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nmz-archiv
nmz 2004/03 | Seite 10
53. Jahrgang | März
Musikwirtschaft
Oh Duft aus alter Märchenzeit…
Zweiter Teil des Interviews mit Bojan Budisavljevic ·
Von Thomas Otto
[<<< Teil 1]
„Mit Schönberg in der Straßenbahn“ ist
eine von vielen Ideen, mit denen die Organisatoren des „Schönberg-Festivals
Ruhr”, das als ein Schwerpunkt der Eröffnungsspielzeit
der neuen Philharmonie Essen konzipiert ist, im Moment liebäugeln.
Lesen Sie im Anschluss den zweiten Teil des Interviews mit einem
von denen, die dem Intendanten der Philharmonie Essen, Michael Kaufmann,
als künstlerischer Berater und Kurator für den „Schönberg-Zyklus”
bei der Vorbereitung des Programms zur Seite stehen: Bojan Budisavljevic.
Er ist Projektleiter des ChorWerk Ruhr bei der landeseigenen Kultur
Ruhr GmbH sowie mit Konzerten der RUHRtriennale beschäftigt.
Das Interview führte Thomas Otto für die neue musikzeitung.
nmz: Natürlich gibt es die Ausnahmen, aber in der alltäglichen
Konzertpraxis registrieren doch Veranstalter, Musiker und selbst
Komponisten eine gewisse Zurückhaltung, wenn es um die Verbreitung
von Neuer Musik in den Konzertsälen, den Medien und auf Tonträgern
geht. Hier ist eine gewisse „Erziehungsarbeit“ vonnöten.
Sehen Sie, sieht die Philharmonie Essen sich auf diesem Gebiet besonders
gefragt?
Bojan Budisavljevic: Ja sicher, alle sind sie auf der Suche
nach dem Patentrezept, wie der Wert des Kulturguts „E-Musik“
neu zu vermitteln ist. Ganz zu Recht ist da in den vergangenen Jahren
ein echter Vermittlungsboom entstanden: Gesprächskonzerte,
Schul- und Responseprojekte und dergleichen mehr. Auf diese Produktivität
in der Vermittlung setzt die Philharmonie Essen ganz stark. Wobei
man auch in der Präsentation der Musik selber, nicht nur der
zeitgenössischen, sondern auch der traditionellen, neue produktive
Ideen entwickeln muss. Vor zehn, fünfzehn Jahren war es ja
noch selbstverständlich, dass es einen Konzert- oder Theaterbetrieb
gibt, der öffentlich subventioniert wird. Dementsprechend gab
es auch auf der Publikumsseite ein Verhalten der Selbstverständlichkeit.
Keiner musste sich groß anstrengen und das Publikum kam schon
deshalb, weil es damals noch ein in gewisser Hinsicht vormediales
Freizeitverhalten hatte. Es besuchte Abonnementskonzerte oder war
auf große Namen abonniert. Das ist nicht mehr so. Die mediale
Durchsetzung unserer Lebenswelt hat die totale Verfügbarkeit
eines jeglichen Vergnügens möglich gemacht, quasi vom
PC aus. Darüber hinaus hat sich das Freizeitverhalten insgesamt
sehr gewandelt. Die Frage, ob sie den Abend in einem schönen
Restaurant verbringen oder ins Konzert gehen sollten, hätten
die Leute damals noch mit Hinweis auf die größere „Werthaltigkeit“
eines Konzert beantwortet. Das ist heute nicht mehr so.
nmz: Festivals Neuer Musik finden bundesweit und regelmäßig
statt, etwa in Donaueschingen, Hamburg, Halle oder Heidelberg. Inwiefern
unterscheidet sich der Ansatz dieses „Schönberg-Festivals“
von dem der anderen? Ist es gerechtfertigt, von einem „regionalen
Ansatz“ zu sprechen.
Budisavljevic: Zunächst mal ist dies kein permanent
wiederkehrendes Festival, sondern ein singuläres Ereignis,
das im Eröffnungszeitraum der Philharmonie stattfindet und
zu dem die großen Orchester des gesamten Ruhrgebiets etwas
beitragen. In der nächsten Spielzeit kehrt das Ereignis womöglich
wieder, dann aber mit einem anderen Thema. Wir verstehen es als
ein Angebot an das Publikum und nicht an die Fachpresse und den
internen Musikbetrieb. Donaueschingen ist, durchaus im positiven
Sinne, eine Leistungsschau für Fachbesucher und Interessierte.
