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nmz-archiv
nmz 2004/03 | Seite 6-7
53. Jahrgang | März
Musikwirtschaft
Ist die Diagnose gestellt, beginnt die Therapie
Musikverlage an der Schwelle zum 21. Jahrhundert – Teil
2 [ <<< Teil
1]
Steht also bei den E-Verlagen das klassische Papiergeschäft
im Vordergrund der Verlagstätigkeit, ist das bei den so genannten
U-Verlagen völlig anders. Das Hauptgeschäft besteht hier
im Wesentlichen aus der Arbeit mit den Rechten, den Copyrights.
Das Papiergeschäft findet nur im Fall von Hits und auch da
zumeist per Abdrucklizenz statt. Zu den wichtigsten Aufgaben eines
U-Verlages gehört neben der ständigen Akquisition von
Copyrights und Subverlagsrechten vor allem die Promotion und Verwertung
der Verlagskataloge in den Medien. Das sind zuallererst natürlich
die traditionellen Medien wie Tonträger und Bildtonträger
sowie Rundfunk, TV, Werbung, zunehmend natürlich aber auch
die neuen Medien wie insbesondere die Klingeltöne. Auch die
reine Verwaltung dieser Copyrights (dazu gehören die Vergabe
von Abdrucklizenzen, Synch-Rights für Filme, Klingeltöne
und Werbung, Bearbeitungsgenehmigungen oder Kontrolle von Abrechnungen)
ist angesichts der großen Zahl von verwalteten Rechten (die
Industrieverlage kommen schon mal auf eine Million Copyrights) ein
wesentlicher Geschäftsbereich. Ein Schwerpunkt aber liegt bei
der Behandlung der zum Teil sehr komplexen GEMA-Fragen, denn ein
Löwenanteil der Verlagseinnahmen (die drei Säulen des
Verlegers: Senderecht, Aufführungsrecht und mechanisches Recht)
wird hier im Wesentlichen aus dem GEMA-Topf gespeist.
Die Marktsituation
Geprägt ist die Marksituation zunächst einmal von der
Tatsache, dass sich die so genannten konzerngebundenen Industrieverlage
(das sind: EMI Music Publishing als Marktführer, Warner/Chappell
Music, Universal Music Publishing sowie BMG Music Publishing und
Sony/ATV Music Publishing – die beide übrigens nicht
von einer möglichen Fusion BMG/Sony betroffen sind) das Geschäft
mit einer Vielzahl von kleineren und kleinsten Verlagen, den so
genannten Independents, teilen müssen. Der wesentliche Unterschied
zwischen den Industrieverlagen und den gerne auch „Indies“
genannten Independents besteht nun darin, dass die Industrieverlage
jeweils einem der großen Plattenkonzerne angehören, also
direkt mit der Plattenindustrie verquickt sind. Beabsichtigt war
mit diesem Modell, dass sich die Titel der Plattenkünstler
so auf einfache und rationelle Weise verlegerisch verwerten ließen.
Die an die GEMA zu zahlenden Royalties (Lizenzgebühren) fürs
mechanische Vervielfältigungsrecht kamen so nämlich praktischerweise
– abzüglich der GEMA-Kommission natürlich –
gleich wieder ins Haus zurück. Mittlerweile aber hat sich der
Verlagsbereich gegenüber dem dominierenden Plattenbereich auch
einigermaßen emanzipieren können, denn durch ständige
Akquisitionen von neuen Verlagskatalogen, vor allem im Subverlagsbereich,
durch Aufkäufe von Verlagen aller Art, durch den Abschluss
von Administrations-, Editions-, und Co-Verlagsverträgen hat
sich das Betätigungs- und Einflussspektrum doch deutlich erweitert.
So ist auch das Repertoire von Plattenfirma und Verlag längst
nicht mehr völlig deckungsgleich. Das die gesamte Welt umspannende
System von Schwester-, Mutter- und Tochterunternehmen erleichtert
obendrein dem Industrieverlag eine optimale Betreuung und internationale
Vermarktung ihrer Copyrights sehr. Welchen Verwerter freut es nicht,
alle Rechte – und das weltweit – aus einer Hand zu bekommen.
Mädchen auf den Schwefelhölzern:
Norah Jones ist die Senkrechtstarterin unter den Newcomern.
Ihr neues Album „Feels Like Home“ verkaufte
sich in der ersten Woche 1.000.000 mal. Wer mag da noch
von einer Krise reden?
Und wo bleiben angesichts dieser Situation (die genannten Industrieverlage
machen insgesamt mehr Umsatz als alle Independents zusammen) die
kleinen, die unabhängigen Verlage, die Indies? Sie haben es
zunehmend schwer, sich gegenüber den Konzernen durchzusetzen.
