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nmz-archiv
nmz 2004/04 | Seite 25
53. Jahrgang | April
Musikverbände
Gefragt sind Persönlichkeiten mit Blick über den Tellerrand
Dirk Hewig vom Landesverband Bayerischer Tonkünstler im
Gespräch mit der neuen musikzeitung
Verbandsthemen aus der Sicht der nmz-Redaktion. Das wird Sie in
Zukunft auf dieser Aufmacherseite regelmäßig erwarten.
Damit will die nmz-Redaktion der Bedeutung der deutschen Musik-
und Kulturverbandslandschaft gerecht werden. Aus aktuellem Anlass
eröffnet ein Interview von nmz-Chefredakteur Theo Geißler
mit Dirk Hewig diese neue Seite. Dirk Hewig, geboren 1939 in Rheine/Westfalen,
trat 1969 in den Staatsdienst des Freistaates Bayern ein und wurde
nach verschiedenen Stationen am Bayerischen Staatsministerium für
Wissenschaft, Forschung und Kunst Referatsleiter für Musikhochschulen,
Konservatorien und Berufsfachschulen für Musik. Weiter zählten
die Bayerische Theaterakademie „August Everding“, die
allgemeine Musikförderung, ferner für die Förderung
der nichtstaatlichen Orchester und des musikalischen Nachwuchses
zu Hewigs Aufgaben. Seit April 2003 leitet er den Verband Bayerischer
Tonkünstler im DTKV.
Theo Geißler: Herr Dr. Hewig, was hat Sie bewogen,
sich derart massiv in den Un-Ruhestand zu begeben?
Dirk Hewig: Eigentlich wollte ich mich im Ruhestand primär
meiner Familie – ich habe noch zwei minderjährige Kinder
– , dem Reisen, dem Lesen schön-geistiger Literatur,
der Erlernung einer weiteren Sprache, dem Besuch von Vorträgen,
Symposien und so weiter widmen.
Vorsitzender des Bayerischen
Tonkünstlerverbandes: Dirk Hewig. Foto: privat
Als seinerzeit der Vorstand des Landesverbandes Bayerischer Tonkünstler
bei mir anfragte, habe ich nach längerem Zögern zugesagt,
die Leitung zu übernehmen. Und zwar in Kenntnis dessen, dass
ich an meinen ursprünglichen Freizeitvorstellungen erhebliche
Abstriche machen muss – zumal ich nicht nur die Leitung des
Tonkünstlerverbandes übernommen habe: Ich bin auch Präsident
der Deutschen Mozart-Gesellschaft und stellvertretender Vorsitzender
der Bach-Gesellschaft. Es erschien mir wenig sinnvoll, jetzt ein
reiner Privatier zu werden, sondern ich habe mir gedacht, es ist
doch besser, seine Fähigkeiten, Erfahrungen und Kontakte weiterhin
für andere einzusetzen.
Geißler: Im Herzog‘schen Sinn, Sie haben angepackt
und wir gratulieren zur 60-Stunden-Woche. In der Verbandslandschaft
scheint eine Neuorientierung einzutreten, weg von berufsständischen
Gemeinschaften hin zu einem dienstleistungsbetonten Service-Unternehmen
mit ausgeprägtem Hang zum Lobbyismus?
Hewig: Wer heute in einer Demokratie, die von Interessen
und Interessensverbänden bestimmt wird, wirken will, muss und
darf als Lobbyist auftreten und muss auch eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit
betreiben. Der Landesverband Bayerischer Tonkünstler vertritt
verschiedene Berufsgruppen, die Privatmusiklehrer, private Musikinstitute
und private nicht von der öffentlichen Hand geförderte
Musikschulen. Er vertritt Komponisten und andere Musiker. Deren
Bedeutung, deren Leistung herauszustellen, diese zu fördern,
zu unterstützen, in der Öffentlichkeit für sie zu
werben, darin sehe ich eine wichtige und legitime Aufgabe eines
Verbandes. Selbstverständlich gehören auch umfangreiche
Serviceleistungen für die Mitglieder dazu, um die Akzeptanz
eines Verbandes zu erhalten.
Geißler: Wie wirkten sich die neuen Anforderungen
auf Ihre ganz persönliche Planung und Arbeit in Bayern aus?
Hewig: Das Problem des Landesverbandes wie auch aller anderen
Musikverbände heute liegt darin, dass angesichts der gewachsenen
Aufgaben eine Professionalisierung der Verbände unabdingbar
ist. Wir haben das beim Deutschen Musikrat deutlich gesehen. Ausschließlich
mit ehrenamtlichem Engagement und gutem Willen ist da wenig zu erreichen.