Die Philharmonie Essen hingegen wendet sich an das große städtische
und regionale Publikum. Deswegen wollen wir das Programm attraktiv
machen und damit das Publikum interessieren. Es kommt nicht, um
einen Überblick über die aktuelle Lage des Komponierens
zu bekommen. Es kommt, weil es sich anregende, sinnliche Erfahrungen
mit der Musik Schönbergs und anderer verspricht.
nmz: Daher auch das Fehlen zeitgenössischer Komponisten
im Essener „Schönberg-Festival“?
Budisavljevic: Nein, wir wollen jedoch einen anderen Schwerpunkt
setzen. Man kann heute bei einem Komponisten, der schon seit mehr
als 50 Jahren tot ist und dessen meiste Werke tief im vergangenen
Jahrhundert entstanden sind, doch kaum noch von einem „Neutöner“
sprechen. So ein Komponist steht neben all den großen Klassikern.
Daher die programmatische Behauptung dieses Festivals: „Schönberg
ist Repertoire!“
Beispielhaft in dieser Hinsicht ist etwa das Programm des Auryn-Quartetts,
das alle vier Streichquartette Schönbergs spielen wird und
in vier Konzerten programmatisch auf deren Stilhöhe reagieren
wird: auf die großen Schöpfer der Gattung. Beginnend
mit einen Quartett aus Haydns op. 33, sozusagen dem Urknall des
Streichquartetts. Es geht weiter mit Mozart, Beethoven, Schubert,
Brahms. Und in diesen Kontext rücken wir Schönberg. Es
geht uns nicht darum, ihn als Revolutionär darzustellen, der
er zweifellos war. Wir wollen Schönberg diesmal als Klassiker
präsentieren, als Teil einer großen Tradition. Nehmen
Sie nur mal seine Bezüge auf barocke Formen, seine Liebe zum
Walzer, die überragende Bedeutung von Bach und Brahms für
Schönbergs Werk.
Da sind in den Kammermusikprogrammen wunderbare Sachen gelungen.
Das Arnold-Schönberg-Trio wird die in der Musikgeschichte kaum
stattfindende Gattung Streichtrio mit den drei Gipfeln präsentieren:
Schönbergs op. 45, das Trio op. 20 von Anton Webern und Mozarts
Divertimento KV 563. In den Programmen der Orchester, die besetzungstypisch
ja heute noch spätromantisch sind, dominiert dann Musik aus
Schönbergs eigener Zeit: Berg und Webern, aber auch Wagner,
Mahler, Schreker und Zemlinsky.
nmz: In Essen sind auch die Folkewang-Hochschule und das
gleichnamige Museum beheimatet. Die Einbeziehung dieser beiden Institutionen
scheint geradezu unerlässlich...
Budisavljevic: In der Tat. Folkwang war ja eine Ideenschöpfung
des Industriellen Karl-Ernst Osthaus aus Hagen, der in den 20er-Jahren
eine der bedeutendsten Kunstsammlungen zusammengetragen hat. Ursprünglich
war die Idee von Gemeinschaftlichkeit und dem Zusammengehen der
Künste auch in der Folkwang-Schule angesiedelt. Das ist leider
durch etliche Hochschulreformen, zuletzt in den 70ern, abhanden
gekommen.
Standort Ruhrgebiet
Heute ist die Folkwang-Hochschule die Hochschule des Ruhrgebiets
für Darstellende Künste mit Standortorten in Essen, Duisburg,
Dortmund und der Schauspielschule in Bochum. Wir finden hier eine
dezentrale Struktur, innerhalb der Essen so was wie ein Gravitationszentrum
der Region darstellt. Das findet sich ähnlich wieder in den
Beiträgen zum „Schönberg-Festival“: Die regionalen
Orchester werden ihre Schönberg-Programme zuerst in der Essener
Philharmonie vorstellen, ehe sie dann in Dortmund, Duisburg oder
Bochum zur Aufführung kommen.
Im Folkwang-Museum Essen ist heute der größte Teil der
ehemaligen Kunstsammlung von Karl-Ernst Osthaus versammelt. Ihr
Grundstock stammt aus der Zeit, in der Schönberg selbst gewirkt
hat. Also die „Brücke“-Maler, der deutsche Expressionismus,
Beckmann, die „Blaue-Reiter“-Schule. Hieraus ergibt
sich eine interessante Kooperation im Rahmen des Schönberg-Zyklus
mit dem Museum. Es wird im Besonderen die Kunst aus den ersten drei
Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zeigen, darunter auch die Selbstporträts,
die Schönberg von sich anfertigte. Auch Kandinsky, dem Schönberg
vielfältige Anregungen zu seiner „Harmonielehre“
verdankt, wird besondere Beachtung finden. Außerdem werden
etliche Konzerte im herrlichen, nach Osthaus benannten Kammermusiksaal
des Museums stattfinden.
nmz: Der Beginn des „Schönberg-Festivals“
fällt sicher nicht zufällig mit einem anderen Datum zusammen:
dem 15. Geburtstag der Gesellschaft für Neue Musik Ruhr.
