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nmz-archiv
nmz 2004/04 | Seite 6
53. Jahrgang | April
Portrait
Glanz und Tücke des Virilen
Der Betör-Tenor José Cura – gegen seine Verehrer
und Kritiker verteidigt · Von Eckhard Henscheid
Wohl ließ sich José Cura bereits vor sieben Jahren
lautstark als „Tenor des 21. Jahrhunderts“ ausrufen;
andererseits hatte er, zumal seit Anbruch dieses Jahrhunderts, fast
allzeit um seinen unangefochten guten Ruf zu kämpfen. Einerseits
war das Marketing des derart fast futuristischen Solitärtenors
tatsächlich ein bisschen arg krähend und also mehr schädlich
und Aggressionen weckend; andererseits ist es – bei derzeit
gar nicht geringer Fachkonkurrenz – trotzdem auch nicht ganz
falsch: keine geringere als Curas ähnliche Superlative kitzelnde
„Cavalleria“-Partnerin Waltraud Meier bestätigt
kompetent, seit Placido Domingo sei für sie der Argentinier
der erste und momentan einzige, der auf der Bühne so schön
singe, dass es Santuzza schwer falle, tränenunterdrückend
möglichst cool selber weiterzumachen.
Otello: José Cura
zusammen mit Renato Bruson als Jago in einer Aufführung
der Wiener Staatsoper. Foto: Wiener Staatsoper GmbH/Axel
Zeininger
Anders als die in vielem vergleichbare Generationsgenossin Cecilia
Bartoli, die seit inzwischen einem Jahrzehnt von einem offensichtlich
einfach närrisch gewordenen Publikum als everybody’s
darling auch dann noch behuldigt wird, wenn sie bloß reichlich
inferiore Vivaldi- und Rossini- und zuletzt Salieri-Vulgäria
herunterzwitschert und notfalls -bellt und die damit inzwischen
vermutlich 51 Prozent des Klassik-CD-Markts kontrolliert –
anders als die Bartoli, die von Mozart bis Verdi und Puccini trotzdem
so gut wie noch nie eine wirklich bedeutende Partie gemeistert hat,
hat Cura im Verdi-, Puccini- und Verismo-Fach Anstrengendstes nie
gescheut, auch nicht Partien wie den Des Grieux aus „Manon
Lescaut“, die mit ihrer extrem hohen Tessitura eigentlich
jenseits seines heldisch-dunklen Stimmfachs liegen. Und dabei keineswegs
wie die mollige und seltsam identifikationseinladende Mezzosopranistin
nur Sympathien erweckt. Sondern außer herzklopferischer Höchsterwartung
und häufig Begeisterung auch allerlei sonderliche Widerstände,
ja bisweilen richtige Feindschaften erfahren müssen.
Und das, etwas paradox, bei gleichzeitiger und ständiger
und standardmäßiger Festspiel-Gewärtigung im deutschen
Sprachraum, überwiegend in Wien, Zürich und München
hat Jose Cura seit zirka 1995 rund zehn große Partien aufgeboten:
von Verdi ständig triumphal den „Otello“ und nicht
ganz so einleuchtend den „Don Carlo“, von Bizet den
„Carmen“-Namenskollegen, die Protagonisten von „Bajazzo“
und „Cavalleria“, den gleichfalls veristischen „Andrea
Chenier“ – vor allem im Zürichischen darf man sich
Ende April auf die Erstpräsentation des heroischen Banditen
Ramerrez in Puccinis „Fanciulla“ freuen, der Curas stimmlichem
und personalem Naturell besonders gut liegen müsste und der
seine praktisch ununterbrochenen Cavaradossis von „Tosca“
kontern sollte. An allen drei genannten Häusern sang der Tenor
zuletzt mehrfach jene Partie, in der er wohl weltweit am belehrtesten
ist: den Verdi’schen „Otello“.
Cura könnte, wenn er wollte und sehr dumm wäre, wohl
365 Tage im Jahr global und höchstdotiert den Helden des „Schokoladen-Projekts“
(Verdi) bestreiten. Dabei ist er, wie Domingo, strengstgenommen
gar kein richtiger Otello. Sein sämig baritonal grundierter
Spinto-Tenor ist kaum der stilistisch, quasi vom Idiom des Notentextes
her erheischte „eroico“ oder „robusto“;
ganz rollendeckend exzellierten im letzten Halbjahrhundert aber
wohl eh nur der Chilene Ramon Vinay und Mario del Monaco –
freilich genügte dem wagnergesangähnlichen Schwergewicht
des Mohren auch Verdis Uraufführungstenor Francesco Tamagno
kaum. Cura aber, wie sein zeitweiser Förderer Domingo, kann
an guten Tagen als Otello trotzdem hinreißen, sein „Esultate“-Entree
ist von so stupender Kraftentladung, dass Kritiker umgekehrt nicht
immer ganz grundlos „Überspanntheit“ (Neue Züricher)
bemäkelten und für den Fortgang im Sinne einer figuralen
Differenzierung und Steigerung dann auch „Monochromie“.
