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Ausgabe 2004/04
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nmz 2004/04 | Seite 48
53. Jahrgang | April
Oper & Konzert

Der Haifisch hat keine Zähne und die Sängerin nicht den Ton

Unter dem Motto „Stadtkultur“ setzt das Kurt Weill Fest Dessau vor allem auf Oberflächenreize

Seit Kurt Weill Dessau verließ, um nach Abstechern in Lüdenscheid und Leipzig das Studium bei Ferruccio Busoni in Berlin der Roaring Twenties anzutreten, ist er in seine Geburtsstadt nicht mehr zurückgekehrt. Und ein wenig fremd ist er bis heute geblieben, als vertriebener Jude, zeitweilig vielleicht als Sozialist verdächtig, überzeugter Amerikaner, dem zunehmend kommerzieller Verrat an früheren künstlerischen Idealen vorgeworfen wurde.

Dessaus großer Sohn Kurt Weill. Foto: Weill-Lenya-Research Center

Ihn heimisch zu machen, die Vorurteile gegen seine unbekannten Werke nach der Berliner Zeit auf zulösen, unternimmt seit 1991 das Kurt Weill Fest Dessau und hat sich damit einen ganz besonderen Charakter in der deutschen Festivallandschaft erworben. Mit seinem „Weill-Mobil“, Dinner-Shows und Dreigroschenbällen ging es immer mitten in die Stadt, zu den Bürgern. Es brachte ihr die Weltläufigkeit seines großen Sohnes und gab diesem zugleich den Rahmen für das Stückchen Provinz, das auch zeitlebens in ihm steckte. Man nahm ihn ernst, wenn auch nicht immer Interpretationen der Spitzenklasse möglich waren. Diesmal schien das anders zu sein. Zu verschmerzen war sicherlich, dass einige open air Aktivitäten durch eine rein kommerzielle „Weill-Meile“ mit Dreigroschen-Baguettes und Mahagonny-Cocktails ersetzt wurden. Dafür schien das Motto „Stadtkultur“ zu entschädigen, das eine besonders intensive Anbindung an die Stadt versprach. Der Topos „Großstadt“ ist in der Tat einer der wichtigsten im Weill’schen Schaffen, in einigen Werken geradezu die „Hauptperson“ – Reflex und Fanal der sich rasant verändernden Welt der 1920er- Jahre. Das Thema „Kurt Weill – Musiktheater und die moderne Großstadt“ einer sinnigerweise im Bauhaus abgehaltenen Tagung vereinigte denn auch Musik- und Architekturwissenschaftler im interdisziplinären Dialog. Die Stadt ließ sich hier als „kompositorische Differenz“ erfahren, wie Bauhaus-Direktor Omar Akbar dies in seinem Einführungsvortrag formulierte, als ihre Widersprüche fruchtbar machende „Polyphonie“ heterogener Elemente. So akzeptabel sein Fazit auch war, die Stadt müsse die Differenz aushalten, sich dem Experiment öffnen, sich darin das zeitgenössische Musiktheater zum Vorbild nehmen – zur konkreten Analyse der Weill’schen Bühnenwerke konnte eine Architektur- oder Raumtheorie wenig beitragen. Der Ansatz Laura Frahms, Großstadt als „Heterotopie“ – im Gegensatz zum „Nicht-Ort“ Utopie – zu definieren, als vertikalen „Lagerungsraums“ oder „Transitraums“ heterogener, zukunfts- und identitätsloser Elemente, hatte auf den ersten Blick etwas Bestechendes. Angewendet auf das multikulturelle Personal der Broadway-Oper „Street Scene“ führte er aber zu eher banalen Ergebnissen. Viel ergiebiger dagegen, wie Stefan Weiss in Schostakowitschs Satire „Die Nase“ großstädtische Elemente auf rein musikalischer Ebene ausmachte: allein schon etwa in der drangvollen Enge von bis zu 78 Personen auf der Bühne, oder in einer die Hauptfigur bedrängenden und förmlich überwuchernden Polyphonie. Doch insgesamt blieb die von Jürgen Schebera geleitete Tagung der Deskription verhaftet – Nils Grosch etwa zählte in seiner Beschreibung des Musiktheaters der 20er-Jahre eine Revue nach der anderen auf, allerdings nicht ohne ihre inhaltlichen Bezüge auf Lebensgefühl und Moden der Zeit, ihr Tempo, die Technikbegeisterung et cetera kenntlich zu machen.

