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nmz-archiv
nmz 2004/02 | Seite 36
53. Jahrgang | Februar
Jazz, Rock, Pop
Musik des jungen Europa
Zehn Tage Jazz in der Musikhochschule in Köln
Seit dem Siegeszug der Popmusik in den 60ern und der gleichzeitigen
Auslotung des Freien Jazz auf für viele schwer nachzuvollziehbaren
Wegen wird der Jazz immer wieder totgesagt. Steigende Zahlen beim
Anteil der Jazzproduktionen an dem erfolgreichen Umsatz des Musikmarkts,
eine große Vielfalt der Stile, Hunderte von hoch qualifizierten
jungen Musikern und große Anstrengungen an vielen akademischen
Ausbildungsstätten im „alten“ Europa sprechen eine
andere Sprache, haben die so genannte improvisierte Musik zu einem
Markenzeichen europäischen Kulturgeschehens gemacht.
Dies einmal zu erleben, hatte sich die Musikhochschule in Köln,
größte und älteste ihrer Art in Europa, zum Ziel
gesetzt. Als dann auch die Verwaltung der EU in Brüssel Mittel
zur Verfügung stellte, war der Weg frei für eine Einladung
von neun Partnerhochschulen in Antwerpen, Breslau, Brüssel,
Madrid, Riga, Salzburg, Szeged, Utrecht und Wien zu zehn Tagen mit
Workshops, Diskussionen und Konzerten.
Aktuell waren die Workshops, zum Beispiel unter den Titeln „Storytelling
and Improvising“, „Jazz Standard-Creative Approach“,
„Breathing for Hornplayers“ oder „Great Ensembles-All
Instruments“. Prominentester Dozent war Phil Woods, der einen
Workshop „Saxophone Masterclass“ leitete.
An mehreren Abenden gab es Konzerte, zum Beispiel mit dem klassischen
Pianisten Anthony Spiri, der die 24 Preludes in Jazz op. 3 des russischen
Komponisten Nikolai Kapustin vorstellte, die Wiener Latin Gruppe
Pacheco und schließlich eine gemeinsame Jamsession von Dozenten
und Studenten.
An einem Abend gab es eine Podiumsdiskussion, bei der fünf
Fachleute (Josef Protschka, Rektor der Hochschule für Musik
Köln, Volkmar Kramarz, Musikwissenschaftler, Uni Bonn, Markus
Brachtendorf, Musiker, Produzent, Stefan Jeschek, Leiter von iPOP,
Wien und Wolfgang Schwericke, Bandtrainer) aus Hochschule, Management,
Musikwissenschaft und Praxis sich unter der Leitung von Andreas
Kolb, Chefredakteur der Jazzzeitung und Redaktionsleiter der nmz,
sich mit der Frage „Markt und Musiker – Hass und Liebe?“
beschäftigten.
Das richtige persönliche Marketing des Musikers als Voraussetzung
für seinen Erfolg, die dabei schwierige Position des Jazz auf
dem Musikmarkt, aber auch der Anspruch der Hochschule, nicht nur
nach den Wünschen des Markts auszubilden, kamen zur Sprache.
Andreas Kolb hatte einleitend auf die schwierige Situation des Musikers
in einer Zeit ständiger Paradigmenwechsel aufmerksam gemacht.
Auch das Problem des Übergewichts der amerikanischen Musiker
auf dem Markt bei gleichzeitig einzigartigen Qualitäten des
europäischen Jazz kam zur Sprache.
Die Nähe von Popmusik und Jazz wurde diskutiert, zunächst
als ein Thema einer zukünftig breiteren Ausbildung, wie sie
in Wien schon seit Jahren unter dem Titel Popularmusik für
künftige Jazz- und Popmusiker unter einem Dach praktiziert
wird.
Alle Theorie schoben dann die Studenten und Dozenten in der abschließenden
Festivalnacht beiseite, in der sich 32 Ensembles auf vier Bühnen
bis weit nach Mitternacht präsentierten.
Stargast war kurz vor Mitternacht Jasper van’t Hof, der mit
seinem Soloprogramm das Publikum begeisterte.
Fazit: Die zehn Tage des gemeinsamen Probens, Diskutierens und
Musizierens verstanden den Jazz nicht als isolierte Kunstform für
eine kleine Elite hinter verschlossenen Türen. Die in vielem
übereinstimmende Sicht der Studenten und Dozenten zog die in
Europa traditionell geübten Querverbindungen („Crossover“
zu Neudeutsch) zur Popmusik, zur Folklore oder zur Klassischen/Neuen
Musik. Jazz wurde als eine Art Kulminationspunkt aktueller Musikentwicklungen
verstanden und praktiziert.