[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2004/02 | Seite 5-6
53. Jahrgang | Februar
Musikwirtschaft
Bleiplatte bis Song-Plugging
Musikverlage an der Schwelle zum 21. Jahrhundert · Von
Thomas Tietze
„Das Wort ,Musikverlag‘ bezeichnet den gewerbsmäßig
mit der Vervielfältigung und Verbreitung von Kompositionen
und musikalischem Schrifttum beschäftigten selbständigen
Teil des Buchhandels.“ Was uns da die Enzyklopädie „Musik
in Geschichte und
Gegenwart“ mitteilt, ist sicher nicht falsch. Mittlerweile
aber sind Geschäftsfelder und Organisationsstrukturen viel
zu weit gefächert, um mit einer einheitlichen Definition das
ganze Spektrum der Musikverlage abzudecken. Alleine schon die Tatsache,
dass unser Musikleben nach wie vor in E und U – ob zu Recht
oder zu Unrecht, sei dahingestellt – aufgeteilt ist, zeigt,
dass eine pauschale Begriffsbestimmung nahezu unmöglich ist.
Was aber macht ein Musikverlag dann? Und wie rüstet er sich
in den Zeiten der Krise für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts?
Die zirka 140 im Deutschen Musikverlegerverband organisierten E-Musikverlage
(bei zirka 280 U-Verlagen) entsprechen noch am ehesten dem klassischen
Bild eines Musikverlages, auch wenn einige über beachtliche
U-Kataloge verfügen. Hier bildet das so genannte Papiergeschäft,
nämlich der Notendruck und -vertrieb, einen Schwerpunkt des
traditionsreichen Verlagsgeschäfts. Schon im 18. Jahrhundert
(die Anfänge allerdings reichen bis ins 16. Jahrhundert zurück)
wurden etliche Musikverlage gegründet, von denen auch heute
viele noch zu den Platzhirschen in der Branche zählen. Namhafte
Verlage wie etwa C.F. Peters, B. Schott´s Söhne (heute:
„Schott Musik International“) oder Breitkopf & Härtel
gehören dazu. Den immer kleiner werdenden Markt teilen sich
in Deutschland die acht großen Verlage, nämlich die Familienunternehmen
Bärenreiter, Breitkopf, Peters, Schott, Sikorski sowie Henle
und als Ableger ausländischer Verlage Boosey & Hawkes und
die BMG-Tochter Ricordi mit etwa 130 kleineren Häusern. Diese
großen, auch international führenden Verlage bedienen
in der Regel ein breites Programmspektrum von der Blockflötenschule
bis zur großen zeitgenössischen Oper – dazu kommt
oft noch ein Musikbuchprogramm –, die kleineren sind in der
Mehrheit spezialisiert.
Einzigartige Cash Cow: Carl
Orffs „Carmina Burana“ ist der Klassik-Hit.
Unser Bild zeigt den Komponisten im Gespräch mit Colette
Lorand bei der Premiere seiner „Antigonae“ während
der Münchner Opernfestspiele 1975. Foto: F. Timpe
Zurück zum „Papiergeschäft“, dessen Volumen
bei etwas über zehn Prozent des Gesamtumsatzes bei E und U
(um die 700 Millionen Euro pro Jahr) liegt. Das tägliche Brot
der Musikverlage besteht hier aus dem fast unmöglichen Spagat
zwischen den Produktionskosten, die im Notenbereich wegen der technisch
sehr aufwendigen Herstellung (der professionelle Notensatz per Computer
ist entgegen landläufiger Meinung übrigens keineswegs
billiger als Großvaters Notenstich) relativ hoch liegen und
der branchenüblich niedrigen Auflage. So liegen die Produktionskosten
für ein 30-seitiges Klavierheft im oberen vierstelligen Bereich,
die einer Partitur plus Material zu einer klassischen Sinfonie oder
eines Klavierauszugs zu einer Mozart-Oper im mittleren bis oberen
fünfstelligen Euro-Bereich. Und die Produktion einer zeitgenössischen
Oper mit Partitur, Klavierauszug und Orchesterstimmen kommt auf
mindestens 80.000 Euro, wobei diese Summe bei traditionellen Opern
oder großen Chorwerken geringfügig niedriger liegen kann.
Die Auflagen für Kaufausgaben indessen liegen sowohl im Bereich
Musikbuch als auch im Bereich Noten häufig unter 3.000 Exemplaren,
bei zeitgenössischen Werken oft sogar im einstelligen Bereich.