Da waren sie wieder, die „Roaring twenties“, mit ihren Glitzerfassaden, ihrer harten Geräuschkulisse, ihrer Amüsierwut. Klischeevorstellungen von dieser Zeit, von Großstadt überhaupt, prägten denn auch die Veranstaltungen. Nicholas Munis Inszenierung von „Street Scene“ zeigte sich davon noch am wenigsten berührt, versuchte mit der neuen deutschen Übersetzung von Stefan Troßbach und einem riskanten Regiekunstgriff das Werk in deutsche Gefilde zu katapultieren. Tatsächlich gewann die Aufführung im Anhaltischen Theater an Unmittelbarkeit und vermochte auch einen gewissen sentimentalen Musical-touch, wie er von Amerikanern häufig transportiert wird, abzustreifen. Im zerbombten Nachkriegsdeutschland gräbt ein Mädchen einen „Volksempfänger“ aus den Trümmern aus, der US-Sender „Stimme Amerikas“ überträgt die Premiere der Broadway-Oper „Street Scene“. Die zerbombte Häuserzeile belebt sich mit deren Multi-Kulti-Gestalten. Doch das ist doch zu arge Verfremdung des in New York spielenden Geschehens und hat seinerseits wieder einen sentimentalen Beigeschmack, ist ein wenig viel „Mädchen mit den Schwefelhölzern“. Schade, denn Ensemble und Gäste des anhaltischen Theaters singen und tanzen mit Charme und Pep, mit seinem Hausorchester schlägt GMD Golo Berg Funken aus der Partitur.

Oberflächenreize transportierte auch die Produktion „Sinfonie der Großstadt“. Gewiss war die Zusammenstellung von „Stadtkompositionen“ wie dem frühen Weill-Lied „Die stille Stadt“, Aaron Coplands „Quiet City“, Steve Reichs „City Life“ und dem „Mahagonny Songspiel“ plausibel und attraktiv, von den Münchner Symphonikern unter Heiko Matthias Förster mit präzisem Drive ausgeführt. Doch die Hochhausfassaden der Videokünstler „dura lux“, die dazu über den Bildschirm flimmerten, waren von enervierender Monotonie und Glätte. Und warum müssen die fabelhaften Sänger von Singer pur in der „Mahagonny“-Regie von Martin Gruber wieder einmal so hohläugig geschminkt und aschfarben gewandet Großstadtelend vorstellen? Ihr Belcanto-Gesang schafft zudem eine ironische Distanz, die Weill nicht zuträglich ist. Es geht hier nicht um Opernparodie oder das eigene Amüsement über die alte Schwarte. Was herauskommen kann, wenn ein freak dieses Werk ernst nimmt, zeigte der in den 70er-Jahren gedrehte Film „# 18, Mahagonny“ von Harry Smith, ein Papierflieger und ukrainische Ostereier sammelnder Filmemacher, Maler und Musikwissenschaftler. Zu kunstvoll surrealistischen Arrangements in der durchaus realistischen, nicht glatt geleckten Stadtkulisse in strengen formalen Symmetrien erklingt die Mahagonny-Aufnahme aus den 50er-Jahren mit Stimmen von heißer Intensität und einer schon recht wackeligen, aber unschlagbar präsenten Lotte Lenya. Da geht die Musik wieder unter die Haut, scharf und angriffslustig.

Auch das Tanztheater „Stadtleben“ mit dem neuerdings mit dem Anhaltischen Theater kooperierenden Kammertänzer Gregor Seyffert schien um adäquate Interpretationen wenig bekümmert. Die Kantate „Der neue Orpheus“ (1927) interpretiert den Mythos im Sinne eines aktuellen demokratischen Kulturverständnisses und setzt dies in komplexe musikalische Strukturen um, wie Ricarda Wackers in einem Einführungsvortrag fesselnd beschrieb. Keine Spur davon in Seyfferts hektischem Tanz und Jörg Waschinskis noch recht unsicherem Gesang, im diffusen Spiel des Deutschen Filmorchesters Babelsberg unter Helmut Imig. „Die sieben Todsünden“ wiederum, zu denen das Männerduo ein apartes Gespann abgab, haben an Schärfe verloren und krankten auch mit dem Ensemble Atrium als „Familie“ an unangebrachter Ironie. Einfachheit, Natürlichkeit, das wären die Schlüssel zu einer substantiellen Weill-Interpretation. Man muss wissen, was man da singt und spielt. Der Ernst wäre der gefeierten Sopranistin Christine Schäfer gewiss nicht abzusprechen. In ihrer Liedmatinee formte sie aus Mozart- und Strauss-Nummern kleine, liebevoll ausgestaltete Kostbarkeiten von berückender stilistischer Spannweite. Dieser Nuancenreichtum oder auch diese Art der Nuancierung ist für Weill zuviel. Schäfers Auftritt mit Max Raabe und seinem Palastorchester fehlte – der Spaß, die Lockerheit, die Chuzpe. Und auch wenn sie „Surabaya-Jonny“, „Nanas Lied“ oder „Muscheln von Margate“ mit allem Schmelz ihrer kostbaren Stimme versieht und teils auch durchaus glaubwürdig klingt: sie weiß einfach nicht, welche Akzente hier angebracht sind, wann eine Verzögerung sinnvoll wirkt oder manieriert, ob man „Shell, Shell, Shell!“ mit mädchenhaft spitzen oder rauh aggressiven Schreien anklagen soll. So konnte auch Schäfer als „artist in residence“ dem Weill Fest nicht das überzeugende Profil geben, das dem Pantomimen Milan Sladek im Vorjahr mit der „Dreigroschenoper“ und der „Zaubernacht“ so unnachahmlich gelang. Diesmal kam der Haifisch zwar nicht vor, Zähne hatte er jedenfalls auch nicht mehr.

Isabel Herzfeld

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