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nmz-archiv
nmz 2004/04 | Seite 47
53. Jahrgang | April
Oper & Konzert
Im Minenfeld der Termini und der Kulturpolitik
Musik in Diktaturen des zwanzigsten Jahrhunderts – Zu einem
Symposium in Wuppertal
„Unter dem Geschmetter der Buccinen naht ein Konsul mit
seinem Heer, um im Glanz der neuen Sonne zur Via Sacra und zum Triumph
aufs Kapitol zu ziehen“. So beschrieben findet man den vierten
Satz der „Pini di Roma“ von Ottorino Respighi in der
Taschenpartitur von Ricordi. Entstanden ist die Tondichtung 1923/24.
Mussolinis zum Mythos stilisierter Marsch auf Rom fand am 27. bis
30. Oktober 1922 statt. Ein Zufall, eine Äußerung des
Zeitgeistes, der ja schon mit Puccinis „Inno a Roma“
(1919) die Verklärung eines Impero romano feierte – das
Impero romano, das dann am 9. Mai 1936 von Mussolini ausgerufen
wurde mit Puccinis „Inno“ als einer Art von Nationalhymne?
Und die Buccinen, den alten Römern nachgebaute Instrumente
der Militärmusik, wurden ein Klangsymbol für das faschistische
Verständnis von Rom.
Mit dem Thema des Wuppertaler internationalen Symposiums „Musik
in Diktaturen des 20. Jahrhunderts“ (28. bis 29. Februar 2004)
betritt man ein Minenfeld nicht nur der Termini. Will man sich dem
Thema nähern, so braucht es erst einmal eine saubere Begriffsklärung
und den Verzicht auf moralische Vorverurteilung. Das 20. Jahrhundert
ist ein Jahrhundert der Omnipräsenz von autoritären Systemen.
Von einem Totalitarismus kann man nach Lietzmann (Wuppertal) nur
in wenigen Ländern temporär sprechen. Die Diktaturen des
20. Jahrhunderts setzen auf bürokratische Effizienz, sind Agenturen
einer Modernisierung um jeden Preis, bei man den Menschen nur als
Ressource betrachtet. Ihr autoritäres System der gesellschaftlichen
Umgestaltung verdanken sie der Erfahrung des Kolonialismus, wo effiziente
Verwaltungen Kulturen auf ihre Nützlichkeit herunterbrachen.
Viele Strukturen innerhalb von Diktaturen sind schon in der vorherigen
Gesellschaft vorhanden und werden von dem autoritären System
benutzt, wenn auch häufig neu aufgeladen und funktional verformt.
Die deutschen Sängerfeste hatten über Jahrzehnte Massen
von Sängern angezogen. Schon Kaiser Wilhelm II. hatte sich
ihr Ziel „die nationale Zusammengehörigkeit der deutschen
Stämme [zu] stärken und an der Einheit und Macht des Vaterlandes
mit[zu]arbeiten“ zu Nutze gemacht (Stiftung des Kaiserpreises,
„Kaiserliederbuch“). Nach der Gleichschaltung 1934 rollte
die jugendbewegte Erneuerungsbewegung gegen die romantische Tradition
der „Liedertafel“. Aus dem Männerchor sollte die
singende Mannschaft und die marschierende werden (Prieberg). Durch
die Zusammenfassung der verschiedenen Chorverbände entstand
mit 900.000 singenden Mitgliedern ein Riesenverband, dessen Mitgliedschaft
für die Sänger allerdings freiwillig war, so dass die
Mitgliedszahl in den folgenden Jahren drastisch zurückging.
Die neueingeführten Chorbücher, über die das Repertoire
gesteuert werden sollte, wurden häufig nicht eingesetzt, man
sang weiter aus den alten.
Auch in Estland hatten die Chöre und ihre Sängerfeste
eine nationale Bedeutung. Ihr Vorbild war die deutsche Sängerbewegung..
Als nun Estland in die Sowjetunion eingegliedert wurde, standen
die neuen Machthaber den Sängerfesten misstrauisch gegenüber.
Während zuerst die Kontinuität behauptet wurde, deportierte
man drei der vier Organisatoren des Sängerfestes 1947 nach
Sibirien, wo sie umkamen. In der Folge nahm der Anteil von russischen
Chören im Programm stetig zu.
War im faschistischen Italien die (futuristische) Avantgarde Teil
der faschistischen Bewegung, so stand man in der DDR kompositorischen
Verfahrensweisen wie denen der zweiten Wiener Schule argwöhnisch
gegenüber. Sie wurde als Ausfluss spätbürgerlicher
Ideologie verstanden, als ideologische Gefahr für den Sozialismus.
Orientiert an den Lebensbedingungen der Industriearbeiter wurden
avantgardistische Werke auf ihren Stellenwert für die Arbeiterklasse
befragt.
