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nmz-archiv
nmz 2004/04 | Seite 1
53. Jahrgang | April
Leitartikel
Zukunfts-Music
Es ist, als hätte eine fliegende Untertasse das dahindarbende
bundesrepublikanische Musikleben laut geküsst: Der Deutsche
Musikrat hob ab aus dem irdischen Jammertal. Das frischgebackene
Generalsekretariat bezog soeben schmucke Räumlichkeiten in
Berlins Oranienburger Straße, dort, wo auch die Phonoindustrie
residiert. Es handelt sich offensichtlich um eine organische Vernetzung.
Da wundert es nicht, dass unser musikalisches Spitzengremium keine
Stellung beziehen mag zum Streit zwischen der (nebenbei neuerdings
mitgliedswilligen) GEMA und den Produzenten von Soundfiles und CDs
– beispielsweise für die Autoren, die Kreativen, die
Mitglieder, deren Honarare um bis zu vierzig Prozent gekürzt
werden sollen. Konflikt scheint uncool. So blieb man auch ziemlich
still, als die Gelder für auswärtige Kulturpolitik beschnitten
werden sollten (wer begibt sich schon in Zwist mit einem starken
Ministerium) – und produzierte allenfalls lauen Wind zum Schutz
der geschredderten Berliner Symphoniker.
Die Strategie wirkt zeitgeistkonform. Man positioniere sich positiv
an der Spitze jeglicher Bewegung, reklamiere alle Verdienste und
Vorarbeiten für sich und transportiere dieses Image mit Hilfe
einer beständig vollsubventionierten PR-Kampagne in die Lande.
Gleichzeitig weise man alte Partner und Verbündete aus schweren
Zeiten, an die man sich auch besser nicht erinnert, in die Schranken.
Hatten sich doch GEMA, Phonoverbände und Deutscher Kulturrat
erfrecht, zu Zeiten tiefer insolvenzbedingter Musikratlosigkeit
eine Aktion zu starten, die der Wertschätzung geistigen Eigentums
dient und ausgerechnet Musik-Unterrichtsmaterial produziert ohne
den eigentlichen Claim-Besitzer (seinerzeit bankrott) nachhaltig
zu konsultieren.
So geht’s nicht. Der musikalische Luftraum über Deutschland
gehört dem Musikrat – und seinen Repräsentanten.
Daran haben sich auch Mitgliedsverbände zu gewöhnen, die
bislang vielleicht der irrigen Ansicht waren, sie deckten mit ihrer
Arbeit bestimmte Bereiche des Musiklebens kompetent ab. Sobald Außenwirkung
erzielt wird, ist diese selbstlos an das Bonn-Berliner Zentralorgan
abzuführen. Das gilt für die Jeunesses Musicales mit ihrem
von langer Hand gut aufbereiteten Südamerika-Projekt ebenso
wie für die Laienmusikverbände, die schon vor einigen
Jahren einen Musik-Innovationspreis ins Leben riefen. Daran hat
sich die Frankfurter Musikmesse zu halten – und selbstverständlich
auch der Bundespräsident.
Wo in diesem hochprofessionellen Aufbruchs-Klima ist noch Platz
für ein kleines, bislang von seiner Unabhängigkeit ernährtes
Organ, wie es die nmz ist und bleibt? Wir versuchen uns dem erhöhten
Kohlenmonoxidgehalt der Atmosphäre anzupassen, versammeln mehr
meinungsfreudige Autoren gleich im ersten Heft des Blattes, bieten
eine klarere Gliederung und schaffen ein paar überkommene Ressortgrenzen
ab. All dies betrachten wir als „work in progress“,
im Dialog mit unseren Lesern und Partnern. Kritik ist willkommen
– und eins sei geklärt: auf Essays von Dieter Bohlen
werden wir auch künftig verzichten.