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nmz-archiv
nmz 2004/02 | Seite 7
53. Jahrgang | Februar
Musikwirtschaft
Mit Schönberg in der Straßenbahn
In ihrer Eröffnungsspielzeit plant die Philharmonie Essen
ein Festival der großen „Neutöner“
Man stelle sich die Situation vor: die Straßenbahn nähert
sich ihrer nächsten Haltestelle. Doch statt der erwarteten
Lautsprecheransage „Nächste Station: Kokerei Zollverein.
Ausstieg links!“ ertönt plötzlich Musik und ein
Ansage wie diese: „Oh Duft aus alter Märchenzeit“…
Arnold Schönbergs „Pierot Lunaire“ in den öffentlichen
Verkehrsmitteln der Stadt? Das klingt zunächst verrückt,
ist aber nur eine von vielen Ideen, mit denen die Organisatoren
des „Schönberg-Festivals Ruhr“ momentan schwanger
gehen, das als ein Schwerpunkt der Eröffnungsspielzeit der
neuen Philharmonie Essen daherkommt. Das Programm des Festivals
weist eine ungeheure Vielfalt auf: von Lesungen über Sinfonie-
und Kammerkonzerte bis hin zur Klaviernacht, von Johann Strauß
über Joseph Haydn und Franz Schubert bis zu Alban Berg und
Arnold Schönberg. Einer von denen, die dem Intendanten der
Philharmonie Essen, Michael Kaufmann, als künstlerischer Berater
und Kurator für den „Schönberg-Zyklus“ bei
der Vorbereitung des Programms zur Seite stehen, heißt Bojan
Budisavljevic. Er ist Projektleiter des ChorWerk Ruhr bei der landeseigenen
Kultur Ruhr GmbH sowie mit Konzerten der RUHRtriennale beschäftigt.
Von 1988 bis 1994 war er Musikdramaturg bei den Bochumer Symphonikern
und leitete nach Lehrtätigkeiten in Leipzig und Berlin später
eines der Vorgängerprojekte der RUHRtriennale: „Musik
im IndustrieRaum“. Die nmz unterhielt sich mit ihm über
Musik und Kultur an der Ruhr, über Schönberg und Bilder
und über die Idee von der Musik in der Straßenbahn.
nmz: Angesichts der Tatsache, dass sich Musikaufführungen
im Allgemeinen, solche der Neuen Musik im Speziellen, nicht von
selbst tragen und dass von Seiten der öffentlichen Hand wenig
zu erwarten ist: das so umfangreiche und vielseitige Programm des
Schönberg-Festivals muss Ihnen doch schlaflose Nächte
bereiten...
Bojan Budisavljevic: Mir vielleicht weniger als dem Intendanten
der Philharmonie, Michael Kaufmann, der ja das Heft in der Hand
hat, welches auch das Scheckheft ist...(lacht).
Aber im Ernst – die finanzielle Schere hat man, wenn man
länger in diesem Betrieb drin ist, sowieso im Kopf –
man weiß von vornherein, was realistisch ist und was nicht.
Und das hält produktiv. Es bleibt natürlich immer ein
Risiko, welches da heißt: Nehmen die Leute das an? Man muss
also einerseits vorsichtig und andererseits mutig sein. Aber letztendlich
ist die Attraktivität des Programms entscheidend. Das macht
übrigens die Zusammenarbeit mit Michael Kaufmann so fruchtbringend:
Attraktivität, wie wir sie verstehen, wird nicht vom Marktwert
gesteuert, sondern von Erfahrungen und der Intuition, dem Gefühl:
Dieses Programm kann gut aufgehen.
Natürlich reicht das für einen Musikbetrieb, auch wenn
er sich einer hochwertigen kulturpolitischen Aufgabenstellung verpflichtet
sieht, allein nicht aus. Seine Arbeit wird zum großen Teil
von den Einnahmen finanziert. Es müssen eigene Betriebsmittel
dazu aufgebracht werden. Das heißt, es geht durchaus ans Eingemachte,
und ganz besonders, wenn es um aufwändige und gemeinhin „unpopuläre“
Projekte geht. Da sind dann die gefragt, die das künstlerische
Risiko anerkennen und dabei helfen, es abzumildern. In dem speziellen
Fall des „Schönberg-Zyklus“ in Essen spielt so
die Förderung durch die Kunststiftung Nordrhein-Westfalen,
also durch die Lotto-Stiftung des Landes eine überragende Rolle.
Ohne sie würde das überhaupt gar nicht laufen.
Profiliertes Programm
Nun war für die Förderung der Stiftung zweierlei wichtig.
Zum einen hat sie sich eines großen Themas angenommen: „Arnold
Schönberg“. Zum anderen konnten mit dem Essener Thema
„Schönberg“ im hohen Maße auch die regionalen
Kräfte zu wichtigen Programmbeiträgen motiviert werden.
Das heißt: Es gab kein Gießkannenprinzip. Hier ging
es von Anfang an um ein profiliertes regionales Programm in Nordrhein-Westfalen,
an dem sich all diejenigen beteiligen, die es wollen und können.
nmz: Die Tradition der Stadt Essen als Musikstadt begründet
sich unter anderem auf Namen wie Gustav Mahler, dessen sechste Sinfonie
hier vor genau hundert Jahren uraufgeführt wurde. Woher aber
rührt das Interesse dieser Region für die Moderne?
