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nmz-archiv
nmz 2004/04 | Seite 24
53. Jahrgang | April
Musikvermittlung
K und K – Kinder und Klassische Musik
Ein klassenübergreifendes Projekt an der Hochschule für
Musik Würzburg · Von Barbara Metzger
Was passiert, wenn sich drei Dozentinnen eines Instituts treffen,
die Lust haben, gemeinsam etwas Neues zu gestalten? Ein Projekt
wird angedacht, konzipiert, erweitert, ausgearbeitet und in die
Öffentlichkeit gebracht. Und im Nachhinein entsteht ein Erlebnisprotokoll
zu einem instituts- und klassenübergreifenden Projekt an der
Hochschule für Musik Würzburg in Verbindung mit Würzburger
Grundschulen:
Zwei Leitgedanken haben zu diesem Projekt geführt. Zum einen
wollen wir, Ruth Wentorf (Flöte), Prof. Inge Rosar (Klavier)
und Prof. Barbara Metzger (Elementare Musikpädagogik), ein
klassenübergreifendes Projekt an der Musikhochschule Würzburg
initiieren. Das gemeinsame Denken und Handeln von interessierten
Studierenden unterschiedlicher Klassen, die sonst oft mehr nebeneinander
als miteinander agieren, und ihren Dozentinnen ist hier ein erklärtes
Ziel. Außerdem erhoffen wir uns einen guten Erfahrungszuwachs,
wie man im Team an ein solches Projekt herangeht. Vor dieser Aufgabe
werden die zukünftigen Musikschul- und Privatmusiklehrkräfte,
die hier studieren, später oft stehen. Zu den durch die mitwirkenden
Klassen vorbestimmten Instrumenten Flöte und Klavier soll noch
ein den Kindern oft weniger bekanntes hinzukommen, also bitten wir
die Bratschenklasse (Prof. Reiner Schmidt) um Mitarbeit, ebenso
die Klasse Komposition (Prof. Heinz Winbeck), denn ein eigens für
unser Projekt komponiertes Stück (Marko Zdralek) könnte
für die Kinder sehr interessant werden. Wir stoßen auf
positive Resonanz, so dass sieben Instrumentalisten, vier Elementare
Musikpädagoginnen und ein Komponist an dem Projekt teilnehmen
wollen.
Unser zweiter Leitgedanke ist, Kindern im Grundschulalter Klassische
Musik so näher zu bringen, dass sie nicht wie in üblichen
Konzerten nur stillsitzen und zuhören sollen, andererseits
wollen wir auch kein Musikspektakel, bei dem alles andere als die
Musik im Vordergrund steht.
Erstes Brainstorming der Dozentinnen und ein Antrag an die Hochschulleitung
Um das erste Treffen mit allen Beteiligten möglichst effektiv
zu gestalten, denken wir drei schon mal vor und einigen uns auf
Folgendes:
Wir laden Klassen der Würzburger Grundschulen in unsere Räumlichkeiten
ein, damit diese vielleicht erste Konzerterfahrung auch im üblichen
Konzert-Ambiente stattfindet. Wir planen zwei bis drei Aufführungen
von maximal 45 Minuten Dauer.
Wir laden maximal drei bis vier Klassen pro Veranstaltung ein,
damit ein für die Kinder überschaubarer und für die
Musiker kammermusikalischer Rahmen gewahrt bleibt. Also benötigen
wir einen Raum für etwa 70 Kinder mit gutem Sichtkontakt zu
den Akteuren, möglichst verdunkelbar, denn die Konzerte sollen
am Schulvormittag stattfinden, so dass Atmosphäre gezaubert
werden muss.
Damit das Konzert eine für das Alter verständliche Form
bekommt, benötigen wir eine Rahmenhandlung, eine Geschichte,
eine optische Unterstützung oder was auch immer und diese muss
konzipiert werden.
Wir bitten die Mitwirkenden, Musikstücke aus möglichst
unterschiedlichen Epochen mit unterschiedlicher Besetzung für
Flöte, Bratsche und Klavier von vier bis fünf Minuten
Länge auszusuchen.
Wir bitten den Komponisten um ein Werk von etwa fünf Minuten,
bei dem das Publikum mitwirken kann.
Dann folgt noch der Antrag an die Hochschulleitung mit folgender
Begründung unseres Vorhabens:
Von Privatmusik- und Musikschul-Lehrerinnen und Lehrer wird zunehmend
die Planung und die Durchführung von Veranstaltungen, Konzerten
und Projekten gefordert. In dem Projekt „Kinderkonzert“
können die Studentinnen und Studenten kreativ und organisatorisch
tätig sein. Durch die Vernetzung der Fächer Flöte,
Klavier, Viola, Komposition und Elementare Musikpädagogik erweitern
die Studierenden ihre künstlerischen und sozialen Erfahrungen.
Somit erfahren sie eine neue Qualität ihres Lernens und Lehrens.