Erforderlich sind professionelle Mitarbeiter, ein Generalsekretär,
beispielsweise beim Deutschen Musikrat, eine Geschäftsführerin
bei unserem Landesverband. Hauptberufliches Personal setzt aber
eine Mindestfinanzierung voraus, die mit Mitgliedsbeiträgen
nicht zu sichern ist. Öffentliche Zuschüsse stagnieren,
Sponsorengelder gehen zurück. In dieser Situation stellt sich
für manchen Verband heute die Existenzfrage. Für den Landesverband
Bayerischer Tonkünstler bedeutet das: wir müssen uns konzentrieren
auf wenige, bedeutende Aufgaben.
Geißler: Einige Beispiele vielleicht?
Hewig: Der Landesverband hat bei seiner letzten Delegiertenversammlung
im vergangenen April zwei Ausschüsse eingesetzt, einen Ausschuss
für Privatmusiklehrer, einen Ausschuss für private Musikinstitute
und private Musikschulen. Das ist zu verstehen als ein bewusstes
Signal, dass der Landesverband an einer Profilierung, einer Höherqualifizierung
und an der Herausstellung des privaten Musikunterrichtsangebotes
arbeiten will.
Weitere Schwerpunkte im Landesverband sind die Fortbildung und
Förderung des musikalischen Nachwuchses und der Musiklehrer.
Wir haben einige herausragende Meisterkurse, wir haben Intensivkurse
zur Vorbereitung auf die Eignungsprüfung an Hochschulen und
am Richard-Strauss-Konservatorium und eine große Anzahl sonstiger
Kurse. Einen weiteren Schwerpunkt sehen wir in der Förderung
zeitgenössischer Musik und lebender Komponisten, insbesondere
auch bayerischer Komponisten. Wir versuchen auch mit dem deutschen
Komponistenverband auf Landesebene dort zusammenzuarbeiten.
Geißler: Das sind meist Weiterentwicklungen, was wird
es Neues geben?
Hewig: Wir sollten das Kursangebot doch stärker konzentrieren
und die dann frei werdenden personellen Kapazitäten und Mittel
in unsere kultur- und bildungspolitische Arbeit und in die Förderung
zeitgenössischer Musik in Bayern einbringen. Das ist eine Zielvorstellung,
die noch durchdiskutiert werden muss und an der wir zur Zeit arbeiten.
Investition statt Subvention
Geißler: Wie beurteilen Sie denn die Verknappung
von Geldmitteln gerade im Kultur- und Bildungsbereich durch die
öffentliche Hand?
Hewig: Zuerst einmal: Mittelkürzungen im Kultur- und
Bildungsbereich halte ich für äußerst problematisch,
weil es sich hier an sich nicht um Konsumausgaben handelt, sondern
um Investitionen. Investitionen in unsere Gesellschaft, in die Jugend,
Investitionen in unsere Zukunft. Mittelkürzungen im Bereich
der so genannten freiwilligen Leistungen, zu denen auch die gesamte
Musikförderung zählt, sind darüber hinaus problematisch,
weil diese Mittel durch umfangreichen ehrenamtlichen Einsatz erhebliche
Multiplikatorfunktion haben, Kürzungen führen deshalb
zu unverhältnismäßig großen Einschnitten.
Für den Landesverband gehe ich davon aus, dass wir von Mittelkürzungen
im Wesentlichen verschont bleiben, dass wir unsere Aufgaben wie
bisher fortführen können. Ausweitungen werden allerdings
nicht möglich sein. Wenn wir uns weiter profilieren wollen,
müssen wir uns mehr konzentrieren, müssen wir noch mehr
auf Schwerpunkte setzen.
Geißler: Bei der kürzlich stattgefundenen Bundesversammlung
des Deutschen Tonkünstlerverbandes in Bremen kam es zu gravierenden
personellen Umstrukturierungen. Welche Konsequenzen hat das für
die aktuelle und zukünftige Arbeit des DTKV?
Hewig: Die Präsidentin des Deutschen Tonkünstlerverbandes
ist zurückgetreten, obgleich sie in den vergangenen Jahren
sowohl nach innen, als auch nach außen hervorragende Arbeit
geleistet hat. Der Grund für diesen Rücktritt, der auch
eine gewisse Krise des Verbandes bedeutet, liegt einmal in den erheblichen
finanziellen Problemen, die in erster Linie durch den Wegfall von
Sponsorenleistungen verursacht sind. Das hat dazu geführt,
dass der Geschäftsstellenbetrieb nicht mehr oder nur noch notdürftig
aufrecht erhalten werden konnte und eine ordnungsgemäße
Arbeit nicht mehr gewährleistet war. Grund für den Rücktritt
der Präsidentin sind aber auch Struktur- und Kompetenzfragen,
insbesondere auch Differenzen innerhalb des Präsidiums, wie
den gegenwärtig anstehenden Problemen begegnet werden kann.
