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nmz-archiv
nmz 2004/02 | Seite 37
53. Jahrgang | Februar
Jazz, Rock, Pop
Songwriter mit Band, aber doch alleine
Chris Cabbarra und Dashboard Confessional als kollektive Einheit
Chris Carrabba ist tätowiert. An beiden Armen fast vollständig.
Vielleicht Synoym für seine noch jungen Emotionsnarben, allerdings
nicht gleichbedeutend mit lauter und hässlicher Musik. Chris
Carrabba hat Metarmorphorsen hinter sich. Mehr noch Häutungen.
Keine ungewöhnlichen, aber prägende. Dem jungen Carrabba
wurde das Herz gebrochen. Verdächtig wird eine Frau. Gefrustet
nahm er mit seiner Gitarre 2000 das akustisch-romantsiche Schmerzensalbum
„The Swiss Army Romance“ auf und vertrieb es in Eigenregie.
Mit einem Stuhl als Bühnendekoration machte er sich auf Tournee
und erzählte allen von seiner verletzten Seele.
Die, die jene Geschichten hörten, waren sofort Feuer und Flamme
für die verstehenden, gefühligen Songtexte des verstörten
Tätowierten. Nach wie vor vom Leben irritiert nimmt Carrabba
2002 ein weiteres Album namens „The Places You Have Come To
Fear The Most“ (Goldstatus in den USA) auf und tourt zu Promotionzwecken
mit Freunden (die später zur Band Dashboard Confessional werden)
durch Clubs und Bars. Und exakt dort passiert das schier Unfassbare.
Das wunderbare Geheimnis seiner Songs und Texte wurde von den Fans
der ersten Stunde verbreitet. Carrabbas Anhängerschaft verdreifachte
sich auf einen Schlag. Sogar MTV wurde auf den sensiblen Armmalereien
tragenden Songwriter aufmerksam, spielte regelmäßig das
Video „Screaming Infidelitis“ und bot ihm an, als erster
völlig unbekannter Künstler „MTV Unplugged“
aufzuzeichnen. Daraus resultierten ein MTV Zuschauer Award, die
Platinauszeichnung der „MTV Unplugged“ DVD und eine
Tour mit den Helden der alternativen Szene „Weezer“.
Chris Carrabba nahm sich aber trotz des Erfolges die Zeit, nach
den Konzerten mit seinen Fans zu sprechen. Über seine Probleme,
über ihre Ängste. Er therapierte sich und wurde ein glücklicher
Mensch.
Ein Glücksmensch, der den frühen Bühnenstuhl zum
Thron machte? „Mitnichten“, sagt Carrabba, „ich
brauchte den Stuhl damals zum Sitzen und irgendwie passte er nun
in die traurige Geschichte meiner Entwicklung als Musiker“.
Wobei Musiker bei ihm nicht klar definiert ist. Zwar sind seine
Wurzeln eindeutig Songwriter Tendenzen, doch bereits mit dem zweiten
Album trat Chris Carrabba mit Gesamtband auf. Vom Stuhl zur Bank.
„Ich springe dauernd zwischen diesen Optionen hin und her“,
meint ein nachdenklicher Chris Carrabba, „aber eines möchte
ich Ihnen sagen. Als Solokünstler ist es schwierig, die nötige
Aufmerksamkeit zu bekommen. Man verschwindet in der Masse. Als Band
scheint es leichter zu sein“. Wobei die Entscheidung zur Band
einem introvertierten Typen wie Chris Carrabba relativ schwer fallen
dürfte.
Schließlich benötigt man das entsprechende Vertrauen
in die Menschen der Gruppe. „Absolut richtig. Deswegen habe
ich keine Band im gesucht, sondern eher um mich herum aufgebaut“.
Ausgelebt wird eine Sehnsucht nach Liebe, Erlösung und Nostalgie.
Ein Album, das eher nach Detroit klingt, aber tatsächlich in
Florida eingespielt wurde. Zumindest klingt die Sonne in Chris Carrabbas
Songs nicht zwingend nach Florida. Er protestiert. „Natürlich
scheint Ihre Sonne anders als meine, aber da ich in Florida lebe,
interpretiere ich die Sonne eben so. Auch Sonne hat schattige Seiten.
Und ich denke, dass man trotz trauriger Momente in Songs wie „Hands
Down“, „As Lovers Go“ oder „Carry This Picture“
reine Glücksgefühle hören kann“. Glücksgefühle,
die er sich hart erkämpfen mußte, liest man seine zynische
Lebensbetrachtung in „Bend and not break“.
Frei übersetzt beschreibt er sich mit Worten: „Ich scheitere
bereits vor jedem Versuch, ich habe Talent zu atmen, insbesondere
beim Ausatmen“. Was erwartet so einer von sich selbst. Wie
geht er mit sich um? Chris Carrabba setzt mehrmals zur Antwort an:
„So richtig habe ich noch gar nicht herausgefunden, ob ich
im täglichen Leben zynisch bin. Ich halte mich für hoffnungsvoll
und glücklich. Allerdings gibt es da noch ein anderes Leben,
in dem ich nicht so fühle. Da halte ich viel zurück und
habe einen Platz, an dem ich das sinken lasse. Ich wünschte,
dass es diese Plätze und Teil meines Lebens nicht gäbe“.