Erstes gemeinsames Treffen
Wir treffen uns, haben inzwischen die Zustimmung der Hochschulleitung,
denken und diskutieren gemeinsam unsere Vorgaben durch, legen Kompositionen
und Spielstücke von Bach bis Honegger fest, vieles findet Konsens.
Zur Rahmenhandlung werden folgende Ideen geboren: ein Zeitstrahl
führt durch das Konzert – die Komponisten erscheinen
persönlich – Bilder der Komponisten spielen eine Rolle
– eine Leitfigur, vielleicht selbst Komponistin, führt
schauspielerisch durch das Konzert – das Tun eines Komponisten
wird zum verbindenden Leitthema. Die Organisation wird festgelegt
und aufgeteilt: Konzerttermine absprechen und Raum reservieren,
Flyer und Plakat entwerfen, Koordinator für die Schulen bestimmen,
Einladung formulieren, verschicken und die Anmeldungen verwalten,
Probentermine festlegen… Die weitere Ausgestaltung der Rahmenhandlung
geht an die vier Studentinnen der Elementaren Musikpädagogik
(EMP).
Ausarbeitung eines Drehbuches
Aus allen vorab genannten Ideen und nach einer spontanen Ausprobierphase
in dem Konzertsaal, verfasst die Konzeptionsgruppe ein Drehbuch,
das viele Freiräume lässt, um die Lebendigkeit und Flexibilität
innerhalb der Dialoge zu gewährleisten.
Die konkrete Spielsituation gestaltet sich nun so: in der einen
Bühnenhälfte sitzt eine Komponistin unserer Zeit am Flügel,
probiert aus, bricht ab, wendet sich an die Kinder und erzählt
über ihren Beruf, ihre Sorgen, dass ihr heute nichts Gutes
einfalle und dass sie einfach mal Musik ihrer großen Kolleginnen
und Kollegen aus früheren Zeiten anhören werde, um auf
eine neue Idee zu kommen. Sie nimmt eine CD, legt sie in den CD-Player
und dann folgt ein Lichtschwenk auf den anderen Bühnenteil,
wo bereits die Musiker für das erste Stück bereit sind
und sozusagen live die CD spielen. Nach dem ersten Musikstück
tritt von hinter der Bühne die zweite Schauspielerin mit dem
Foto des Komponisten, das sie während des Auftretens von der
Zeit-Latte nimmt. Sie stellt sich vor: Also ich bin Arthur Honegger
und habe dieses Stück in Frankreich komponiert, weil…
und tritt mit der Komponistin in Dialog.
Dies wiederholt sich in variierter Form bei jedem neuen Musikstück.
Einladung der Schulklassen
Nachdem sich während der ersten Proben die Szenerie ein wenig
konkretisiert hat, wird folgender Einladungs-Flyer entworfen, dessen
Gestaltung dann auch für das Programm Verwendung findet:
1. Wie nennt man jemanden, der Musik erfindet?
2. Kann man mit der Querflöte eine Ziege tanzen lassen?
3. Was haben ein Musikinstrument und ein Vogel gemeinsam?
4. Sind eine Viola und eine Bratsche das Gleiche?
Die Antworten auf diese Fragen erfährst Du bei einem Konzert
– extra für Dich und Deine Klasse veranstaltet
am.................. um.................
in der Aula der Hochschule für Musik, Eingang Hofstraße.
von Musikern der Klassen Flöte, Klavier, Bratsche, Komposition
und Elementare Musikpädagogik der Hochschule für Musik
Würzburg
Informationen für die Schulklassen und ihre Lehrkräfte
Acht Wochen vor den Konzert-Terminen geht ein Informationsbrief
an einige Würzburger Grundschulen, in dem das Konzept vorgestellt
wird:
In diesem Pilot-Projekt möchten wir:
Kindern der 2. oder 3. Klasse klassische Musik live näher
bringen:
es musizieren Studierende der Hochschule für Musik,
die Hochschule für junges Publikum öffnen, die Neugierde
und das Interesse für Musik aller Epochen anregen:
die musikalischen Beiträge von je vier bis fünf Minuten
sind in eine hoffentlich für die Altersgruppe passende Rahmengeschichte
eingekleidet.
speziell die Instrumente Querflöte, Viola, Klavier ansprechen
und die Aufgaben und Probleme eines Komponisten erlebbar machen.
Es wurde speziell für dieses Konzert eine Auftragskomposition
an einen Kompositions-Studenten der Hochschule vergeben, mit der
Bitte, das Publikum in die Musik mit einzubeziehen.
Kinderkonzert eins und zwei
Nach einer intensiven Probenzeit ist es so weit. Bühne schnell
richten, Instrumente stimmen, Saal verdunkeln et cetera. Die 7-
bis 10-Jährigen stürmen den Saal und sind mindestens so
gespannt und aufgeregt wie die Musiker und Schauspieler. Die begleitenden
Lehrkräfte platzieren ihre Klassen nach ihren pädagogischen
Erfahrungen, das Licht geht aus und alle Kinder folgen gespannt
dem ersten Auftreten der Komponistin.
