[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2004/04 | Seite 42
53. Jahrgang | April
Bücher
Für Pädagogen, Geigenschüler und Liebhaber
Neuerscheinung zum Thema Violine im Laaber-Verlag
Großangelegte Buchprojekte gehören seit jeher zu den
Markenzeichen des Laaber-Verlages, zu dessen Aushängeschildern
Klassiker wie das „Neue Handbuch der Musikwissenschaft“
zählen. Nun hat man selbstbewusst eine neue Reihe in Angriff
genommen, dessen erster Band im vergangenen Dezember erschien: Das
„Lexikon der Violine“, dem entsprechende Bände
zu Flöte, Klavier und Orgel folgen sollen. Und man hat sich
kräftig ins Zeug gelegt, das neue Produkt intensiv zu bewerben
und den attraktiv aufgemachten und sehr gewichtigen Band gut im
Handel zu platzieren. Der Erfolg gibt dem Verlag Recht, der nach
wenigen Wochen mit Stolz den Verkauf der ersten Auflage und die
Verleihung des Musikeditionspreises 2004 für das Lexikon meldet.
Mit dem Lexikon-Projekt hat Laaber offensichtlich großes
Interesse geweckt, wie auch die Zielgruppe breit gewählt ist,
die man nach Aussage des Herausgebers bei der Konzeption im Auge
hatte: alle, die beruflich oder privat mit der Violine zu tun haben,
wie Profimusiker und Liebhaber, Pädagogen und Schüler,
Geigenbauer und Musikwissenschaftler. Entsprechend umfassend ist
auch der inhaltliche Anspruch, und man fragt sich, wie das alles
zwischen zwei Buchdeckel zu packen ist.
Lexikon der Violine, hrsg. von Stefan Drees, Laaber-Verlag, Laaber
2003, 805 S., Abb., 118 Euro, ISBN 3-89007-544-4
Es ist natürlich eine höchst begrüßenswerte
Idee, das Thema Violine auch einmal lexikalisch aufzubereiten. Viele
der Käufer, die immerhin bereit sind, mehr als hundert Euro
für das Nachschlagewerk auszugeben, dürften die eine oder
andere biografische oder instrumentenkundliche Publikation wie Walter
Kolneders Standardwerk „Das Buch der Violine“ bereits
besitzen. Über eine zusammenhängende Darstellung verschiedener
Aspekte des Instruments hinaus kann mit dem vorliegenden Band erstmals
ein schneller Zugriff auf Antworten bei bestimmten Fragestellungen
im Detail gewährleistet werden. Besonders bei den Sachartikeln
überzeugen Breite und Umfang der ausgewählten Stichworte,
die die Kategorien Spielpraxis, Geigenpädagogik, Werkgattungen
und Instrumentenkunde umfassen. Natürlich gehört da vieles
für den Profi zum Grundwissen, doch stolpert man gerade bei
den Musikinstrumenten immer wieder über Exotisches, wie das
„Violinophon“, die „Dessauer Bratsche“ oder
das „Practicello“ – eine Einladung, in dem Lexikon
auch einfach nur einmal zu schmökern. Wenn die „großen“
Artikel etwa zum Stichwort „Violine“ im Vergleich zu
den entsprechenden Abhandlungen in Musikenzyklopädien wie MGG
oder New Grove Dictionary (bzw. NGroveD of Musical Instruments)
vergleichsweise schmalbrüstig daherkommen, so mag das zunächst
irritieren, hat seinen Grund aber in einer konsequenten Durchstrukturierung
des Bandes mittels Verweisen. Schade, dass man wenig zum Herstellungsvorgang
der Instrumente findet und im Bereich der Materialkunde beispielsweise
das zentrale Thema „Holz“ nicht mit einem eigenen Stichwort
bedacht wurde.
Attraktiv machen das Lexikon die zahlreichen Einträge zu
zeitgenössischen Komponisten (von Geigenliteratur) und Interpreten,
wobei beispielsweise auch bedeutende Jazz-Violinisten aufgenommen
wurden. Naturgemäß stößt man im Bereich der
personenbezogenen Artikel schnell auf Grenzen, die allerdings den
Nutzwert des Bandes für Geigenbauer, Wissenschaftler und im
Grunde auch für viele Profimusiker einschränken. Da sie
mit den Inhalten der Sachartikel ohnehin weitgehend vertraut sind
oder diese schnell in der ihnen geläufigen Fachliteratur nachschlagen
können, wäre gerade im Bereich der Instrumentenbauer eine
stärkere Gewichtung von Interesse. Aufgenommen sind nur die
ohnehin relativ bekannten Namen in nicht sehr umfangreichen Einträgen.
Natürlich gibt es auch hier umfassende Spezialliteratur, wie
das Monumentalwerk über „Die Geigen- und Lautenmacher
vom Mittelalter bis zur Gegenwart“ von Lütgendorff, doch
hätte der Herausgeber auch bei eingeschränkter Auswahl
durchaus ein eigenes Profil entwickeln können. Statt in knapp
bemessenen Artikeln etwa auf wahrscheinlich ohnehin nicht originale
Monturteile ausgewählter Instrumente beschreibend einzugehen
(vgl. „Gasparo da Salò“), könnte man beispielsweise
als Service jeweils auf Sammlungen hinweisen, in denen Instrumente
der Meister genauer in Augenschein genommen werden können.
Das mitgelieferte Anschauungsmaterial ist zudem leider nicht immer
von guter Qualität, im separaten Farbabbildungsteil sogar geradezu
bestürzend schlecht (so etwas darf bei dem hohen Anschaffungspreis
nicht passieren!). Abgesehen von der schwankenden Qualität
der Werkbesprechungen hätten den Personenartikeln insgesamt
konsequentere redaktionelle Vorgaben gut getan: Als Beispiel seien
hier nur die sehr unterschiedlich ausgefallenen Werkverzeichnisse
genannt: Die Spanne erstreckt sich von der Mitaufnahme „verlorener
Werke“ (vgl. „Mondonville“) bis zum Weglassen
der kompletten Kammermusik mit Ausnahme der Violinsonaten.
Im Fall von Mendelssohn geschah Letzteres offensichtlich nicht
ohne Begründung, kanzelt doch die Autorin dessen sicherlich
nicht unbedeutendes kammermusikalisches Schaffen mit unbedacht übernommenen
Vorurteilen aus der Rezeptionsgeschichte schlicht ab. Im Gegensatz
dazu fällt die Werkauswahl von Mendelssohns Musikerkollegen
Louis Spohr glücklicherweise bedeutend umfangreicher aus, zumal
es hier auch für den Laienmusiker in unterschiedlichsten Besetzungen
noch viel Interessantes zu entdecken gibt.
Sicherlich kann man bei einem Buchprojekt dieser Dimension und
inhaltlichen Ausrichtung nicht jedem gerecht werden. So scheint
mir der Band weniger interessant für die angesprochenen Wissenschaftler
oder Geigenbauer zu sein, die auf anderen Wegen höheren Erkenntnisgewinn
erfahren. Dagegen ist das Lexikon für Pädagogen, Geigenschüler,
Liebhaber des Instruments und professionelle Instrumentalisten (ohne
größere Bibliothek im Hintergrund) eine gute Handreichung
für schnell aufzufindende erste Informationen zu einer Fülle
von Aspekten des Instruments.
Für die geplante zweite Auflage wäre anstelle des etwas
überflüssig wirkenden Artikelverzeichnisses ein detailliertes,
vielleicht thematisch sortiertes Register durchaus wünschenswert.