastion jeglicher Kunst, die ernst genommen werden will.
Die radikalen Offiziellen Israels und radikalen Fanatiker Palästinas
können das längst nicht mehr. Hier gilt nur wie auch bei
den Falken in der US-Regierung ein blindes Freund-Feind-Denken.
Der Israelit Feiler lebt dieses Denken des trauernden Sich-Versetzens
in seiner Kunst vehement und mit extremen Mitteln vor – in
seiner Musik, jetzt ähnlich in der Installation. Aber eher
wohl wird man ihm den Status des „echten Israeliten”
absprechen, als darüber nachzusinnen, ob beim eigenen Rechtfertigungsdenken
alles stimmt.