Ganz besonders zu kämpfen haben natürlich auch die Kleinen
mit den ungeheuren Rückgängen im Bereich Tonträger,
denn mit diesem Markt hängt man, auch wenn es bei den Verlagen
noch andere Verwertungs- und Einnahmemöglichkeiten als die
Tonträger gibt, auf Gedeih und Verderb zusammen. Alleine im
Jahr 2003 sind die Umsätze der deutschen Tonträgerindustrie
als Folge der Internet- und Brennerkonkurrenz um 20 Prozent, im
Vergleich zu jeweils 10 Prozent in 2002 und 2001, eingebrochen,
seit 1997 sind es insgesamt etwa 40 Prozent. Was das hinsichtlich
der lebensnotwendigen GEMA-Ausschüttungen der Verlagsanteile
bedeutet, liegt auf der Hand. Dazu kommt, dass die deutsche Tonträgerindustrie
ohnehin schon um jeden an die GEMA zu zahlenden Cent jahrelang vor
den Schiedsgerichten feilscht. Auch die einst sehr lukrativen Einnahmen
aus der Werbung gehen im Rahmen der allgemeinen Werbekrise stark
zurück, hier allerdings zeigt sich langsam eine Wende zum Besseren
ab. Mit starkem Gegenwind durch die Konzernverlage zu tun haben
die unabhängigen Verlage auf dem Gebiet des Subpublishing,
einem für alle U-Verlage extrem bedeutsamen Geschäftsfeld,
von dem im Wesentlichen das Wohl und Wehe eines Verlagshauses abhängt.
Wenn man bedenkt, dass auch in Deutschland die anglo-amerikanische
Musik dominiert, kann man abschätzen, wie wichtig die Akquisition
von Verlagskatalogen aus diesen Ländern für deutsche Verlage
ist.
Nur von deutscher Musik alleine kann nicht eine ganze Branche leben.
Um nun einen der begehrten Verlagskataloge in seinem Gebiet vertreten
zu dürfen, muss vom Verlag zunächst ein – in der
Regel horrender – Vorschuss gezahlt werden. Und dieser wiederum
muss im Laufe der drei bis fünf Jahre, die ein solcher Vertrag
läuft, erst einmal amortisiert werden – von einem möglichen
Gewinn noch ganz zu schweigen, denn oftmals muss man sich seine
Subrechte auch noch mit anderen Verlagen teilen. Durch großen
Druck der mit Kapital gut ausgestatteten und ebenfalls um Subverlagskataloge
buhlenden Industrieverlage aber steigen diese Vorschüsse immer
weiter – und das bei gleichzeitig sinkendem Tonträgeraufkommen.
Hinzu kommt, dass viele der anglo-amerikanischen Verlage dazu neigen,
Subverlagsrechte nicht mehr nur für ein Land zu vergeben, sondern
am besten gleich für eine ganze Reihe von Ländern. Da
aber können die meist national agierenden Unabhängigen
in der Regel nicht mehr mithalten, müssen das Feld den Konzernen
überlassen, die noch dazu die gezahlten Vorschüsse und
deren Amortisationsrisiko auf mehrere Länder verteilen. Und
zum guten Schluss verringert sich auch die Zahl der unabhängigen
Anbieter aus den angelsächsischen Ländern durch permanente
Aufkäufe – nicht zuletzt wiederum durch die Konzerne
– immer weiter, so dass am Ende auch die Zahl der verfügbaren
Kataloge kontinuierlich sinkt.
Schwierige Zeiten
Es sind also auch im U-Bereich schwierige Zeiten angebrochen.
Das gilt übrigens keineswegs nur für die Independents,
sondern ebenso für die Industrieverlage. Die haben mit den
dramatischen Rückgängen im Tonträger- und Werbebereich
genauso zu kämpfen, sind aber besser abgesichert und können
in der Krise ihre Stärken nutzen.
Doch die Independents haben ebenfalls ihre Stärken. Und genau
diese gilt es gegenüber den riesigen und oft unbeweglichen
Industrieverlagen auszuspielen, die an den Ketten des Shareholder
Value und der Konzerncontroller hängen. Das geht natürlich
zu Lasten der Kreativität und Risikobereitschaft, Eigenschaften,
die von den Künstlern ganz besonders geschätzt werden.
Gut haben es da diejenigen Verlage, die Marktlücken besetzen,
in denen noch keine Konzerne agieren. Denn die schrecken gerne noch
vor etwas exklusiven Musikrichtungen wie etwa Wave und Gothic zurück,
überlassen dieses Feld also den Kleinen – wenn sie nicht
gerade eine besonders erfolgreiche Band an der Angel haben. Oder
sie kaufen entsprechende Spezialverlage. Alle anderen aber, die
sich auf dem gleichen Schlachtfeld wie die Großen tummeln,
müssen sich etwas einfallen lassen, um in der allgemeinen Krise
bestehen zu können.
