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nmz-archiv
nmz 2004/04 | Seite 17
53. Jahrgang | April
Forum Musikpädagogik
Flötenspiel im Freien, Klavierstunden auf der Domplatte
Geld erwünscht, Kultur verboten: Was ein Musiker auf Wohnungsssuche
erleben kann
Was treibt einen bezüglich des Schreibens sonst eher nüchtern
veranlagten Fachautor auf satirische Abwege? Ist dies dem Einfluss
des Kölschen Karnevals zuzuschreiben? Was lässt ihn vorläufig
in der Glosse, dereinst womöglich gar in der Gosse landen?
Die verblüffende Antwort lautet: Es handelt sich um die Freuden
einer Wohnungssuche im Köln-Bonner Raum!
Kein Zukunftsmodell: Geige
mit Stummschaltung. Foto: Martin Hufner
Schon vor einigen Jahren spielte sich die folgende Episode in der
Nähe des Kölner Ebertplatzes ab: Der Autor dieser Zeilen
wird nach seinem Beruf gefragt und gibt wahrheitsgemäß
zur Antwort: „Professor für Musikpädagogik“,
worauf es ihm vom Makler entgegenschallt: „So einen Hallodri
nehmen wir nicht!“ Der Musikpädagoge als vogelfreie Zielscheibe
gesellschaftlicher Schmähungen? Eine Berufskollegin jenes Maklers
konterte die Unzufriedenheit des Autors beim Besichtigen eines dunklen,
muffigen und engen Mietraumes mit den Worten: „Ja, als Musiker
müssen Sie schon nehmen, was Sie kriegen!“ Das goldene
Kalb vieler Makler, Vermieter und Mieter scheint die Ruhe in der
wohl verdienten Freizeit zu sein. Sie ist es, die mit dem Anspruch
des „guten Rechts“ eingeklagt und mit Klauen verteidigt,
dann aber tatsächlich oft genug der Zerstreuungsindustrie dargebracht
wird. Eine einschlägige Erinnerung stellt die alte Dame im
Nachbarhaus dar, deren Gehör offensichtlich schon etwas nachgelassen
hatte, so dass man noch im Nebenhaus die von ihr goutierten Fernsehshows
annähernd mitverfolgen konnte, die aber gleichwohl stets in
Bereitschaft war, auf die Wand einzuschlagen, wenn irgendwelche
musikalisch anmutenden Töne die Fernsehruhe zu stören
drohten ... Nicht eine wirkliche Ruhe, die so etwas wie Ausgeglichenheit
und Frieden beinhaltet, wird hier gepflegt oder eingefordert, sondern
eine rein physikalische: die Abwesenheit von Tönen und Geräuschen.
Tatsächlich scheinen musikalische Klänge besonders gefürchtet
zu sein, so dass die Absolventinnen und Absolventen des Autors als
junge, zunächst oder dauerhaft selbständige Musiklehrerinnen
und -lehrer etwa die Wahl zwischen dem Kauf eines freistehenden
Hauses und damit einer ruinösen Verschuldung oder aber der
Obdachlosigkeit hätten – man sollte einmal auf Inserate
der Art „Biete Flötenstunden im Freien!“ oder „Klavierstunden
auf der Domplatte; Instrument ist mitzubringen!“ achten (für
Köln-Unkundige: die Domplatte ist der Vorplatz des Kölner
Doms, wo sich unter anderem ständig auch wohnungslose Menschen
aufhalten)! Ach ja: die dritte Alternative wäre der wiederum
kostspielige Ankauf einer industriell präzise für diesen
Fall konstruierten Übezelle, einem überaus ansprechenden
Einrichtungsgegenstand, der zwar bei ahnungslosen Besuchern den
Verdacht aufkommen lässt, man halte hier seine alte Mutter
bei Wasser und Brot, der aber dafür das Abenteuer bietet, einen
erklecklichen Teil seines Lebens in der Düsternis und Enge
einer mittelalterlichen Kerkerzelle zu verbringen. Was hätte
die oben erwähnte alte Dame wohl von einer „Fernsehzelle“
gehalten? Natürlich ist das ein unverschämt anmaßender
Gedanke für einen Angehörigen eines ehrlosen weil ruhegefährdenden
Gewerbes. Selbstverständlich ist das Bedürfnis nach Ruhe
als Ausgleich zu einem stressigen Arbeitsleben und gerade auch vor
dem Hintergrund des akustischen Dauerbeschusses in unserer Umwelt
nur allzu gut nachvollziehbar. Auch empfindliche Musiker-Ohren wollen
zuweilen „mal nichts mehr hören“, auch für
sie könnten dann in solchen Momenten der nebenan übende
Geiger beim Studium des Flesch’schen Skalensystems, die benachbarte
Pianistin beim Einstudieren einer Boulez-Partitur, die funktionale
Stimmtrainerin beim Explorieren der stimmlichem Bandbreite ihrer
Klientel, der Bratschist bei der Auseinandersetzung mit einer Hindemith’schen
Solosonate (etwa mit dem vierten Satz von op. 25/1 mit der Überschrift
„Rasendes Zeitmaß, wild, Tonschönheit ist Nebensache“),
der Pubertierende mit der frisch erworbenen E-Gitarre, der Volksmusik-Tubist,
der passionierte Zither-Virtuose, der Rockschlagzeuger, die Amateur-Oboistin,
der Jazz-Bassist, aber auch der Dauerhörer der Fischerchöre
oder die enthusiastische Boy-group-Verehrerin zur Belastungsprobe
werden.