Jede Neuerscheinung (insgesamt mehrere Tausend pro Jahr) ist also
das Ergebnis einer kalkulatorischen Gratwanderung, denn die Preise
müssen natürlich dem Markt angemessen sein und dürfen
nicht gleich die Käufer verschrecken. Und auch der Handel braucht
seine Spanne. Deswegen sind vom – gebundenen – Ladenpreis
immer noch der übliche Rabattabschlag und die Mehrwertsteuer
an den Händler abzuziehen sowie Autorenhonorare und etwaige
Lizenzgebühren. Bevor es also endlich an die Kostendeckung
geht, müssen erst einmal bis zu 75 Prozent vom Ladenpreis abgezogen
werden. Dass da bei den geringen Auflagen am Ende nicht viel beim
Verlag übrig bleibt, lässt sich schnell nachrechnen. Ein
echtes wirtschaftliches Problem stellt auch die Kapitalbindung durch
die branchentypisch riesigen Lagerbestände dar, denn anders
als die Buchverlage verfügen die Musikverlage über große
Backlists. Hier muss abgewogen werden zwischen der Lieferfähigkeit
auch hinsichtlich uralter Lagerhüter und einer betriebswirtschaftlich
notwendigen Reduktion des Lagerbestands.
Zum Papiergeschäft zählt auch noch ein weiterer, sehr
bedeutsamer Bereich, nämlich das so genannte Leihmaterialgeschäft.
Fast jeder Verlag, der Orchesterwerke im Katalog führt, verleiht
– oder juristisch korrekter: vermietet zum beiderseitigen
Wohl zahlreiche Aufführungsmateriale an Bühnen und Orchester.
Verlag und Kunde sparen Lagerkapazitäten, die Orchester bekommen
auf Wunsch bezeichnete Materiale. Entscheidend aber: Ein Verkauf
wäre bei vielen, insbesondere sehr groß besetzten Werken
für den Verlag schlicht nicht rentabel und fürs Orchester
nicht finanzierbar. Berücksichtigt man nämlich die hohen
Herstellungskosten, wird schnell klar, warum nur bei Mietmaterial
(mit den üblichen Materialentgelten auch bei Rundfunksendungen
oder CD-Einspielungen) wenigstens die Chance auf Amortisierung besteht.
Ohne diese Chance würde so manches Opern- oder Orchesterprojekt
von den Verlagen sicher nicht realisiert werden können, auch
wenn oftmals noch Tantiemen für das Werk oder die Ausgabe (werden
bei Bühnenwerken direkt an die Verlage gezahlt) hinzukommen.
Davon wiederum geht der Löwenanteil natürlich an die Autoren.
Ein Wort zur zeitgenössischen Musik: Angesichts der immens
hohen Herstellungskosten zeitgenössischer Werke bei gleichzeitig
immer schwieriger zu erreichenden Aufführungen, Sendungen oder
Tonträgereinspielungen stellt es für alle Verlage mehr
denn je ein großes ökonomisches Risiko dar, Neue Musik
zu verlegen, wenn es nicht gerade um die Superstars des Metiers
geht. McKinsey jedenfalls würde entsprechende Aktivitäten,
die im Grunde reines Mäzenatentum sind, sofort stoppen. Trotzdem
gibt es so gut wie keinen Verlag, jedenfalls nicht unter den größeren
Universalverlagen, der sich nicht der Förderung Neuer Musik
und auch jüngerer, noch nicht arrivierter Komponisten und Komponistinnen
verschrieben hat. Möglich ist das aber nur im Wege der Mischkalkulation,
ohne die Brotartikel ließe sich so manches Projekt nicht verwirklichen.
Übrigens betätigen sich die Verlage hier schon lange nicht
mehr nur als Notendrucker. Sie arbeiten – ein weiterer Kostenfaktor
– als Agenten, Manager und Sekretäre ihrer Autoren, promoten
Aufführungen und Plattenaufnahmen und sind so im Grunde Gesamtdienstleister
geworden. Sie tun das, weil sie wissen, dass das Engagement für
Neue Musik gleichzeitig eine lebenswichtige Investition in die Zukunft
der Branche ist. Obendrein allerdings ist hier auch noch eine gehörige
Portion verlegerischer Leidenschaft dabei. Sollten aber jemals die
großen Medienkonzerne wie Bertelsmann oder Holtzbrinck auch
im Musikverlagsbereich an Einfluss gewinnen – wovon man dank
der recht stabilen Eigentümerstrukturen in den meisten großen
Familienunternehmen allerdings noch weit entfernt ist – ,
dürfte sich diese Situation entscheidend ändern.
