[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2004/04 | Seite 45
53. Jahrgang | April
Oper & Konzert
Grandezza mit Deutsch-Spleen
Franz Ferdinand in Frankfurt
Der Gitarrist und Keyboardspieler Nicolas McCarthy ist derjenige
bei Franz Ferdinand, der Deutsch spricht, da er mal längere
Zeit in München Musik studierte. Allein seine kurzatmigen Begrüßungen
und zappeligen Ansagen zeugen von einer kaum zu bändigenden
Freude an der Sache. Diese Sache heißt: eine Band sein. Die
Leute zum Jubeln bringen. Ein Konzert geben. Und nicht zuletzt:
ein richtiges Konzert in Deutschland spielen.
An diesem Märzabend sind Franz Ferdinand zum ersten Mal Headliner
und nicht nur Vorgruppe in dem Land, dem sie sich so merkwürdig
verbunden fühlen. „Nic is teaching us all the time“,
bestätigt Sänger Alex Kapranos von der Bühne den
Deutsch-Spleen, dem Franz Ferdinand frönen. Da kam der Habsburger
Erzherzog („Glamour und Tragik“) gerade recht als Name
für ein Quartett, das im Geiste der Bohème mit den Zeichen
der Welt herumjongliert, bis sie als Ausdruck purer Freude an Stil
und Glamour in tolldreiste Songs gegossen sind, nunmehr als Zeichen
der Zeit.
Wie gut passt das Ambiente des ausgedienten, alten Kinosaals in
Frankfurt am Main zu der Franz Ferdinand-Welt der Glasgower Kunsthochschul-
und Fabrikhallengalerie-Szene. Sie waren die vier, die sich aufmachten,
für ihre hemmungslosen illegalen Kunst-Event-Parties den Soundtrack
zu liefern. Rockmusik sollte es sein, zu der Mädchen tanzen.
Auch beim Konzert ist es zuerst dieser unbedingte Wille zum unwiderstehlichen,
trockenen Beat, der einen aus der Erwartungshaltung abholt. Dann
beginnen diese großen dramatischen Momente in den Arrangements
zu wirken, etwa der vorgetäuschte Tempowechsel nach der ersten
Minute der Single „Take me out“ oder das Lied „Jacqueline“,
dessen anfängliche Folkballadenzärtlichkeit in den scharfkantigen
Gitarrensound wechselt, der die Zeile „It’s always better
on holiday“ feiert. Und schließlich sind es genau diese
Zeilen und ihre Melodien, die die Band und ihr Publikum zusammenbringen:
Klar, dass am Ende einer knackigen Stunde der oft zitierte Nonsens-Oneliner
aus „Darts of Pleasure“ steht: Selten lagen sich Briten
und Krauts zumindest mental so euphorisch in den Armen wie beim
gemeinsamen Absingen von „Ich heiße superfantastisch;
ich trink Champagner mit Lachsfisch“. So lösen Franz
Ferdinand das Versprechen ein, um das es den ewigen Pop-Suchenden
doch eigentlich geht: Entscheidend ist nicht eine perfekte Reminiszenz.
Entscheidend ist das stürmerische Debüt, ist die umwerfende
Energie des dazugehörigen Konzertes. Erst das verleiht den
musikalischen Bezügen die wirkliche Grandezza, ob sie nun XTC,
Talking Heads, Blondie oder Sparks heißen, deren Anfänge
einst ähnlich berauschend gewirkt hatten.
Das i-Tüpfelchen auf diesem Rausch kam beim Konzert im übrigen
aus dem Publikum, als eine knarrige Männerstimme zwischen zwei
Songs plötzlich brüllte – und zwar in englischer
Sprache: „Ich will eure Kinder kriegen!“ Auch das zeugt,
in seiner geschlechterverqueren Nutzung eines alten Pop-Spielchens,
von Grandezza und Stil.