[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2004/03 | Seite 1, 5
53. Jahrgang | März
Leitartikel
Kreativität: Wachstumsmotor ohne Wert?
Deutsche Phonoverbände wollen Lizenztarife drastisch senken
· Von Martin Hufner
„Die Gesellschaft wird sich im Jahr 2010 auf ihre tatsächliche
Stärke besonnen haben: die Kreativität! Und das Urheberrecht
garantiert national und international, dass Künstler und Verwerter
von ihren Leistungen auch etwas haben. Dadurch schützt es die
Kreativen als einen der wichtigsten Wachstumsmotoren der neuen Zeit.“
Das waren die Worte Gerd Gebhardts, des Vorsitzenden der deutschen
Phonoverbände, auf der popkomm 2003. Für großen
Aufruhr sorgte daher unter Komponisten, Textdichtern, Verlegern
und der GEMA der Antrag der deutschen Phonoverbände, den Tarif
für die Tonträgerlizenzierung von 9,009% auf 5,6% absenken
zu wollen.
Auf jede hergestellte CD mit lizenzpflichtiger Musik (siehe Glossar
auf Seite 5) müssen nämlich 9,009%
vom Händlerabgabepreis an die GEMA abgeführt werden, wenn
man Mitglied der deutschen Phonoverbände ist, sonst sind es
zwölf Prozent. Die GEMA verteilte dann die auf diese Weise
eingehenden Erträge an die Verlage und Autoren weiter (abzüglich
der durch die Verwaltung enstehenden Aufwendungen von etwa sieben
Prozent). Grundlage für diese Vereinbarung zwischen den Phonoverbänden
und der GEMA ist ein Vertrag, der zwischen den internationalen Autorengesellschaften
(BIEM) und den Vertretern der internationale Phonoverbände
(IFPI) geschlossen wurde.
Die 9,009% für die Tonträgerlizenzierung schlugen sich
für das Jahr 2002 total mit 160,9 Millionen Euro nieder und
bildeten die zweitgrößte Ertragsquelle für die von
der GEMA vertretenen Mitglieder, nach den Erträgen aus Aufführungs-,
Vorführungs-, Sende- und Wiedergaberechten mit 357,4 Millionen
Euro.
Absolut und relativ
Da nicht nur die Phonoverbände Lizenznehmer der GEMA sind,
sondern auch Privatpersonen oder der Verband Unabhängiger Tonträgerunternehmen
(VUT) sowie einige weitere Lizenznehmer, reduziert sich Betrag um
den es geht auf etwa 130 Millionen Euro. Der VUT mit seinen mehr
als 800 Mitgliedern hat übrigens unterdessen bekräftigt,
dass er „die jetzige Höhe der GEMA-Lizenzen bei Tonträgern
für adäquat“ hält. Eine Reduzierung des Tarifes
für Tonträgerlizenzen um 3,409% entspräche einem
Ertragsausfall für die GEMA in dieser Sparte von rund 38%.
Das sind etwa 40 Millionen Euro im Jahr. Ein radikaler Einschnitt.
Was war geschehen? Eigentlich nichts – und das ist
das Problem. Den Prozentsatz für die Tonträgerlizenztarife
haben GEMA und Phonoverbände durch einen Vertrag miteinander
vereinbart. Jedoch war dieser Vertrag bis Sommer 2000 befristet.
Seither sind die Verträge mithin stillschweigend verlängert
worden. Diese Vereinbarungen werden immer bis zu einem bestimmten
Termin geschlossen, damit sie verändert werden können,
wenn es die Situation erfordert. Diese Situation haben die Phonoverbände
zwar schon vor vier Jahren gesehen, doch erst im letzten Jahr, mit
der erneuten Veröffentlichung des Tarifs seitens der GEMA,
erklärten sich die Phonoverbände nicht mehr einverstanden,
nachdem sämtlich Verhandlungen zwischen GEMA und Phonoverbänden
gescheitert waren. Als Grund für die Absenkung des Lizenzkostensatzes
gibt Gerd Gebhardt drastische Umsatzeinbußen im Umfang von
40% in den letzten vier Jahren an. Deshalb müsse man die Eckdaten
„realistisch“ neu verhandeln.
„Autoren und Verleger leben nicht auf einer heilen Insel inmitten
stürmischer See, sondern müssen vielmehr die Realität
zur Kenntnis nehmen und in einer Solidargemeinschaft der Musikkultur
ihren Beitrag leisten, um den Tonträgermarkt in seiner Vielfalt
zu erhalten,“ heißt es dazu in der Pressemeldung vom
6. Februar. Wollen die Phonoverbände ihre 40% Umsatzrückgang
nun durch eine 38-prozentige Absenkung der Lizenztarife kompensieren?