Wenn aber die Eltern von Geigenschülerinnen des Autors berichten,
dass man sich im Nebenhaus vehement das zeitlich wahrhaft nicht
opulente Üben der Kinder verbittet, dass aber andererseits
aus just diesem Nebenhaus den lieben langen Tag das Geschrei der
sich bekriegenden Familienmitglieder in die Nachbarschaft dringt,
dann wird einmal mehr deutlich, von welch doppelgesichtiger Art
die verteidigte Ruhe ist, vor allem auch, wie lebensfeindlich, unverhohlen
ichbezogen und auch generationsspezifisch sie häufig gedacht
wird. Die schlimmsten Übel für den friedliebenden Bürger
sind offensichtlich Kinder und Musik.
Eine Maklerin, die unter den Bewerbern um eine freie Wohnung geeignete
Mieter in spe suchte, erzählte jüngst, sie habe den anderen
Mietern des Hauses zunächst eine Rechtsanwältin mit einem
achtjährigen Sohn als neue Nachbarn vorgeschlagen. Sofort hieß
es: „Ach bitte kein Kind!“, – worauf der Autor,
der an zweiter Stelle auf der Liste jener Maklerin stand, von ihr
gar nicht erst mehr vorgeschlagen wurde. Die Makler und Vermieter,
die den Autor beim Stichwort „Klavier“ bestenfalls auf
die Pflicht hinwiesen, ein Dämpfungspedal eingeschaltet zu
lassen, im schlechteren Falle aber schlagartig kühler wurden
und befanden: „Das geht nicht! Wenn ich das Ihnen erlaube,
dann müsste ich es ja allen gestatten!“ (warum eigentlich
nicht?), – jene Immobilienvermittlerinnen und -besitzer vergessen
vielleicht, dass es sich mit Geld und ruhigen Häusern in der
Gegenwart leidlich störungsfrei leben lässt, dass aber
keine Immobilie später zum siebzigsten Geburtstag gratulieren
oder tröstend am Krankenbett erscheinen wird. Wenn auch das
tiefere Eindringen in die Welt der Musik nicht locken mag: vielleicht
sind ja doch auch ein Ständchen zum Ehrentag, ein Konzertbesuch,
der einen Höhepunkt in den Alltag zu bringen vermöchte,
eine feierlich-schöne Orgelmusik bei der Hochzeit der Tochter
oder schon nur eine gruselige Filmmusik zum geliebten Krimi nicht
zu verachten? Zugegeben: Musik und Kinder stören, ja sie verstören
manchmal. Vielleicht sollte man sie also in Mietobjekten gesetzlich
verbieten, sollte man Hausordnungen frank und frei nach etwa dem
folgenden Muster gestalten: „Untersagt sind von 0.00 bis 24.00
Uhr: Kinder, Musik, Tiere, Freudenbekundungen, überraschte
Ausrufe, Spielen, Tanzen, Singen, Feiern, Lachen, das Einschalten
von WDR 3, SR 2, Bayern 5, SWR 2…“?
Bei Mietangeboten in der Zeitung liest man dann demnächst:
„Geld erwünscht, Kultur verboten!“