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nmz-archiv
nmz 2004/04 | Seite 14
53. Jahrgang | April
Musikwirtschaft
Programmpolitik und handfeste Handelshemmnisse
Anmerkungen zur Situation des Klassik-CD-Handels in Deutschland
Es raschelte ein wenig im deutschen Plattenblätterwald des
vergangenen Sommers. Ein Leser beschwerte sich über das Fehlen
gut sortierter CD-Fachgeschäfte und über das Fehlen kompetenter
Mitarbeiter in größeren Läden. Ein Blick in die
Branchenbücher bestätigt zumindest den ersten Teil. Es
gibt immer weniger Einzelhandelsgeschäfte, die ausschließlich
CDs, und noch ausschließlicher CDs mit klassischer Musik verkaufen.
Der Durchschnittsinteressent muss seinen musikalischen Bedarf in
den Abteilungen größerer Kaufhäuser decken. Der
Käufer mit speziellen Interessen findet dort allenfalls Klassik-Mainstream,
ein noch spezielleres Sortiment bieten nur noch Spezialgeschäfte,
und die sterben aus.
Enttäuschte Hoffnungen:
der erwartete Boom auf SACD- und DVD-Audioformate ist bisher
ausgeblieben. Abbildung: Luigi Nono auf SACD
Es ist doch was faul in der Verbraucherkette Produzent-Handel-Konsument.
Die goldenen Zeiten, in denen ein Herbert von Karajan das Plattengeschäft
für sich und die Produktionsfirmen mühelos als Altersvorsorge
einrichten konnte, sind vorbei. Die Gründe dafür sind
vielschichtig und ein allein Schuldiger existiert nicht. Es lohnt
sich jedoch, die einzelnen Glieder der Kette näher zu betrachten.
Begonnen sei am Ende, mit den Konsumenten oder Hörern. Die
Interessentenschicht, die klassische Musik auf Tonträgern kauft,
wurde in den vergangenen Jahren immer dünner beziehungsweise
immer älter. Dieses Generationenproblem bedeutet für die
klassische Musik, dass jüngere Hörerinnen und Hörer
– gemeint sind Kundenkreise unter 40 – kein oder nur
wenig Interesse an dieser speziellen Musiksparte haben. Die Gründe
dafür sind vielschichtig und deren Erforschung soll den Musiksoziologen
überlassen bleiben. Gewiss ist jedoch auch: durch fehlenden
Musikunterricht an Schulen kommen Kinder und Jugendliche mit Musik
überhaupt nicht mehr in näheren Kontakt als Viva, MTV
oder andere Musiksender es zulassen und ermöglichen.
Am Produzenten-Ende der Kette versuchte man, auf diesen Trend des
nachlassenden Interesses zu reagieren. Die Marketingstrategen der
Major Labels versuchten, die Zielgruppe der Interessenten der des
zentralen Werbeinteresses anzugleichen: die zahlungskräftigen
14- bis 40-Jährigen. Was im Ansatz wie eine gute Idee aussah,
hatte jedoch Totgeburten wie die im Vorfeld hoch gepriesene, dann
aber gefloppte „...trifft...“-Reihe der Deutschen Grammophon
zur Folge. Hier sollten Prominente des öffentlichen Lebens
ihr Verhältnis zu großen Komponisten der Vergangenheit
schildern. Hätte eine der beiden CDs in den jeweiligen Sets
einen gesprochenen Kommentar der Person mit Anmerkungen zu bestimmten
Werken des Komponisten enthalten, wäre sie vielleicht auf mehr
Interesse gestoßen. So blieben die Doppel-CDs, deren musikalischer
Inhalt nichts weiter als eine Katalogauswertung der DG und ihrer
Partnerlabels Philips und Decca war, in den Läden stehen.
Zu verfehlter Programmpolitik gesellt sich gerade in jüngster
Zeit aber auch eine Politik des massiven An- und Verkaufs von Firmenteilen
oder das langsame Sterbenlassen der Klassikbranchen von Großkonzernen.
Beispiel aus der nicht so fernen Vergangenheit: die traditionsreiche
deutsche Firma Teldec, schon länger zum AOL-Time-Warner-Konzern
gehörig, schrumpft nach und nach zum reinen Billiganbieter.