Budisavljevic: 1989 wurde die GMNR in Essen von engagierten
Musikern wie Huber und Stäbler, Bernhard Wambach und Johannes
Kalitzke als Ableger der traditionsreichen Internationalen Gesellschaft
für Neue Musik von 1922 gegründet. Die Verbreitung der
zeitgenössischen Musik und des Verständnisses für
sie ist ihre Sache. Die heute in ihr Aktiven tun sehr viel für
die oft vernachlässigte aktuelle Musik: Workshops, Kongresse,
Konzertreihen, Schulprojekte…
Da der Geburtstag der GNMR in die erste Spielzeit der Essener Philharmonie
fällt, war es ganz selbstverständlich, die Gesellschaft
ins neue Haus zu holen. Am 9. Oktober wird sie so in allen Räumen
und auf allen Podien der Philharmonie groß Geburtstag feiern.
Natürlich mit viel ganz neuer und auch nicht ganz so neuer
Musik.
nmz: Welches sind denn Ihre ganz persönlichen Favoriten
im Programm, wen möchten Sie auf keinen Fall versäumen?
Budisavljevic: Ohne jetzt Künstler oder Ensembles
wie Michael Gielen oder die Camerata Salzburg, H.K. Gruber, Christiane
Oelze, Ruth Ziesak oder das Auryn-Quartett hintanstellen zu wollen
– einer meiner Favoriten ist das Schönebecker Jugendblasorchester.
Ein traditionsreiches und ambitioniertes Jugendblasorchester aus
einem Essener Stadtteil. Die jungen Musiker werden ein amerikanisch-wienerisches
Unterhaltungsprogramm zum Schönberg-Zyklus beisteuern. Und
sie werden seine „Fanfare on the Motifs of Gurre-Lieder“
spielen, ein Stück für Blechbläser und Schlagzeug,
das Arnold Schönberg für ein Konzert Leopold Stokowskis
in der Hollywood Bowl geschrieben hat. Dass sich das in diesem Rahmen
trifft, ein Blasorchester aus Essen und ein so genannter Avantgarde-Komponist,
Schönebeck und Schönberg –, das ist etwas, das gut
schmeckt. Natürlich spricht mich das ganze Programm an. Vor
allem ansprechend aber war die Möglichkeit, gemeinsam mit dem
Intendanten der Philharmonie Michael Kaufmann, solche Anknüpfungspunkte
zu bieten: etwa für zwei sehr gute Essener Chöre, die
Schönberg singen werden; für die Orchester der Region;
oder für Studierende und Professoren der Folkwang-Hochschule,
die in einer ganzen Klaviernacht Schönbergs gesamtes Klavierwerk
mit anderer Klavierliteratur präsentieren werden. Mit Schönberg
motivieren zu können, das ist etwas ganz Wichtiges.
Publikum erreichen
Wir werden übrigens versuchen, das Publikum auch auf anderen
Wegen zu erreichen. Es gibt ganz verschiedene Ideen. Eine davon
ist, dass man irgendwas in den öffentlichen Verkehrsmitteln,
beispielsweise in den Straßenbahnen, versucht
nmz: Werden Musiker darin unterwegs sein, den Fahrgästen
aufspielen?
Budisavljevic: Zum Beispiel, warum nicht! In den Straßenbahnen
laufen ja immer solche Haltestellen-Ansagen. Die Essener Verkehrsbetriebe
haben unlängst die Ansagen durch den Kabarettisten Herbert
Knebel machen lassen. Zu jeder Station eine kleine Geschichte. Warum
soll man nicht mal versuchen, die Ansagen im Gestus des Schönberg’schen
Sprechgesangs zu installieren. So etwa wie im „Pierrot Lunaire“.
Vielleicht auch kurze Zeilen aus dem Original. Stellen Sie sich
vor, man kommt im Essener Norden an der Kokerei Zollverein vorbei,
die seit langem nicht mehr in Betrieb ist. Und aus dem Lautsprecher
kommt es: „Oh Duft aus alter Märchenzeit“…