Sie erzählt den Kindern von ihrer Arbeit und ihren Kolleginnen
und Kollegen aus früheren Jahrhunderten, beteiligt sie an ihrer
Aufgabe, immer wieder neue Stücke zu erfinden, zu entscheiden,
für welche Instrumente sie komponieren will. Die Kinder gehen
innerlich mit und mit einem Lichtschwenk geht die Aufmerksamkeit
zum ersten live gespielten Musikstück. Die Kinder klatschen
begeistert und gehen voll darauf ein, als nun die andere Schauspielerin
als Claude Debussy in Dialog mit der Komponistin tritt. Erstaunlich
konzentriert folgt das junge Publikum diesem Wechsel von Musik und
Rahmengeschichte.
Der Bratscher hat noch eine Geige mitgebracht und macht den Unterschied
zwischen beiden Instrumenten für Ohren und Augen verstehbar.
Als Mozart auftritt und das Publikum fragt, ob denn jemand so wie
er schon mit acht Jahren komponiert, treten die Kinder in regen
Gesprächskontakt mit ihm. Höhepunkt ist erwartungsgemäß
der Auftritt des echten, lebenden Komponisten Marko Zdralek. Er
beteiligt die Kinder mit einem immer wieder kehrenden Bodypercussion-Motiv
an der mehrsätzigen Komposition, die er in Form einer Geschichte
selbst erzählt.
Exkurs Familienkonzert
Beflügelt durch die beiden gelungenen Konzerte für die
Grundschulklassen und mehrfache Nachfragen von Eltern und Geschwisterkindern,
nicht zuletzt, weil auch der Probenaufwand eine dritte Vorstellung
rechtfertigte, laden wir mit demselben Programm zu einem Familienkonzert
ein. Und hier bewahrheitet sich nun, dass ein Konzept ganz klar
für eine bestimmte Zielgruppe erstellt sein muss und nicht
einfach auf eine andere übertragen werden kann. Für die
Kleinkinder ist das Angebot zu abstrakt und zu wenig aktiv, für
die Jugendlichen zu einfach und die Eltern müssen irgendwie
vermittelnd eingreifen oder das Ende abwarten. Ein ganz wesentlicher
Erfahrungsgewinn für alle Beteiligten kann daraus gezogen und
bei der nächsten Produktion wieder beachtet werden.
Erfahrungen aus diesem Projekt
Die beiden Konzerte für die Schulklassen verliefen sehr unterschiedlich
von der Atmosphäre und Spannung her. Die Bandbreite reichte
von einer Klasse, die nur von deutschen Kindern besucht wird, von
denen etwa zwei Drittel ein Instrument spielen bis zu einer Klasse,
in der nur Kinder sind, die aus nicht christlichen Glaubensrichtungen
stammen, keinerlei Erfahrung mit den Ritualen eines mitteleuropäischen
Konzertbesuchs haben und von denen kein einziges Kind ein Instrument
spielt.
Die Reaktion der Lehrkräfte war durchweg positiv. Sie waren
teilweise erstaunt über die positive Reaktion einzelner Schüler/-innen
und baten generell um eine Fortsetzung dieser Art, mit klassischer
Musik in Kontakt zu kommen. Besonders beeindruckt waren sie von
der Mischung aus Rahmenhandlung, Publikumsbeteiligung und konzentriertem
Musikhören, die offensichtlich der Aufmerksamkeitsspanne und
dem Interesse dieser Altersstufe entsprach. Die Kinder hatten tatsächlich
einen Einblick in das Komponieren bekommen, erfahren, dass man Klassische
Musik ohne Probleme anhören kann, waren bestärkt in ihrem
eigenen Instrumentalspiel oder hatten zum ersten Mal solche Musik
von Musiker/-innen live gespielt erlebt.
Die Mitwirkenden lernten, dass man trotz husten, Füße
scharren, mit den Sitzen klappen, kleinen Zwischenbemerkungen reinrufen,
konzentriert spielen kann und muss, dass solche Zwischenaktionen
nie negativ gemeint sind, dass man durch seine eigene Präsenz
gerade junges Publikum beeindrucken kann.
Alle spürten, dass eine Veranstaltung dieser Art nicht länger
als 45 Minuten dauern sollte und dass die Musikstücke kurz
und prägnant und dabei sehr abwechslungsreich ausgesucht sein
müssen. Eine der Altersstufe angemessene Rahmenhandlung ist
unerlässlich. Dabei kann ausstattungs- und bühnentechnisch
mit wenig Aufwand große Wirkung erzielt werden.
Deutlich wurde auch, dass eine solche Veranstaltung erst durch
ein Team unterschiedlichster Menschen so vielfältig und mit
relativ wenig finanziellem und zeitlichem Aufwand durchgeführt
werden kann, entscheidend dafür ist eine gute Koordination
in einem spontan reagierenden Team.