Neue Ansätze
Hier gibt es schon etliche Ansätze: zunächst einmal
entwickeln sich auch die unabhängigen U-Verlage schon seit
langem weg vom reinen Verlagsgeschäft – hier also die
Rechte-Akquisition und -betreuung – hin zum Manager, Agenten
und Gesamtdienstleister ihrer Künstler. Gerade die kleineren
Verlage können sich deutlich intensiver um viele Dinge kümmern
als die schon durch ihre Größe eher schwerfälligen
Majors. Das betrifft insbesondere die Promotion und das Herzstück
der Plattenfirmen, das A & R (Artist & Repertoire). Verursacht
durch die hohe Personalfluktuation und die Masse der betreuten Copyrights
sind bei den Majors in diesen Bereichen mittlerweile Defizite entstanden,
die die kleinen Verlage mit ihren engen persönlichen Bindungen
zu den Künstlern und Verwertern gut auffüllen können.
Eine stetige Aufbauarbeit mit noch unbekannten nationalen Künstlern
findet bei den Plattenmajors in Zeiten des „Superstar“-Wahns
nämlich nur noch höchst reduziert statt, was da nicht
auf Anhieb Erfolg hat, verschwindet recht schnell wieder von der
Bildfläche. An dieser Stelle können die viel beweglicheren
und flexibleren Independents eingreifen – und tun es auch.
Überhaupt arbeiten immer mehr der unabhängigen Verlage
schon längst auch als Plattenproduzenten und Studioinhaber,
produzieren jedenfalls die dann den Plattenfirmen angebotenen Masters
selbst. Das Wort vom „Verlag als Plattenfirma der Zukunft“
geht schon um. Diese deutlich bessere Betreuung der Künstler
und Kataloge durch die Kleinen ist eine riesige Chance im Kampf
mit den Großen und führt übrigens schon verstärkt
dazu, dass beispielsweise die erwähnten hohen Vorschüsse
für Subverlagskataloge in den Keller gehen, denn der Service
ist vielen Anbietern wichtiger als der schnelle Dollar. Schafft
es ein Indie aber mal, seine Titel prominent auf Tonträgern
oder im TV unterzubringen („Song-plugging“), kommt gleich
der entsprechende Konzern und will seinen hauseigenen Verlag zumindest
als Ko-Verlag beteiligt sehen.
Darüber hinaus ist es den Independents zur Vermeidung der
Abhängigkeit von Fremdkatalogen enorm wichtig, eigene, nationale
Originalcopyrights zu erwerben und aufzubauen, die dann eben auch
im Ausland von Subverlagen betreut werden können. Nur so kann
eine gewisse Unabhängigkeit vom schwierigen deutschen Markt
erreicht werden. Newcomer, die bei den Konzernen mittlerweile kaum
eine Chance haben und im Chart-hörigen Radio so gut wie nie
gespielt werden, werden daher von den unabhängigen Verlagen
mehr denn je gefördert. Branchenstar Tim Renner hat nicht zuletzt
wegen dieser kurzsichtigen Konzernpolitik seinen Hut bei Universal
Music genommen. Flankierend dazu wird gegenwärtig intensiv
über eine dringend notwendige Newcomer-Quote im Rundfunk diskutiert,
ebenso über eine Quote für deutschsprachige Titel. Vieles
ist hier noch unklar. Klar ist aber, dass eine solche Quote für
die deutschen U-Verlage – wie bereits im Ausland mit großem
Erfolg praktiziert – eine wichtige Funktion haben wird, auch
wenn sie für die Majors wegen deren internationalen Repertoires
keine entscheidende Rolle spielen wird. Für die Indies tut
es das dafür umso mehr.
Das Gründungsstadium hinter sich hat ein Musikexportbüro
mit dem Namen „German Sounds“. Dieses Büro, ebenfalls
mit ausländischem Vorbild, soll mit staatlicher Unterstützung
und entsprechender Infrastruktur dazu beitragen, deutschsprachige
Produktionen – und damit auch die Copyrights – im Ausland
bekannter zu machen. Noch spielen deutsche Titel im Ausland ja kaum
eine Rolle – von Techno oder Dance vielleicht einmal abgesehen.
Und die GEMA?
Anders als im E-Bereich mit dessen starkem Papiergeschäft
spielt die GEMA bei den U-Verlagen eine ganz entscheidende Rolle.
Die weitaus meisten Verwertungsarten (vor allem Tonträger,
Rundfunk/TV/Klingeltöne – ohne Synch-Rights – ,
Aufführungen, öffentliche Wiedergaben) werden über
die GEMA abgerechnet und von ihr an die Mitgliedsverlage und Autoren
ausgeschüttet. Die GEMA-Einnahmen sind, wie erwähnt, im
Bereich mechanische Rechte und Werbung rückläufig, auch
mit Rückgängen im Rundfunk/TV-Bereich ist zu rechnen.