Schon bei der Länderkonferenz des DTKV im November 2003 in
Passau war deutlich erkennbar, dass das Präsidium keine einheitliche
Linie mehr finden konnte und nicht mehr hinter der Präsidentin
stand. Deren Rücktritt ist deshalb aus meiner Sicht, wenn auch
bedauerlich, so doch konsequent. Das Präsidium unter seinem
stellvertretenden Vorsitzenden arbeitet derzeit an Sofortmaßnahmen,
um den Geschäftsbetrieb bis zur Neuwahl eines Präsidiums
im Jahre 2005 aufrecht zu erhalten und fortzuführen. Eine von
der Länderkonferenz eingesetzte Strategiekommission, in der
sieben Landesverbände vertreten sind, unter anderem auch Bayern,
wird Vorschläge erarbeiten über die künftigen Aufgaben
des DTKV, über seine Organisationsstruktur, und über die
dafür notwendige Finanzierung.
Geißler: Ein Faktor scheint mir bezeichnend zu sein.
Einer ist, dass man sich nicht völlig auf Sponsorengelder verlassen
kann. Verlässlichkeit und Kontinuität werden nur durch
die öffentlichen Hände und durch Mitgliedsbeiträge
zu gewährleisten sein.
Hewig: Das ist richtig. Die Mitgliedsbeiträge wird
man im Musikbereich – im DTKV sind viele Privatmusiklehrer
Mitglied – nicht wesentlich erhöhen können. Um öffentliche
Zuschüsse zu bekommen, muss man natürlich auch etwas bieten.
Wir beim Landesverband haben unsere Programme dem Ministerium vorgelegt,
und das Ministerium war bereit, trotz aller finanziellen Probleme
uns weiterhin im bisherigen Umfang zu unterstützen. Ob es beim
Bundesverband möglich sein wird, öffentliche Zuschüsse
zu bekommen, das weiß ich nicht. Bisher erhielt der DTKV öffentliche
Zuschüsse für einzelne Projekte, für die D-A-CH-Tagung,
für einen Wettbewerb, für verschiedene andere Projekte.
Daraus wurden auch Teile der Geschäftsstelle mitfinanziert,
soweit diese an diesen Projekten mitarbeitete. Es wird zu erkunden
sein, welche Möglichkeiten für öffentliche Zuschüsse
es gibt.
DTKV im Jahre 2010
Geißler: Mal nicht Agenda 2010, sonder DTKV 2010.
Ihre Prognose?
Hewig: Ich bin kein Prophet, deswegen wage ich keine Prognose
für das Jahr 2010. Ich möchte nur feststellen: Der DTKV
ist notwendig. Einmal zur Vertretung der verschiedenen Musikberufe
auf Bundesebene, in den dortigen Gremien und Institutionen, dann
als Gesprächspartner für wichtige kulturpolitische Anliegen
und Fragen, und dann schließlich für die Koordinierung
der Landesverbände und die Erbringung gewisser Serviceleistungen
für die Landesverbände. Über diese Notwendigkeit
des Verbandes war sich die Bundesdelegiertenversammlung in Bremen
völlig einig, darum gab es keine abweichenden Meinungen. Wenn
aber über Aufgaben und Ziele Einigkeit besteht, dann werden
wir auch Wege finden, den DTKV erfolgreich weiter zu führen.
Wichtig aus meiner Sicht ist zunächst eine Konzentration auf
zentrale Aufgaben. Ich glaube, der Verband hat bisher einige Aufgaben
wahrgenommen, auch unmittelbar für die Mitglieder einzelner
Regionalverbände, die nicht unbedingt von einem Bundesverband
wahrzunehmen sind. Wir brauchen ferner eine effektive Organisation,
das Verhältnis zwischen Länderkonferenz und Bundesdelegiertenversammlung
scheint mir nicht klar zu sein. Und wir brauchen, das ist mir auch
deshalb wichtig, weil ich im Ministerium ja mit vielen Verbänden
zu tun hatte, eine enge Zusammenarbeit mit anderen Verbänden,
die ähnliche oder gleiche Ziele verfolgen.
Geißler: Weitere Wünsche für einen erfolgreichen
DTKV-Bayern?
Hewig: Wenn Sie mich danach fragen, so würde ich mir
wünschen, dass sich zahlreiche Persönlichkeiten finden,
die die notwendige Kompetenz mitbringen, die auch in der Lage und
bereit sind, über den Tellerrand ihrer eigenen engen Interessen
hinauszuschauen, und die zu uneigennützigem Einsatz und zu
echter Kooperation bereit sind. Wenn wir diese Persönlichkeiten
finden, dann brauchen wir um den Fortbestand des DTKV, aber auch
um den Fortbestand insgesamt des Verbandslebens in der Musik in
der Bundesrepublik Deutschland keine Sorge zu haben.