Waren die mit der Anleitung der Kulturpolitik beauftragten sowjetischen
Offiziere Neuem aufgeschlossen, hielt nach ihrem Abzug die repressive
Kulturpolitik Schdanows Einzug. Die DDR-Musikwissenschaft versuchte
in der Formalismusdebatte die „Verirrten“ (G. Mayer)
auf den richtigen Weg zu bringen. Es gab Erfindungen wie das „harmonische
Klavier“, das der Naturgegebenheit der Tonalität Rechnung
tragen sollte, dabei allerdings die Historizität des Komponierens
(Rienäcker) unterschlug. Zwar hatte Eisler verkündet,
dass die Schönberg-Schule „geschlossen“ wurde,
doch wandte er sich damit vor allem gegen eine mangelnde Verständlichkeit
der Musik, ihm ging es um die Adressatenproblematik. Dessau hielt
von Anfang an dagegen, wie man denn eine neue Gesellschaft mit alten
Methoden aufbauen solle.
Als Kurt Hager offiziell den Bedenklichkeiten Abschied gab („Nicht
einen Klang, nicht eine Farbe wollen wir dem Gegner überlassen“),
wurden in der Folge Verlautbarungen des Argwohns gegen die Moderne
angeprangert, neue Techniken propagiert. Es gab allerdings auch
immer Gegenbewegungen, wie die antimodernistischen Attacken Fritz
Geißlers oder Formen der Funktionalisierung der Musik: „hohe
Kunst“ als Repräsentation, dagegen für die Arbeiter
„Unterhaltung“. Aus „Volksverbundenheit“
entstand volkstümlicher „roter Kitsch“. Viele der
Biografien von DDR-Musikwissenschaftler und Komponisten werden heute
neu „gelesen“. Bevor man jedoch vorschnell urteilt,
muss man die ganze Bandbreite von Opposition, innerer Emigration,
Versuche, das Bestehende zu bessern, bis hin zur Anpassung oder
dem Versuch, Herrschaftsstrukturen zu persönlichen Zwecken
zu nutzen in der ganzen Widersprüchlichkeit aufarbeiten.
Kunst als Teil der Ideologie war ein wichtiges Instrument der
Bewusstseinsbildung (Sporn). Kunst wurde in ihrer nationalen Bedeutung
des Kulturschaffens und als Möglichkeit internationaler Repräsentation
gesehen. Künstler vermittelten Ideologie, sollten also entsprechend
in Dienst genommen werden. Ein Beispiel für die Musikentwicklung
im Sozialismus seit 1960 ist Arvo Pärt. Seine Musik zeigt die
veschiedenen Verhaltensformen gegenüber der offiziellen Ideologie
(Kautny). Am Anfang stand die Assimilierung von Kunstdoktrin an
Musik. Pärts „Nekrolog op. 5“ von 1960 wurde als
dodekaphonisches Werk positiv in Estland aufgenommen. Die Widmung
für die KZ-Häftlinge bereitete seinen Weg zur Uraufführung
im März 1961. Später wurde das Finale kritisiert, das
sich einem positiven Schluss verweigerte. In der zweiten Phase fand
eine Assimilierung von Musik an die staatliche geforderte Norm statt.
Pärt schrieb eine „Kaiserkantate“, sein Oratorium
„Maailma samm“ (Schritt der Welt, 1961). Damit gewann
er 1962 den ersten Preis bei dem Wettbewerb junger Komponisten der
Sowjetunion. Mitte der 60er-Jahre wurde von Seiten der offiziellen
Musikwissenschaft der Versuch unternommen, Pärts avancierte
Musik zu legitimieren, indem man sich an der westlichen Avantgarde
orientierte. Der Bruch kam mit Pärts „Credo“ (1968)
für Klavier, Orchester und Chor. Doktrin und Musik standen
in einer offenen Konfrontation. Die Glaubensmanifestation dieses
Musikstücks ließ sich nicht mehr vereinnahmen. Das Werk
wurde verboten. Wenn man auf die anfangs gestellte Frage nun zurückblickt,
werden erst die vielen Fallgruben deutlich. Bei der Wertung von
Musik kann es nicht um das Charakterzeugnis eines Musikers gehen,
Leute mit bestem Charakter haben unerhebliche Musik geschrieben.
Es kann auch nicht um die Vereinnahmbarkeit von Musik gehen. Mascagnis
„Piccola Marat“ wurde gleichermaßen von den Faschisten
wie den Sozialisten in Anspruch genommen. Musik hoher Qualität
ist sicher widerständiger. Am Ende wenden sich alle Fragen
wieder dem konkreten Werk zu, seiner Struktur und seiner Aussage
für uns – jetzt und heute, mit dem Wissen, dass damit
nicht die letzte Umdeutung getan wird.