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nmz-archiv
nmz 2004/04 | Seite 40
53. Jahrgang | April
Rezensionen
Schlag die Branche mit den eigenen Waffen…
Neue DVDs: Chigago live und Abschied von Dick Brave & The
Backbeats
Chicago: Live By Request
Warner Vision Germany
Die Schmusekopfstimmensinger Chicago feierten 2002 das 35-jährige
Bandjubiläum. Dazu hatte die TV-Station A&E Network die
Idee einer interaktiven Liveshow in New York, die es dem Zuseher
per Anruf oder E-Mail ermöglichte teilzunehmen und somit einen
Songwunsch direkt an die Band zu richten, der dann prompt erfüllt
wurde. Dieses typisch amerikanische Spektakel wurde mit viel Pathos
(Klatschen in den ersten fünf Sekunden bei Songerkennung) und
Kitsch (Zuschauer erinnern sich an Spaziergänge im Central
Park bei Chicago Songs) auf eine 92-minütige DVD gebannt und
lässt keinen Hit der Hornfetischisten vermissen: Saturday In
The Park, Look Away (Akustikversion), If You Leave Me Now, Old Days
oder You’re The Inspiration. Der Sound ist einzigartig (Stereo
2.0 oder 5.1 Surround), die Hornfraktion crisp und brechend, die
Kopfstimmen stets am Limit, die Arrangements unerreicht. Moderator
Mark McEwen führt routiniert aber anbiedernd witzig durchs
Programm, plaudert mit den Musikern zwischendurch über die
Band und deren Geschichte und nimmt zusammen mit Chicago völlig
unaufgeregt die Anruferwünsche entgegen. Beeindruckend kommen
die Markenzeichen der Band zum Vorschein: mehrstimmiger Satzgesang
und eine Horn- beziehungsweise Bläserfraktion, die es so wohl
nie mehr geben wird. Das Bonusmaterial ist mit zwei zusätzlichen
Songs spärlich (Hard To Say I’m Sorry/Get Away und Just
You And Me), die Untertitel in Englisch und das Bildformat im gängigen
4:3. Nicht nur für Federkernmatratzenlieger sondern auch eine
Lehrstunde für Popkomponisten.
Dick Brave & The Backbeats: Live at the Limelight
Warner Vision Germany
Mittlerweile weiß es selbst die Branche: Dick Brave ist
Sasha. Die witzige teilweise peinliche Figur Dick Brave (welch öder
Akzent!) wurde ins Leben gerufen, um Sasha weg von den 16-jährigen
Mädels und künftig hin zu den 32-jährigen Arzthelferinnen
zu ziehen. Ein gelungener Schachzug. Dick Brave verkauft Platten,
besetzt die vorderen Chartplätze und zeitnah mit dem Erscheinen
der DVD „Live at the Limelight“ wird Dick Brave wohl
wieder nach Kanada zurückkehren. Die DVD ist ausgestattet mit
23 Songs, brillantem Sound und einer grandiosen Beatband. Das Konzert
im Kölner Limelight wurde vor handverlesenem Publikum (= Branche)
aufgezeichnet (merkt man an den „Uh“-Schreien zwischen
den Songs) und bringt die rheinländische Atmosphäre perfekt
aufs Sofa. Das Bonusmaterial ist reichlich aber langweilig (TV-Ausschnitte
á la Dick trifft „XY“ und am häufigsten
Stefan Raab). Selbst die eigens gedreht Rockschule trifft den Humor
eher in der nächsten Halbstarkenkneipe. Das Hauptmenü
ist nur mit plattgedrückter Nase am Bildschirm zu erkennen
weil man sich für eine Fünf-Punkt-Schrift trotz 16:9 Großbildformat
entschied. Davon abgesehen eine Klasse DVD weil Sashas Grundidee
(spiel’ alte Songs als Beatnummern und schlag’ die Branche
mit ihren eigenen Waffen) auch auf DVD großartig umgesetzt
ist.