Bei nicht wenigen Verlagen auch im E-Sektor ist das Papiergeschäft
aber heute schon nur ein Bereich von mehreren, hier bildet die Rechteverwaltung
eine starke Säule. Glücklich sind die Verlage, die die
großen, noch bis 70 Jahre nach dem Tod des Autors geschützten
Klassiker des 20. Jahrhunderts betreuen dürfen. Denn da sorgen
Aufführungstantiemen und Tantiemen für CD-Einspielungen,
Rundfunk- oder Fernsehsendungen, Verfilmungen, Werbespots (Zarathustra,
Carmina Burana) und sogar Handyklingeltöne – jedenfalls
noch – für schwarze Zahlen und tun als Finanzierungsquelle
für andere, wirtschaftlich weniger interessante, dafür
aber kulturpolitisch und künstlerisch bedeutsame Projekte segensreiche
Wirkung. Wer aber solche Rechte nicht oder nicht in größerem
Umfang hat, muss sich seinen Platz im Business erst mühsam
erkämpfen und sich Nischen suchen, in denen sich noch nicht
so viele Konkurrenten tummeln. Musterhaft vorgeführt haben
das relativ junge Häuser wie etwa der Münchner G. Henle-Verlag
mit seinen fast schon klassischen blauen Ausgaben für die Praxis
und der Kasseler Bärenreiter-Verlag, der mit seinen wissenschaftlich-kritischen
Gesamtausgaben (unter anderem von Bach, Mozart und Schubert) neue
Wege im Musikverlag und für die Praxis erschloss.
An der Schwelle zum 21. Jahrhundert sind allerdings die goldenen
Jahre für ausnahmslos alle E-Musikverlage vorbei. Die wirtschaftlichen
und demographischen Rahmenbedingungen sind nicht dazu angetan, mit
euphorischer Begeisterung in die Zukunft zu schauen. Zu heftig ist
der Gegenwind in nahezu allen Bereichen, auch im lange Zeit recht
stabilen Papiergeschäft geht die Tendenz nach unten. Einige
wichtige Auslandsmärkte wie USA und China gelten als Wachstumsmärkte.
Der hiesige Musikalienhandel mit seinen circa 1.500 Geschäften
leidet unter erheblichen Absatz- und Nachwuchsproblemen, steht unter
einem enormen Kostendruck und wird von einer heftigen Insolvenzwelle
erfasst, während sich Aldi und Lidl als Könemann-Nachfolger
mit Billigstausgaben oftmals dubioser Herkunft auf den Notenmarkt
wagen. Über so manchem Orchester und Opernhaus schwebt das
Damoklesschwert der Schließung oder Fusion, also werden die
wegen der Tantiemenzahlungen teureren Aufführungen zeitgenössischer
Musik zurückgefahren, bei den Noten wird aus Kostengründen
oft auf billige Nachdrucke zurückgegriffen. Die gebeutelten
großen Plattenfirmen suchen unterdessen ihr Heil bei Rieu,
Bocelli und Crossover und feilschen, wenn sie denn noch echte Klassik
produzieren, ansonsten mit den Verlagen und Verwertungsgesellschaften
um jeden Cent. Auch die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten
(die privaten spielen hier ohnehin keine Rolle) müssen massiv
einsparen, in ARD und ZDF gibt es praktisch keine Klassik mehr und
auch im Rundfunk gibt es starke Einschnitte vor allem bei der Neuen,
aber auch der traditionellen Musik. Und der Blick auf die GEMA-Ausschüttungen
verursacht als logische Folge all dieser Probleme kaum noch reine
Freude. Zum guten Schluss sorgen dann das Internet mit seinen gigantischen
Pirateriemöglichkeiten (praktisch ist schon jetzt jede Note
illegal im Web zu bekommen) und das Fotokopiergerät als größter
Feind der Verlage für den Rest. Und so wird zwangsläufig
bei den Verlagen der Gürtel enger geschnallt, Risiken werden
gemieden, die Kataloge verschmälert. Outsourcing und Personalabbau
sind schon lange keine Fremdwörter mehr, der Einfluss der Controller
wächst. Nicht zuletzt macht auch das große Fressen vor
der doch eher konservativen E-Musikverlagsbranche nicht halt. Verlagsaufkäufe
etwa durch Bertelsmann (unter anderem Ricordi und Durand) gestalteten
sich jedoch in den wenigsten Fällen zum Wohl des Verlages und
seiner Autoren, – ob es wenigstens zum Wohl des Käufers
geschah, sei dahingestellt. Jedenfalls: Die Marktgesetze und -gebräuche
von gestern gelten nicht mehr ohne weiteres. Das Großreinemachen
beginnt.
Präsentation & Marketing
Was wird getan? Im Papiergeschäft bemüht man sich, zunächst
einmal den kranken Handel nach Kräften und im partnerschaftlichen
Dialog zu unterstützen. Der wiederum ist gefordert, sich gerade
in Präsentation und Marketing verstärkt den neuen Entwicklungen
anzupassen. Angebote wie das elektronische Bestellsystem auf der
Basis der neuen Datenbank IDNV (ähnlich dem PhonoNet im Tonträgerhandel)
werden noch längst nicht von allen Händlern – die
Verlage allerdings müssen ebenfalls ihren Teil beitragen –
genutzt, wertvolle Ressourcen verschenkt. Auch das Internet ist
in der täglichen Arbeit der Händler, vor allem als Marketinginstrument,
noch viel zu wenig präsent.