Aber, wenn er, Cura-Otello, zumeist im halben Liegen darauf seine
Desdemona anschmachtet: „Gia nella notte densa – Venere
splende!“ – dann hat diese beinahe athletische Provokation
der Tenor-Rivalen im Verbund mit der genuin generösen, edlen,
fast immer auch edel geführten Naturstimme des „Kraftpakets
aus Argentinien“(FAZ) oftmals eben schon jene Erregungsmacht,
die nicht allein unsere auch heute immer noch eruptionswilligen
Frauen erglühen lässt und heimlich mitten im Opernhaus
vollends umwirft. Bis zuletzt war allerdings immer zu hören,
dass der in der Provinzstadt Rosario geborene „Mann, den die
Frauen lieben“(Kulturzeitschrift Rondo) mit einer Französin
richtiggehend lammfromm verheiratet ist. Auch wenn er zuweilen,
vor den Augen des Autors dieser Zeilen, dann doch herzflimmernden
Verehrerinnen, hier zufällig meine Ehefrau, mit Filzstift einen
mysteriösen langen Strich („vorgemerkt“?) auf den
Unterarm zu malen sich herablässt.
Vermisst man Curas erst im zweiten Anlauf mit der kleinen Puccini-Debütoper
„Le Villi“ entdeckte Muskelstimme mit den ganz Großen
im Sinne einer so beliebten Jahrhundertmeisterschaft, dann schneidet
der vom Nachrichtenmagazin „Spiegel“ etwas deppert als
„Erbe von Pavarotti und Domingo“ geführte gelernte
Chormeister-Dirigent schon heute nicht schlecht ab. Den timbreverdankten
erotic drive des Vortrags teilt er tatsächlich mit dem etwas
leichter gewichtiger Lirico spinto-Kollegen Luciano Pavarotti, auch
mit den Legendendenkmälern Bergonzi und Tagliavini –
die dunkle Braunfärbung der voce oscura ist dem sagenhaften
und laut Puccini gottgesandten Celloklang Carusos gar nicht allzu
fern. Zwar fehlt Cura die unendliche Mühelosigkeit der Spitzentöne
eines Giovanni Martinelli oder auch des jüngst leider früh
verstorbenen Franco Bonisolli, und im Produzieren von „squillo“-Metall
ist ihm zum Beispiel Giacomo Lauri-Volpi über. Aber: einen
Universalidealtenor hat es halt nie gegeben, summasummarum, im Integral,
hält Cura sich auch bei Jahrhundertperspektiven bravourös
– und momentan sind ihm wohl nur Roberto Alagna und der stimmfachlich
leichtere und höher situierte Landsmann Marcelo Alvarez einigermaßen
beachtliche Widersacher. Nein, ganz geschwindelt und gegaunert ist
das mit dem Tenor des neuen Säkulums nicht – contra Cura
optierten zuletzt zumeist nur als Connaisseure verkleidete Schlaumeier
und Besserwisser und prätendierte Puristen – und haben
dabei aber auch nicht immer komplett unrecht. Weniger wegen der
etwas showseligen Solo-Spektakelabende des Kraftpakets im Zuge der
landesweiten Promotion aktueller CD-Einspielungen; mehr schon wegen
seines simultanen Singens und Dirigierens; und vor allem darin,
dass der einstige und doppelt falsch als Shooting Star (und das
heißt nun mal: Sternschnuppe) geführte heutige 42-Jährige
im gestrengen Verdi-Gesang stilistisch schon noch zulernen könnte;
etwa vom Maestrissimo Carlo Bergonzi. Curas Verdi-Arien-CD-Anthologie
ist im Schnitt um 7 bis 23 Prozent weniger gehaltvoll als die Vorherveranstalteten
mit Puccini- und Verismo-Evergreens – und auch schönen
Raras! „Niun mi tema“: Am Ende des „Otello“
schwinden allerdings meist alle Bedenken; selbst dem puristischsten
Ohre „languisce il cor“. Warum aber hat Cura gleichwohl
und fast ab ovo und bisher recht hartnäckig die Fama von Rambo
und Macho abgekriegt, die doch schon etwas berechtigter einem Franco
Bonisolli zusteht? Auf der Bühne ist der Argentinier am allerwenigsten
Macho und Narziss und Womanizer und Selbstdarsteller und Schlamper
– immer wieder fallen da im Gegenteil die besonders bedachtsamen
mimischen Nuancierungen und Bewegungsabläufe ins Gewicht, zum
Beispiel auch in den abgelutschten Partien des Don José und
Andrea Chenier. Dass er sich in Madrid schon mal mit einer randalierenden
Anti-Claque anlegt? Da hatte er recht. Es scheint, nein, sicher
ist, in mancherlei Weise ist Cura in die seltsamen Zwickmühlen
des modernen Opern-Medien-Bedarfsbetriebs hineingerutscht –
und klagt auch glaubwürdig darüber: Nehme er „E
lucevan le stelle“, wie von Puccini erwünscht verhalten,
innig, morendo, dann schlage ihm, auch seitens der vermeintlichen
Bescheidwisser der Wiener Staatsoper, Eisigkeit entgegen. Brülle
er die extrem wehmütige Lebensabschiedsmelodie wie am Spieß,
dann komme die volle Spießerbegeisterung zurückgebrüllt.