Dieser Anschein wird nämlich erweckt. Doch darum geht es eigentlich
nicht, denn von dem Umsatzrückgang sind die Autoren und Verleger
durch die prozentuale Beteiligung ohnehin mitbetroffen. Was aber
könnten diese so genannten „realistischen Eckdaten“
sein?
Problem Händlerabgabepreis
Das Problem ist zuweilen wirklich diffizil, was man an der Konstruktion
des Händlerabgabepreises zeigen kann. Der ist nämlich
nicht so eindeutig wie es scheint. Man setzt beispielsweise den
sogenannten Listen-Händlerabgabepreis für eine fiktive
neue Madonna-CD auf fiktive 10,90 Euro fest und berechnet davon
mittels des Prozentsatzes von 9,009% den Betrag, der an die GEMA
abgeführt werden muss (in diesem Beispiel 0,98 Euro). Der Händlerabgabepreis
für Großhändler oder Handelsketten liegt jedoch
„unter“ dem Listenpreis, zum Beispiel bei dann 9,92
Euro (es kann im Detail auch jeweils mehr oder weniger sein). An
die GEMA werden jedoch auch dann die Tarifkosten des Listenpreises
abgeführt. In einem Bereich, indem die Gewinnmargen ohnehin
klein sind, türmen sich dann solche Cent-Beträge zu hohen
Summen auf. In unserem Beispiel handelt es sich um eine Differenz
von 10 Cent pro CD. Bei 1.000.000 CDs (das ist die Verkaufszahl
von Norah Jones aktuellem Album „Feels Like Home“ in
der ersten Woche in den USA) wären es schon 100.000 Euro.
5,6% = 6,6%?
Und selbst die von den Phonoverbänden in den Raum gestellte
Zahl von 5,6% verdeckt, dass es eigentlich um 6,6% geht. Wie das?
Die Phonoverbände wollen die Differenz von einemProzent zweckgebunden
zur Pirateriebekämpfung im Musikbereich einsetzen und so auf
Umwegen auch den Verlegern, Komponisten und Textdichtern nach dem
Motto helfen, dass sowohl die Urheber als auch die ausübenden
Musiker (und natürlich auch die Tonträgerhersteller) von
einem verkauften Album deutlich mehr haben als von einem illegal
kopierten Album. Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob man Fragen
der Pirateriebekämpfung mit einem Tarifkonflikt verbinden darf.
Einen ersten deutlichen Vorstoß zur Veränderung der
Tarifsituation hat die GEMA im Bereich Online-Tarife im letzten
Jahr gemacht. Die GEMA forderte 15% (beziehungsweise mit Rabatt
für die Phonoverbände 12%) vom Händlerabgabepreis.
Die Phonoverbände sind jedoch nur bereit zwischen vier und
sechs% abzugeben. Auch dieser Streit wartet noch auf einen Einigungsvorschlag
durch die Schiedsstelle beim Deutschen Patent- und Markenamt. Zuvor
ist es den Phonoverbänden nicht gelungen, den Tarifsatz für
medienbeworbene (also zum Beispiel im Fernsehen beworbene) Tonträger
um zwölf Prozent (von 9,009 auf 7,9%) zu senken. Die Angemessenheit
des Tarifsatzes hat das Oberlandesgericht München am 12. Juni
2003 rechtskräftig bestätigt – oder genauer, es
hat bestätigt, dass ein Abschlag von zwölf Prozent nicht
angemessen sei.
Rechtliche Situation
Seit Juli 2000 ist also nichts passiert, zumindest verliefen die
geführten Verhandlungen offensichtlich im Sande. Mit der erneuten
Veröffentlichung des Tarifs seitens der GEMA wurde dann die
Grundlage für den Tarifstreit gelegt. Jetzt erklärten
sich die Phonoverbände nicht mehr damit einverstanden, den
bisherigen Tarif von 9,009% zu akzeptieren. Somit wird automatisch
die Schiedsstelle des Deutschen Patent- und Markenamtes zur Klärung
des Sachverhaltes angerufen und ein formelles Verfahren nach Paragraph
14 des Urheberwahrnehmungsgesetz eingeleitet. Dabei handelt es sich
um ein vorgerichtliches Verfahren zur Schlichtung derartiger Streitfälle,
das gesetzlich vorgeschrieben ist. Bis es dort zu einem Einigungsvorschlag
kommt, können einige Jahre vergehen. Und wenn dieser Einigungsvorschlag
nicht akzeptiert wird, bleibt der lange Weg durch die Rechtsinstanzen.