Dem amerikanischen Konzernchef waren die Umsätze der deutschen
CD-Tochter nicht hoch genug, hatte er doch die weitaus höheren
Zahlen des Popbusiness vor Augen. Die Folge: Neuaufnahmen werden
nur einer Handvoll ausgesuchter Künstlern gestattet, ehemals
renommierte Serien wie „Das Alte Werk“ werden in die
Mid- und Low-Budget-Serien Elatus und Apex abgeschoben (Stichwort
Katalogauswertung) und die in Hamburg ansässige Deutschlandzentrale
wurde auf ein Minimum reduziert; die wichtigen Entscheidungen werden
in London getroffen. Dabei sind die Konsequenzen des jüngsten
Verkaufs von Warner Music an ein Investorenkonsortium für den
Bereich Klassik noch gar nicht absehbar.
Überhaupt findet derzeit ein ausgedehntes Stühlerücken
in der CD-Branche statt. Dass der französische Tonträgerkonzern
Helikon harmonia mundi und die deutsche BMG (Bertelsmann Music Group)
ihre Vertriebe zusammengelegt haben, ist wohl eher (noch) eine Randnotiz.
Dass jedoch Sony und BMG ihre Musikproduktionen fusionieren wollen,
lässt schon eher aufhorchen. Auch hier gilt: Konsequenzen,
besonders für die Klassikbranche, unabsehbar.
Begründet werden solche Elefantenhochzeiten immer wieder
mit den rückläufigen Verkaufszahlen von CDs. Illegale
Internettauschbörsen und schwarz gebrannte und vertriebene
CDs ließen tatsächlich den Tonträgermarkt innerhalb
eines Jahres um nationale 11,3 Prozent und internationale 7,2 Prozent
schrumpfen (von 2001 zu 2002, Quelle: Jahreswirtschaftsbericht 2002
des Verbandes der Deutschen phonografischen Industrie). Das Thema
illegale CD-Kopien trifft die Sparte Klassik nicht in diesen Größenordnungen,
weil Klassik-CDs aus anderen Beweggründen als Pop-CDs gekauft
werden. Der Wert der Beständigkeit spielt hierbei eine größere
Rolle als das Quasi-Saisongeschäft Popmusik. Da aber die Major
Labels ihren Klassikkatalog mit den Überschüssen aus der
bislang gewinnbringenden PopSparte finanzierten, wird jetzt der
Rotstift da angesetzt, wo es ohnehin keine großen Gewinne
zu verzeichnen gibt: bei der Klassik eben.
Die Händler, Bindeglieder zwischen dem Angebot der Produzenten
und der Nachfrage der Kundschaft, geraten bei der sprunghaften Programmpolitik
der Label oft genug in Erklärungsnotstand den Kunden gegenüber.
Auf einmal ist der sogenannte Back-Katalog, der Katalog der Aufnahmen,
die sowohl Firma wie auch Händler ständig auf Lager haben,
um wichtige Aufnahmen gekürzt. So hat der Kunde vom Anfang,
der die mangelnde Kompetenz der Mitarbeiter moniert, nur teilweise
Recht. Sicherlich darf er sich darüber beschweren, wenn der
Bielefelder Katalog, das große Nachschlagewerk für Klassikhändler
und -kunden, unsachgemäß benutzt wird. Wer Augen hat
zu lesen, der lese. Jedoch birgt auch diese Bibel des CD-Handels
ihre Tücken. Die Plattenfirmen sind nämlich selbst dafür
verantwortlich, den Inhalt des Katalogs zu pflegen, indem sie Änderungen
und Streichungen der Redaktion mitteilen. Das erfolgt jedoch nicht
mit der gebotenen Gründlichkeit, und so erleben Kunden wie
Händler von Zeit zu Zeit ihre Enttäuschung, wenn eine
im aktuellsten Katalog genannte CD nicht mehr zu bekommen ist. Oft
führen Kunden das Argument an: „Aber mit Büchern
klappt das doch auch!“ Mit Büchern klappt das, weil es
einen deutschlandweit vereinheitlichten Vertrieb gibt, der Grossisten
vorsieht, die wiederum durch ihre Lagerhaltung die Auslieferung
der gewünschten Ware innerhalb von 48 Stunden ermöglichen.