Genützt hat Jose Cura auch sein visuell plausibles Imago
als Latin Lover weniger als geschadet. Der laut Richard Wagners
„Meistersinger“ gar unbelehrte Kunstsinn der Frauen
schuf wohl früh eine Art Unsinnsprojektion in die Kritikerschaften
hinein dergestalt: Wer so gut aussieht, der kann unmöglich
auch noch betörend schön singen können. Und, noch
eine Nonsens-Drehung weitergekurbelt: Von FAZ bis Berliner „Tagesspiegel“
wiederholte sich mehrfach die Kuriosität von Cura‘schen
CD-Rezensionen, welche dem Sänger meist grundlos genau das
zum Vorwurf machen, was ihre eigenen Artikelüberschriften und
Bebilderungen mit Agenturfotos (Cura passioniert am Boden sich windend)
ziemlich schamlos bezwecken: mit derlei Kitsch und Krampf das ja
eventuell auch mental möglichst schwache Geschlecht anzulocken!
Und gegen solchen circulus abstrusus mediensis ist eben selbst ein
seraphisch gesungenes hohes B (das C hat Cura wie Caruso, wie Bergonzi,
wie Domingo selten im Angebot) ziemlich machtlos.
Anders als im Fall Domingo oder auch Pavarotti ist bei Cura die
phonotechnisch manifeste Dokumentenabteilung noch erfreulich übersichtlich.
Außer den erwähnten Anthologien gibt es auf CD die Gesamtaufnahmen
von „Samson und Dalila“ und „Manon Lescaut“
sowie einen Live-Mitschnitt von „Le Villi“ – ein
Tenor macht da erstmals auf seine schon sehr schöne, noch wenig
ausgereifte Stimme aufmerksam. Häufiger in den letzten Jahren
kam es zu DVD-Filmmitschnitten von Opernaufführungen und Konzertprogrammen,
vor allem Verdi-Galas in Parma und London anlässlich der Todesjahrfeiern
2001. Cura als Protagonist der Folklore seines Heimatlandes kann
man unter anderem auf einer CD mit traumseligen „Anhelos“
haben. Nimmt der Tenor da schon wahrhaft christlich-demütig
meist 50 bis 80 Prozent seines Stimm-Potenzials zurück, so
fehlt andererseits vorerst noch das Monument, mit dem Cura glatt
100 Prozent geben müsste: gegen eine längst von Fans erhoffte
„Otello“-Einspielung möglichst in CD/DVD-Kombination
spräche auch in Zeiten der Klassik-Branchenkrise nichts.
Eckhard Henscheid
Diskografie
Camille Saint-Saëns: Samson et Dalila
London Symphony Orchestra, Colin Davis; Erato 3984-24756-2 Giacomo Puccini: Le Villi
Orchestra Internazionale d’Italia, Bruno Aprea; Nuova Era
7218 Giacomo Puccini: Manon Lescaut
La Scala Orchestra & Chorus, Riccardo Muti; DGG 463 186-2 Puccini-Arias
Philharmonia Orchestra, Plácido Domingo; Erato 0630188382/4 Anhelo – Argentinian Songs
feat. Eduardo Delgado & Ernesto Bitetti; Erato 3984-23138-2