Für diesen Zeitraum wollen die Phonoverbände rückwirkend
zum 1. Januar 2004 nur einen Satz von 5,6% für Tonträgerlizenzen
abführen, die restlichen 3,409% werden auf Sperrkonten hinterlegt
und gesetzlich verzinst, sie zahlen also nicht mehr oder weniger.
So liegt dieses Geld bis zu einer Entscheidung oder einer anderweitigen
Einigung auf Eis. Insgesamt korrespondiert die Wahl dieses Weges
nicht mit Gebhardts Drang zur Eile, wenn er sagt: „Es muss
umgehend etwas passieren –, bevor es für eine ganze Branche
zu spät ist.“ Dadurch, dass die Phonoverbände eine
derartig radikale Reduzierung des Tarifsatzes ansetzen, ohne ihren
Vorschlag hinreichend zu substanziieren, und zugleich Gelder stilllegen,
wird jedoch ein einseitiger Druck ausgeübt, der einen bitteren
Beigeschmack erhält. Ist das die Vorstellung der Phonoverbände
von einer „Solidargesellschaft der Musikkultur?“
Für die Vertreter der GEMA bedeutet dieses Vorgehen der Phonoverbände
„Lohndrückerei“. Der Vorsitzende des Vorstandes,
Reinhold Kreile, verwies in seinen Offenen Antworten unter anderem
darauf, dass zum Beispiel in den letzten 20 Jahren der Lizenzkostensatz
Schritt für Schritt von 11 auf eben diese 9,009% abgesenkt
wurde, und auf den Anspruch von Urhebern auf eine „angemessene“
Vergütung, wie sie ausdrücklich auch das neue Urheberrecht
vorsieht. Es gelte in allen Rechtsordnungen Europas der Grundsatz,
„dass die Angemessenheit der Vergütung für das schöpferische
Werk bei etwa zehn Prozent des Preises liegt, den der Endnutzer
dafür zahlt.“ Kreile spricht dabei eindeutig von Endnutzern
und nicht von Händlern. Damit droht er im Hintergrund sogar
damit, dass der Vorstoß der Phonoverbände sich auch als
Bumerang erweisen könnte. Die Schiedsstelle des Patent- und
Markenamtes könnte demnach den neuen Tarif auch deutlich über
den bisher geltenden 9,009% ansetzen. Das Vorgehen der Phonoverbände
ist juristisch nicht nur einwandfrei sondern ausdrücklich so
vorgesehen. Doch wem ist mit diesem Verhalten gedient? In Zeiten,
in denen die Erträge aus dem Verkauf von Tonträgern sinken
und auch die Situation der Verlage, Komponisten und Autoren –
trotz bisher stetiger Steigerung der GEMA-Erträge – nicht
rosig ist, hat eigentlich niemand etwas davon, wenn Geld nicht nur
brach liegt, sondern in diesem Bereich den Urhebern und Verlegern
regelrecht fehlt.
Böser Verdacht
Reinhold Kreile von der GEMA wittert in seinen Antworten auf den
offenen Brief der Phonoverbände eine weitere Gefahr und reagierte
ungewöhnlich scharf: „Für die Verleger, die zum
gleichen Konzern wie die Tonträgerhersteller gehören –
also für die Konzerne Universal, EMI, Warner, Sony und BMG
–, mag wohl zunächst ein innerkonzernmäßiger
Ausgleich gefunden werden.
Aber für die unabhängigen Verlage, ebenso wie für
alle Komponisten, ist diese Hinterlegungsaktion eine Existenz bedrohende
Schikane. Sollen, wie man von Beteiligten aus dem IFPI-Bereich hört,
die unabhängigen Verlage so in solche finanzielle Bedrängnis
gebracht werden, dass sie dann nur noch von den IFPI-Konzerverlagen
‚gerettet‘, nämlich: übernommen, werden können?“
Ein böser Verdacht, nahe an einer Unterstellung, den Hartmut
Spiesecke, Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
Phonoverbände für „blanken Unsinn“ hält.
Unabhängig davon: Welche andere Wahl hätten denn die Phonoverbände
zur Geltendmachung ihrer Vorstellungen, selbst wenn der Vorwurf
stimmen würde? Ganz klare Verlierer sind die Urheber, sofern
zu lizenzierende Tonträger mit ihrer Musik oder ihren Texten
hergestellt werden, egal in welcher Konstruktion. Und darum verwehren
sich der Deutsche Musikverlegerverband, Autorenverbände (Deutscher
Komponistenverband, Deutscher Text-dichterverband, Composers Club,
Vereinigung Deutscher Musikbearbeiter) und der Verband der deutschen
Musikproduzenten mit deutlichen Stellungsnahmen gegen das Vorhaben
der Phonoverbände.