Die CD-Händler bestellen jedoch entweder bei den Produktionsfirmen
direkt oder bei kleineren Vertrieben, die jeweils eine begrenzte
Anzahl Labels vertreten. Große Ketten haben allein durch ihre
hohen Stückzahlen bestellter CDs keine Probleme; kleinere Einzelhändler
müssen auf die Auslieferung der Ware durchaus zwei Wochen warten,
besonders dann, wenn sie aus dem Ausland bezogen wird. Und das System
der Buchpreisbindung (Bücher kosten in Deutschland überall
das Gleiche) auf den CD-Handel zu übertragen, ist allein schon
aufgrund der EU-Rechtslage schwierig. Ob es den Handel stablisiert
und das Medium fördert, wie es bei Büchern angedacht war,
ist allein schon aus Internationalitätsgründen fraglich.
Ein anderer Industriezweig, der jedoch nur mittelbar Einfluss auf
den Tonträgerabsatz ausübt, ist die Unterhaltungselektronik-Industrie.
Vor zwanzig Jahren landete sie einen Jahrhundertreffer mit der Einführung
der CD. Das bescherte auch den CD-Händlern traumhafte Geschäftsjahre,
weil viele Sammler nach und nach ihre anfällige Schallplattensammlung
auf die robustere CD umstellten. Die Kritik scharfohriger Plattenhörer
an der angeblichen Flachheit der digitalen Darstellung von Musik
durch die CD sei hier beiseite gelassen. Trotzdem entwickelte die
Industrie zwei neue Formate, die seit einigen Jahren um die Nachfolge
der CD buhlen: die Audio-DVD und die Super-Audio-CD. Offensichtlich
herrscht aber wenig Einigkeit zwischen Geräteherstellern und
Plattenproduzenten. Nach der letzten Berliner Funkausstellung erklärte
man die Audio-DVD zum Zukunftsmedium der Tonträger, auf den
Markt kommen aber vorwiegend SACDs. Die nicht vorhandene Kompatibilität
beider Formate, die Unentschlossenheit der Industrie eines zu bevorzugen,
die immer noch verhältnismäßig hohen Preise der
Hybrid-Geräte (, die beides abspielen können) und der
benötigten Surround-Anlagen verhindern zur Zeit in Gemeinschaft
mit der anhaltenden allgemeinen Konsumflaute einen ähnlichen
Erfolg wie den der CD-Einführung.
Abseits dieser technischen Hindernisse geht es jedoch der Musikbranche
im Allgemeinen nicht so schlecht wie es aus Sicht der Plattenfirmen
scheint. Zumindest das Interesse an Klassischer Musik scheint zu
steigen, vermelden doch die großen Konzerthäuser der
Republik steigende Abonnentenzahlen. Das sollte eigentlich die Verkaufszahlen
entsprechender CDs steigern, und in kleinerem Rahmen trifft das
auch zu. Sich als Händler jedoch von solchen Veranstaltungen
abhängig zu machen, birgt ein großes geschäftliches
Risiko.
Vielleicht lohnt ein Blick zu unseren europäischen Nachbarn
Großbritannien und Frankreich. Dort ist der Stellenwert der
Klassischen Musik so hoch, dass sich beispielsweise das Label harmonia
mundi france eigene Geschäfte leisten kann oder, dass Ketten
wie die britische HMV in ihrem Heimatland prosperieren (deren Deutschlandauftritt
mit drei Geschäften in Münster, Oberhausen und Frankfurt
dauerte noch nicht einmal zwei Jahre). Was machen diese Länder
richtiger als die Deutschen, dass dort das Interesse an klassischer
Musik nicht erlahmt und alle Beteiligten – Labels, Händler
und Kunden – auf ihre Kosten kommen?
Die Geizgeilheit der Deutschen – die jedoch gerade bei CDs
völlig fehl am Platze ist, weil erstens sich der CD-Verkaufspreis
im Vergleich zu anderen Preisen der Kulturbranche unterdurchschnittlich
entwickelt hat und zweitens im europäischen Vergleich die CD-Preise
in Deutschland am günstigsten sind – wird mittelfristig
wahrscheinlich genau das Gegenteil erreichen: die großen Ketten
werden die niedrigen Preise für CDs nicht halten können
und das Sortiment wegen fehlender Umsätze streichen. Klassik-CDs
wird es dann nur noch in Spezialgeschäften geben, die zwar
höhere Preise fordern müssen, dafür aber auch Beratung
anbieten. Der Umschwung von der Quantität zurück zur Qualität
beginnt sich abzuzeichnen, und da waren die Einzelhändler schon
immer und sind dann wieder ganz vorne mit dabei.