Budisavljevic: Dass sich das Ruhrgebiet genau dafür
interessiert überrascht nicht, wenn man sich mal den Erfolg
der RuhrTriennale 2003 vor Augen führt: Messiæns „Saint
François“ ausverkauft, „Begehren“ von Furrer
ausverkauft. Dann etwa die vom Publikum begeistert aufgenommene
Uraufführung von Harrison Birtwistles „Theseus’
Game“. Wenn man bedenkt, dass schon zu Mitte der achtziger
Jahre sehr rührige Komponisten im Ruhrgebiet bemüht waren,
eine lebendige Szene hier vor Ort zu etablieren, Leute wie Nicolaus
A. Huber oder Gerhard Stäbler etwa. Sie bereiteten den Boden,
um 1995 die Weltmusiktage der Internationalen Gesellschaft für
Neue Musik ins Ruhrgebiet zu holen.
Es kommt also nicht von ungefähr, dass Michael Kaufmann so
etwas wie diese Schönberg-Woche gerade in seiner Eröffnungs-Spielzeit
wagt. Und er geht ja noch darüber hinaus: H.K. Gruber ist „composer
in residence“ mit fünf Projekten, dreimal gastiert das
Ensemble Modern in der Philharmonie: Das ist schon fast eine eigene
Abo-Reihe Die musikFabrik, unser Landesensemble für Neue Musik,
präsentiert sich gleich fünfmal mit Musik etwa von Webern,
Birtwistle, Sawer und Michael Gordon in der Philharmonie. Aber auch
Pierre Boulez und das Chicago Symphony werden kommen… Bedenken
Sie: Das Ruhrgebiet wurde ge- und auch verformt in den letzten 150
Jahren. Es ist eine Region der Moderne – mit ihren Vor- und
Nachteilen. Jürgen Flimm etwa wurde, als er die Intendanz für
die RuhrTriennale 2005 bis 2007 annahm, in einem Interview gefragt,
warum er als Schauspielchef der Salzburger Festspiele wegginge und
jetzt ins Ruhrgebiet käme. Er hat geantwortet: „Das Publikum
hier ist neugierig – das in Salzburg ist altgierig.“
nmz: Diese Neugier wäre ja eine gute Voraussetzung
nicht zuletzt auch für den ökonomischen Erfolg solcher
Veranstaltungen, der ja letztlich nicht ohne Signalwirkung auf die
nachfolgenden bliebe.
Budisavljevic: Tatsächlich gibt es hier ein sehr großes
Potential. Bei einer eine Auslastung von 83 Prozent im letzten Jahr
braucht die RuhrTriennale den Vergleich mit den Berliner Festwochen
nicht zu scheuen. Das Gegenteil ist wohl eher der Fall. Das hat
Signalwirkung, und die Philharmonie Essen kann und wird dieses Signal
aufnehmen und weiterleiten.
Wir haben hier einen unglaublich großen Ballungsraum –
von Duisburg bis Dortmund sechs Millionen Menschen. Das wird oft
verkannt, weil die Region nicht wenige gewaltige „Leuchttürme“
auf der kulturellen Szene aufweist. Da leuchten zahlreiche unterschiedliche
Feuer und senden dem Publikum ihre Signale zu. Diese Menschen sind
alle mobil. Sie alle haben städtische Kulturinteressen und
vielfältige kulturelle Bedürfnisse. Und darum glaube ich
auch, dass dieser programmatische Mix der Philharmonie, den Michael
Kaufmann anbietet, das richtige Programm für das Ruhrgebiet
ist.
Mentale Mobilität
Natürlich ist da stets ein bisschen „wishful thinking“
mit dabei. Diese Mobilität, auch die mentale, muss man auch
herstellen, was nicht ganz einfach ist. Wenn sie sich dann aber
einstellt, dann ist es unwerfend. „Kirchturmsdenken“
– das Verharren im Schatten des heimatlichen Kirchturms –
ist in ja Deutschland kaum irgendwo so ausgeprägt wie im Ruhrgebiet.
Ein ermutigendes Beispiel: Das Ruhrgebiet bewirbt sich auch um die
„Kulturhauptstadt Europas 2010“. Wir haben in den Grenzen
des Kommunalverbands Ruhrgebiet elf kreisfreie Städte und vier
Landkreise, also von Essen, Bochum, Dortmund bis zum Kreis Recklinghausen
und Kreis Wesel etwa, die sich alle als Region bewerben. Die Voraussetzung
für eine Bewerbung ist jedoch, dass sich eine einzige Stadt
bewirbt und diese dann für die Region. Unlängst erst hat
man hier also tatsächlich das 21. Jahrhundert erreicht, indem
die sich mit Argusaugen bewachenden und durchaus auch einander beneidenden
Städte Bochum und Essen sich entschlossen haben, dass sie die
Bewerbung auf die Bahn bringen werden, aber die Entscheidung für
eine der Städte einem Dritten überlassen. Das wird in
diesem Falle die Versammlung des Kommunalverbandes Ruhrgebiet mit
Vertretern aller Städte und Gemeinden, wenn man so will: das
Ruhrparlament, sein. Das ist ein großer Schritt, wenn man
ihn vor dem Hintergrund der Mentalität im Ruhrgebiet betrachtet.
Ein Signal ist gesetzt. Mal sehen, was für eine Bewegung da
noch entsteht.