Dazu wird nach neuen Vertriebs- und Lieferwegen (letztere sind
gegenüber dem Buchhandel oftmals zu lang) gesucht. Neue Märkte
und Produktbereiche werden erschlossen, Sparpotentiale entdeckt,
Synergien genutzt. Die Verlage wissen, dass sie all die Möglichkeiten
der neuen Medien mit Mut und verlegerischer Kreativität nutzen
müssen, bevor es andere statt ihrer tun. Entsprechende verlagsfremde
Initiativen gab es schon. CD-Roms als Buch/Noten-Substitute oder
Noten zum Downloaden sind bereits Bestandteile der Verlagsprogramme,
haben sich aber auf legale Weise – aus vielerlei Gründen
– noch kaum durchgesetzt. Auch in den verstärkten Aufbau
eines wirklich kundenfreundlichen Online-Handels, in Kooperation
mit dem traditionellen Handel, wird investiert. POD (Publishing
on Demand) wird eine immer größere Rolle spielen.
Die E-Verlage rücken enger zusammen, denn die Herausforderungen
der Zukunft können letztlich nur gemeinsam bewältigt werden.
Ist man zwar von Produktabsprachen noch weit entfernt, setzt sich
doch die Erkenntnis, dass nicht jeder alles (und allein) machen
muss, mehr und mehr durch. So häufen sich die Kooperationen
vor allem bei Großprojekten. Immer mehr Verlage, gerade die
kleineren, gehen auch hinsichtlich der Auslieferung ihrer Produkte
Kooperationen ein oder verlagern ihre Auslieferung auf externe Dienstleister.
Gerade nach den für die E-Seite, vor allem der Komponisten,
nahezu traumatischen Erfahrungen der letztjährigen GEMA-Hauptversammlung
(die nmz berichtete ausführlich) gilt es auch im GEMA-Bereich,
die E-Musik zu stärken und für die Herausforderungen der
Zukunft zu wappnen. Die Gräben zwischen E und U vertiefen sich,
zu gegensätzlich sind oftmals die Interessenlagen und daher
auch die Forderungen bezüglich der Verteilungspraxis. Eine
gerade neu gegründete Initiative „Pro Klassik“
will hier Kräfte bündeln, Verlage und Komponisten enger
zusammenschweißen und eine klare Position beziehen. Mit der
GEMA müssen ferner – im konstruktiven Dialog –
etliche Schwierigkeiten (wie etwa bei Programmerfassung und Abrechnung)
gelöst werden, mehr Aufführungen kann allerdings auch
eine optimierte GEMA nicht herbeizaubern.
Die wichtigste – und zugleich schwierigste – Aufgabe
aber ist es, vor allem den nachwachsenden Generationen die klassische
Musik nahezu bringen. Denn da liegt die Wurzel des Übels. Und
das kann auch nur im Verbund mit allen anderen Kulturbereichen und
vor allem der Politik geschehen, denn alle, – seien es Verlage,
seien es Bühnen, Konzertveranstalter oder Plattenfirmen jeglicher
Größe und Couleur, – sitzen hier im gleichen Boot.
Bestehende Schwellenängste müssen abgebaut, neue Kundenschichten
aufgebaut, das aktive Musizieren gefördert werden. Auch die
Neue Musik muss einen festeren Platz im Musikleben erhalten. Nur
so besteht die Chance, dem allmählichen Schwinden des Stellenwertes
der klassischen Musik Einhalt zu gebieten. Die Diskussion über
eine verstärkte Förderung des Musikunterrichts in der
Schule ist in vollem Gange – in Hamburg etwa gibt es mit dem
Projekt „Bündnis für den Musikunterricht“
schon ein viel versprechendes Modell, das auch schon auf andere
Bundesländer übergegriffen hat. Die Musikverlage (auch
„Pro-Klassik“ wird sich beteiligen) arbeiten bereits
intensiv an Problemlösungen; deren PR-Arbeit wird durch vielfältige
Aktionen – wie etwa der Verleihung des Deutschen Musikeditionspreises
oder des Preises für das beste Konzertprogramm – untermauert.
Langsam, aber sicher scheint sich ein gewisses Problembewusstsein
auch bei Politik und Wirtschaft durchzusetzen. Nachrichten, nach
denen Persönlichkeiten wie Noch-Präsident Rau, Minister
Schily oder BMG-Boss Thomas M. Stein entsprechende Aktionen unterstützen,
stimmen da hoffnungsvoll.