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nmz-archiv
nmz 2004/04 | Seite 9
53. Jahrgang | April
Cluster
Berliner Weisse mit Schluss
Selbst in jener „so unglaublich bankrotten Stadt”
sei Kultur „nicht Unterhaltung, sondern Grundnahrungsmittel,”
meinte der Dirigent Simon Rattle über seinen neuen Heimatort:
Berlin. Berlin? Ja, Berlin, jenem Ort in dem nach jahrelangem Sterbenskampf
den Berliner Symphonikern die letzte Grabeskerze angezündet
und zugleich die Luft abgedreht wurde. Es ist aus mit diesem Orchester,
Mitte dieses Jahres, vielleicht auch ein bisschen später. Nichts
haben Solidaritätsbekundungen (80.000 Unterschriften) und die
Gehaltverzichtserklärungen von Mitmusikern anderer Orchester
bewirkt. 1,2 Millionen Euro wären dadurch zusammen gekommen.
Da hätte ein Restbedarf von 1,9 Millionen Euro seitens des
Senats bestanden. Der entschied mit den Stimmen von Rot-Rot: Nix
da. Sozialismus, Entschuldigung, Sozialstaat geht anders –
nämlich über den schon sehr ausgetretenen Weg zum Arbeitsamt,
Entschuldigung, zur Arbeitsagentur natürlich. Apropos Grundnahrungsmittel:
um den Fehlbetrag von 1,9 Millionen Euro zusammen zu bekommen, hätte
es von jedem der über 3,3 Millionen Berliner Bewohner im Jahr
nur 58 Cent bedurft. Das ist weniger Geld als für einen Liter
Milch, auch so ein Grundnahrungsmittel. Man könnte einwenden,
das sei eine Milchmädchenrechnung. Ja, das ist sie wohl immer,
wenn die Rechnungen nicht mit, sondern gegen die Bevölkerung
gemacht werden und unsere gewählten Vertreter mit Grundnahrungsmitteln
so verantwortungslos umgehen.