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nmz-archiv
nmz 2004/04 | Seite 41
53. Jahrgang | April
Bücher
Plädoyer für ein neues Pathos
Über Beethovens Werk als Form „engagierter Musik“
Über Beethoven schreiben grenzt ans Titanische. Wer mag schon
ernsthaft mit Thomas Manns faustischem Beethoven-Bild oder Adornos
dialektischer Deutung konkurrieren? Der Germanist Jost Hermand hat’s
gewagt und der Leser gewinnt dadurch immerhin einige historische
Einblicke hinter die Aura des Genialischen. Sein Buch ist ein Dokument
der aktuellen Wiederentdeckung des „politischen Beethoven“
beziehungsweise des Politischen in seiner Musik.
Als ausgewiesener Kenner der Restaurationsepoche betrachtet Hermand
„die Klassik“ als revolutionäres Zeitalter. In
unseren Tagen, da die 9. Symphonie zur Allerwelts-Hymne zu verkommen
droht, leistet sein (im besten Sinne) populärwissenschaftliches
Buch eine profunde Aufklärung über den realen Hintergrund
von Beethovens pathetischen „Humanitätsmelodien“.
Politische „Intonationen“ wie den Dreiklang von „Gleichheit,
Freiheit und Brüderlichkeit“ hört Hermand nicht
nur im „Fidelio“ oder im Chor der „Neunten“,
sondern auch im Instrumentalwerk – Musik als Parole ohne Worte?
Der gelernte Literaturwissenschaftler spricht lieber von „Haltungen“,
die in Beethovens Musik „zum Ausdruck kommen“: Trotz,
Rebellion, Feuer.
Nachdem der Abschied vom „Mythos Beethoven“ bereits
Geschichte ist, scheint hier also das alte und oft missbrauchte
Klischee vom „Heros“ neu entdeckt zu werden.
Jost Hermand: Beethoven – Werk und Wirkung, Böhlau-Verlag,
Köln/Weimar/Wien 2003, 278 S., Abb., € 24,90, ISBN 3-412-04903-4
Doch Jost Hermand zeichnet ein menschliches, „weiches“
Bild des Helden. Die jüngere feministische Kritik an Beethovens
„maskuliner“ Musik konterkariert er mit dessen „empfindsamen“
Partien: den Auftakt der „Mondscheinsonate“ möchte
er jedoch mehr als „Vorklang besserer Welten“ und weniger
als „feminine Zone“ verstanden wissen.
Nicht das bloß Draufgängerische zeichne Beethoven aus
– das (politische) Prinzip Hoffnung, das Hohe Lied der Freiheit
mache Beethoven zum „Heros“ seiner Zeit. Dieser universelle
Idealismus bilde sowohl den „Inhalt“ der „betont
heroischen“ Werke (wie der „Eroica“) als auch
der Kammermusik.
So spürt Hermand etwa in der meist mystifizierten zweisätzigen
Klaviersonate op. 111 ein rebellisches „Weitermachen“:
ein Aufbäumen in den von Beethoven beklagten „wüsten
Zeiten“ nach dem Ende der Utopien. In diesem „Weitermachen“,
einer Kreativität, die an Grenzen des Menschenmöglichen
geht, sei Beethoven ein „Wegweiser zu besseren Welten“
– gerade für ironische Zeitgenossen der Postmoderne.
Auf diesen Grenzgängen würde man dem Autor gerne folgen,
wenn er Beethovens optimistische Grenzüberschreitungen nicht
nur enthusiastisch beschwören, sondern auch analytisch beschreiben
würde. So kehrt das alte Beethoven-Pathos nur unter historisch
korrekten Vorzeichen zurück: Hermand deutet Beethoven als „musikalischen
Schiller“.
Von daher bedeutet für ihn Pathos in der Musik (auch in Gestalt
der „Pathétique“) ein trotziges Streben nach
Idealen, das in letzter Konsequenz zu einer zeitkritischen „Ästhetik
des Widerstands“ führt. Doch sein Eifer, Beethoven als
Kind seiner Zeit und nicht als Propheten einer spekulativen „absoluten
Musik“ darzustellen, wirft die Frage auf, worin die humane
zeitlose Botschaft seiner Musik bestehen soll, wenn nicht darin,
Grenzen zu überschreiten? Nicht nur soziale Utopien, auch absolute
waren schließlich das musikalische Programm des von Beethoven
geprägten Jahrhunderts.