Mittlerweile schieben sich die Handy-Klingeltöne (jetzt auch
in Gestalt von „Real-Tones“ mit Originalmusik) immer
mehr in den Vordergrund, auch wenn sie lange nicht das Hauptgeschäft
der Verlage sind. Bei etlichen Verlagen aber macht die Lizenzierung
von Klingeltönen schon bis zu 50 % der insgesamt lizenzierten
Synch-Rights aus, dazu kommen noch die GEMA-Anteile für das
mechanische Vervielfältigungsrecht.
Angesichts des riesigen Repertoires verwundert es kaum, wenn die
Zusammenarbeit zwischen den Verlagen und der GEMA nicht immer reibungslos
verläuft. Kaum möglich ist es, alle Wünsche unter
einen Hut zu bringen, zu vielfältig sind da die Interessenlagen.
Das Motto lautet oft: was dem einen gegeben wird, wird dem andern
genommen. Das konnte man beispielhaft sehen an der heftigen Diskussion
um das im Jahr 2001 eingeführte neue Abrechnungssystem PRO,
bei dem es sicher Verlierer, aber keine bessere Alternative gab.
Man bemüht sich aber, alle anstehenden Problempunkte –
seien es die Schwierigkeiten rund um das neue, noch sehr fehleranfällige
Dokumentationssystem DIDAS, seien es Abrechnungsprobleme verschiedenster
Art oder sei es die Suche nach verbesserter Kommunikation –
im Dialog mit der GEMA zu lösen. Die ständigen „Verlegergespräche“
haben schon zu mancher Verbesserung beigetragen.
Ganz gravierend für die Verlage (E wie U) ist auch die Tatsache,
dass seit Juli 2000 die Gesamtverträge zwischen GEMA/BIEM und
der IFPI über die Tonträgertarife ausgelaufen sind. Die
sich seit nunmehr dreieinhalb Jahren hinziehenden Verhandlungen
auf Neuabschluss sind bis heute, letztlich wegen der Unnachgiebigkeit
der Plattenindustrie, erfolglos geblieben, haben sich in den letzten
Wochen sogar noch durch neue, völlig überzogene Forderungen
seitens der IFPI (der Vergütungssatz für Tonträger
soll nun von 9,009 auf 5,6 % reduziert werden) deutlich verschärft.
Bis zu einem Schiedsspruch des Patentamtes in zirka fünf Jahren
wird der Differenzbetrag nun auf ein Sperrkonto gezahlt werden.
Verlegern wie Urhebern wird so ein Betrag von mehr als 200 Millionen
Euro vorenthalten, ein Einkommensverlust aus Tonträgerlizenzen
von zirka 40 Prozent droht.
Die massiven Probleme der Plattenfirmen gehen so letztlich zu Lasten
der Verlage und der Urheber, die von einer gesetzlich geforderten
angemessenen Honorierung meilenweit entfernt sind. Man sieht also,
dass das Verhältnis Plattenindustrie – Musikverlage alles
andere als entspannt ist, im Grunde steht man sich feindselig gegenüber.
Letztlich sitzt man aber doch im gleichen Boot. Daher ist ein engeres
Zusammenrücken von Verlagen – also vor allem der unabhängigen
– und Phonoindustrie wichtiger denn je. Und so fehlt es denn
auch nicht an entsprechenden Absichtserklärungen. Die Praxis
aber sieht, wie eben gerade zu erleben, völlig anders aus.
Diagnose und Therapie
Es ist offensichtlich: Die Musikverlage (E wie U, Konzerne wie
Einzelkämpfer) stecken wie das gesamte Kultursystem in einer
Krise. Aber ist die Diagnose erst einmal gestellt, kann die Therapie
beginnen. Die Verlage haben die Krise als Chance, als Herausforderung
begriffen. Man befindet sich in einer Phase der Neustrukturierungen,
der Selbstreinigung, des Überdenkens alter und des Generierens
neuer Geschäftsmodelle.
Es wird nicht mehr jeder für sich arbeiten, sondern es werden
Kooperationen aller Art bis hin zum Geschäftszusammenschluss,
eine immer größere Rolle spielen. Allerdings wird es
ohne eine grundlegende Änderung der gesamtwirtschaftlichen
Rahmenbedingungen nur schwer möglich sein, einen wirklichen
Ausweg aus der Krise zu finden.
Und angesichts der rasanten Weiterentwicklung der sich durch die
neuen Medien bietenden Möglichkeiten wird es ebenso auch schwer
fallen, die rechtlichen und technischen Maßnahmen zum Schutz
der eigenen Rechte diesen Entwicklungen schnell genug anzupassen.