Schlechte Aussichten
Eigentlich verhandeln beide Parteien, GEMA und Phonoverbände,
wie in anderen Tarifverhandlungen aus der Wirtschaft mit Traumzahlen.
Setzt eine Partei eine Forderung deutlich zu hoch, kontert die andere
mit einem deutlich zu geringen Angebot. Das ist ein Verhandlungs-
und leider machmal auch ein unangemessenes Machtspiel. Eigentlich
müsste beiden Parteien daran gelegen sein, umgehend das Problem
zu lösen.
Allerdings gibt es berechtigte Zweifel, dass den Phonoverbänden
an einer schnellen Lösung tatsächlich gelegen ist. Im
Gegenteil, in einem Schriftsatz an die Schiedsstelle des Deutschen
Marken- und Patentamts beantragen die Phonoverbände, das Schiedsverfahren
bis zur Entscheidung der EU-Kommission über die Beschwerde
der Firma Universal Music, vom 22. Mai 2000, (Case COMP/C2/38.440
UNIVERSAL v BIEM) auszusetzen. Darin geht es im Grunde um den Vorwurf,
dass die Verwertungsgesellschaften kartellwidrig, quasi mit Monopolmacht,
handelten. Die Verkettung von rechtlichen Fragen und gesellschaftlichen
Grundüberzeugungen wird zum schiefen Bild. Die von Gebhardt
beschworene Solidargemeinschaft scheint jedenfalls eine bloß
rhetorische Fiktion bei der Suche nach gerechten Rechten zu sein.
Martin Hufner
*Alle auf die GEMA bezogenen Zahlen stammen aus dem letzten veröffentlichten
Geschäftsbericht der GEMA für das Jahr 2002.
Siehe auch den Cluster zum Thema "Kultur-Los"
von thg
Glossar
BIEM: Bureau International des Sociétés
gérant les Droits d’Enregistrement et de Reproduction
Mécanique. Die internationale Vereinigung der nationalen
Verwertungsgesellschaften.
Deutsches Patent- und Markenamt:
(DPMA): Das Amt hat den gesetzlichen Auftrag, gewerbliche Schutzrechte
zu erteilen und zu verwalten sowie die Öffentlichkeit über
bestehende gewerbliche Schutzrechte mit Wirkung für Deutschland
zu informieren. Unterhält die Schiedsstelle nach dem Gesetz
über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten.
GEMA: Gesellschaft für musikalische Aufführungs-
und mechanische Vervielfältigungsrechte. Die GEMA vertritt
die Nutzungsrechte von Musikschaffenden (Komponisten, Textdichtern
und Verlegern) und verwaltet sie als staatlich anerkannte Treuhänderin.
Händlerabgabepreis: Der Betrag, den der Händler
an die Schallplattenfirma beziehungsweise den Schallplattenvertrieb
pro Tonträgerexemplar zahlt.
IFPI: International Federation of Phonographic Industry.
Internationale Vereinigung der phonographischen Wirtschaft.
Kreative: Sammelbegriff für die „Urheber einer
vitalen (Musik)-Kultur“ (Reinhold Kreile).
Lizenzpflicht: lizenzpflichtig sind all die Werke, deren
durch das Urheberrecht geregelte Schutzpflicht von 70 Jahren noch
nicht abgelaufen ist, also praktisch die gesamte U-Musik. Die
Schutzfrist erlöscht 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers.
Der normale GEMA-Tarif für die Tonträgerlizenzierung
liegt bei zwölf Prozent vom Händlerabgabepreis. Für
die angeschlossenen Mitglieder der Phonoverbände oder des
VUT gilt zur Zeit ein Satz von 9,009 Prozent.
Majors: Damit bezeichnet man die größten Medienkonzerne
(Universal, Sony, BMG, EMI und Warner).
Phonoverbände: Das sind die „deutsche Landesgruppe
der IFPI“, der Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft
und die Deutsche Phonoakademie.
Urheber: „Urheber ist der Schöpfer des Werkes“
(§ 7 UrhG).
Urheberrecht: Geregelt im Gesetz über Urheberrecht
und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz UrhG).
VUT: Verband unabhängiger Tonträgerunternehmen.
Schützt und fördert die zur Zeit rund 750 kleinen und
mittelständischen Unternehmen der gesamten Musikbranche,
insbesondere Tonträgerunternehmen, Musikverlage und Musikproduzenten.