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nmz-archiv
nmz 2004/02 | Seite 17
53. Jahrgang | Februar
Rezensionen
Prestigeträchtige Kür der besten Scheiben
Der Preis der deutschen Schallplattenkritik im vierzigsten Jahr
seines Wirkens
„Heutzutage kennen die Leute vor allem den Preis und von
gar nichts den Wert“, meinte einst Oscar Wilde. Auch wenn
die Musikbranche ihr Interesse vor allem auf die Verkaufszahlen
richtet, ist der ökonomische Erfolg dennoch kein (entscheidender)
Maßstab, um den begehrten Preis der deutschen Schallplattenkritik
zu erhalten. Vielmehr hebt diese Auszeichnung besondere kulturelle
Qualitäten hervor und die Trophäe ist kein Preisgeld,
sondern eine Urkunde. Das Etikett „Preis der deutschen Schallplattenkritik“
kann allerdings den (ideellen) Wert des jeweiligen Produkts steigern
und so für besseren Verkauf nützlich sein, Preis und Wert
verstärken sich also im günstigen Fall gegenseitig.
Vor dem Hupfeld-Rönisch-Flügel
im Musikinstrumenten-Museum: V.l.n.r.: Margarete Zander
(Moderatorin), Montserrat Figueras, Andreas Obst (Moderator),
Jordi Savall, Alan Curtis, Simone Kermes, Guido Gorna (ECM
Records), Stefan Metz, Felix Friedrich, Hupfeld-Rönisch-Reproduktionsflügel,
Heinz Sommer (Programmdirektor HR), Astrid Kieselbach (Universal),
Dirk Bach, Andreas Kluge (Universal), Daniela Leubner (V2Music),
Gerd Berg, Martin Elste (Vorsitzender, PdSK), Reinhard Mey,
Klaus-Jürgen Kamprad (querstand), Helmut König,
Richard Weize (Bear Family). Foto: PdSK e.V./www.berlin-pixels.de
Die „Kür der besten Scheiben“ findet seit 1963
einmal pro Jahr statt, seit 1980 gibt es zusätzlich „Vierteljahreslisten“,
2001 in „Bestenlisten“ umbenannt. Der ursprüngliche
Stiftungspreis wurde 1988 von den Juroren in Frankfurt/Main als
gemeinnütziger Vereinspreis der deutschen Schallplattenkritik
neu gegründet. Die Preisverleihungen dienen laut Satzung „nicht
in erster Linie wirtschaftlichen Zwecken“, sondern der „Förderung
künstlerisch und technisch höchstwertiger Tonträger
und Bildtonträger, die Mitglieder des Vereins (die zugleich
die Jury sind) müssen unabhängig von Schallplattenherstellern
sein.“ Die Arbeit der 114 Juroren in 27 Jurys ist ehrenamtlich,
und deshalb, so die Staatsministerin für Kultur und Medien
Christina Weiss in ihrer Rede bei der Jubiläumsmatinee für
den Preis der deutschen Schallplattenkritik, „unbedingt zu
rühmen. Von hastigen Beleumundungen und Pokalen mit der Gravur
der Geschäftemacherei unterscheidet sich dieser Preis durch
seine Seriosität in der Hör-arbeit.“
Und zwar umfassend, denn die Juroren bewerten außer den
Genres der Klassischen Musik auch Jazz, Rock, Pop, Oper und Musical,
Zeitgenössische Musik, Chansons und Lieder, traditionelle ethnische
Musik, Hörbücher, Kinder- und Jugendaufnahmen und DVD-Produktionen.
Ein Symposion zum Thema „Wie und warum schreiben über
Schallplatten? Eine Kritik der Kritik“ zeigte allerdings,
dass die Funktion von CD-Rezensenten sich geändert hat. Zwar
sind die Schallplattenkritiker eine qualifizierte Minderheit und
ihre Texte können als Aspekte der Kulturgeschichtsschreibung
gelesen werden, aber das Feuilleton großer Printmedien ist
zur Meldung über Neuerscheinungen geschrumpft, wie Eleonore
Büning von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung feststellte.
„Diskurs ist nicht mehr gefragt“, weil kein Platz für
längere Texte zur Verfügung gestellt wird. Deshalb tendiert
die Rezensionsarbeit dazu, ein CD-Produkt zu bewerben, statt kritisch
zu beurteilen. Hinzu kommt, dass durch die hohe Anzahl von jährlichen
CD-Novitäten die kulturelle Bedeutung mancher Werke sich im
schnellen Umsatztempo verflüchtigt. Die Schallplatte als eigenes
Interpretationsmedium klassischer Musik wird, so der Autor Ulrich
Schreiber, kaum noch wahrgenommen, denn die Möglichkeit, Interpretationen
zu vergleichen, ist etwa durch Streichung von Sendezeiten beim Rundfunk
zusätzlich begrenzt. Nur in Fachzeitschriften ist noch gewisser
Raum für diskursive Rezensionen, auch für Interpretationsvergleiche,
sagte Gregor Willmes, Chefredakteur von FonoForum. Aber auch da
entsteht Termindruck, wenn Anzeigengeschäft und Textpublikation
gekoppelt werden, sodass manchmal „schlampig recherchierte“
Kritiken erscheinen, wie Christian Kellersmann, Manager bei Universal,
bemängelte.
Die Diskussion driftete von dieser Situationsbeschreibung bald
zum allgemeinen Lamento über die Krise der Schallplattenindustrie
und ihre Folgen für die journalistische Arbeit ab. Nicht Musikkritik
im Sinne von Werkbeschreibung oder gar -analyse (gerade bei Aufnahmen
zeitgenössischer Werke), sondern die Bewertung von Interpretationen
sind gefragt. Außerdem kompensiert die Schallplattenkritik
weitgehend Berichte über Konzerte, die bestenfalls noch angekündigt
werden. Die Rezeption insbesondere klassischer Musik hat sich, da
waren sich die Diskussionsteilnehmer einig, stark verändert,
ist zumindest auf dem CD-Sektor tendenziell zum Starevent degeneriert.
Trotz dieses tristen Befundes ist das Prestige des Preises der
deutschen Schallplattenkritik konstant geblieben, ja gestiegen,
denn außer den Jahrespreisen sind noch Ehrenurkunden für
ihr Lebenswerk an den Chansonnier Reinhard Mey, den Chef der Firma
Bear Family Records Richard Weize und an den spanischen Gambisten
Jordi Savall verliehen worden. Ein Gesprächskonzert mit Jordi
Savall und seinem Ensemble, die DVD-Präsentaion von „L’Orfeo“
von Claudio Monteverdi auf Großleinwand und die Demonstration
„Zu neuen Klangwelten“ mit dem „Real Surround
Sound“ der Firma Tacet rundeten das Programm zum Jubiläum
zu „40 Jahre Preis der deutschen Schallplattenkritik“
ab. Zu wünschen bleibt, um noch einmal Oscar Wilde zu zitieren,
dass „die geistige Kritik (...) Europa weit enger zusammenführen
(wird), als Krämer oder Gefühlsmenschen dies können.“
Hans-Dieter Grünefeld
Martin Elste (Hg.): Ausgezeichnet!
Klassik, Jazz, Rock und Pop. Die besten CDs und LPs. 40 Jahre
Preis der deutschen Schallplattenkritik (ca. 100 s/w-Abbildungen)
Henschel Verlag Berlin 2003, 176 S., e 12,90, ISBN 3-89487-473-2