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nmz-archiv
nmz 2004/05 | Seite 33
53. Jahrgang | Mai
Arbeitskreis
Musik in der Jugend
Hilfe, die Kinder wollen mit mir singen
Lücken in der musikpädagogischen Ausbildung von Erzieherinnen
durch Fortbildung auffangen
„Die Erzieherinnen der Kindergärten müssen darüber
aufgeklärt werden, wie groß die Verantwortung ist, die
sie tragen, wie schwer sie die Kinder in ihrer Humanität [...]
schädigen, wenn sie sie mit schlechten Liedern füttern.
[...] Die ständige Fortbildung jeder Kindergartenerzieherin
müsste institutionell gewährleistet werden“.
Dieses Zitat entstammt nicht etwa einer aktuellen Bundestagsdebatte
sondern ist bereits 75 Jahre alt; Zoltán Kodály trat
seinerzeit so feurig für die Verbesserung der desolaten Situation
des Singens im Kindergarten in Ungarn ein, weil er das Erlernen
der „musikalischen Muttersprache“ als Grundbedingung
für die volle aktive Teilnahme an der Musikkultur ansah.
Foto: Charlotte Oswald
Der unermüdliche Einsatz dieses Musikpädagogen führte
zu einer bis heute vorbildlichen musik- und vor allem vokalpädagogischen
Arbeit in Ungarn. Längst hat man dort begriffen, dass sich
die Investition in eine fundierte musikalische Ausbildung der Erzieherinnen
mehr als auszahlt.
In Deutschland ist man von diesem Zustand noch meilenweit entfernt,
denn die Erzieherinnenausbildung wird regelrecht überfrachtet.
Sie soll eine Art „Allround-Erziehungsfachkraft“ für
die Betreuung von Kindern und Jugendlichen von 0 bis 27 hervorbringen
– ein Ziel, das beim besten Willen nicht erreicht werden kann.
Die Analyse des derzeitigen Bayerischen Lehrplans der Fachakademie
für Erzieherinnen zeigt beispielsweise, dass die musikalischen
Lernziele der zweijährigen Ausbildung nur sehr vage und unverbindlich
formuliert sind. Da die Gestaltung des Unterrichts im Ermessen des
Musiklehrers liegt, kann nicht garantiert werden, dass musikalischen
Themen im Laufe der zwei Ausbildungsjahre möglichst umfassend
vermittelt werden. Musikalische Fähigkeiten sind zudem weder
Aufnahmekriterium für die Ausbildung noch werden sie in der
Abschlussprüfung gefordert. Seitens der Ausbildung also ein
desolates Bild.
Die im Rahmen einer qualitativen Untersuchung zur Bedeutung von
Musik an Bayerischen Kindergärten durchgeführten Interviews
mit Erzieherinnen (Ziegler, 2002) kommen zum Ergebnis, dass in der
beruflichen Praxis eine massive Unsicherheit darüber besteht,
was als stimmphysiologisch und stimmbildnerisch richtiges Singen
mit Kindern gelten kann.
Aber Singen-können entsteht nun mal nicht durch Reifung. Unterschiedliche
musikalische Fähigkeiten resultieren aus unterschiedlich intensiven
musikalischen Biographien der Kinder. Das spontane Singen der Kinder
muss von der Erzieherin musikpädagogisch adäquat aufgegriffen,
geübt und positiv verstärkt werden. Sonst verkümmert
die spontane Lust, und singgehemmte Grundschulkinder sind die Folge.
Obwohl das Kindergartenalter inzwischen als sensible Phase für
die „Kultivierung des vokalen Ausdrucks“ empirisch bestätigt
worden ist (Stadler Elmer, 2002) und obwohl erweitertem Musikunterricht
positive Transfereffekte nicht mehr abgesprochen werden können
(Bastian u.a., 2000), wird derzeit nur für 28,8 Prozent der
befragten Erzieherinnen die Einsicht in die Bedeutung des Singens
für die kindliche Entwicklung adäquat durch die Fachakademie
vermittelt (Brünger, 2003). Es bleibt folglich dem Zufall überlassen,
ob ein Kind von einer Erzieherin betreut wird, die von sich aus
gut und gerne mit den Kindern singt und deshalb auf regelmäßiges
Singen Wert legt.
Aber Kinder singen gern, das erfahren die Erzieherinnen in der
beruflichen Praxis täglich. 90 Prozent aller Befragten stimmten
dem in Brüngers Untersuchung (Singen im Kindergarten, Peter
Brünger, 2003) zu.
Erzieherinnen befinden sich somit im Dilemma, mit der Singfreude
und dem Singbedürfnis konfrontiert zu sein und dieses zu erkennen,
sie jedoch oftmals aufgrund der lückenhaften musikalischen
Ausbildung nicht aufgreifen und erweitern zu können.
Erzieherinnen, die sich der musikalischen Erziehung nicht gewachsen
fühlen, oder die existentielle Bedeutung des Singens für
die kindliche Entwicklung nicht erkennen, vermeiden das Singen tendenziell
und spezialisieren sich im Erzieherinnenteam auf andere pädagogische
Teilgebiete – ein Verhalten, das das deutsche Konzept Kindergarten
aufgrund fehlender Curricula erlaubt. Somit ist nicht gewährleistet,
dass jedes Kind das Singen im Kindergarten richtig erlernt, beziehungsweise
überhaupt zum Singen animiert wird. Es kann zudem nicht ausgeschlossen
werden, dass sich Kinder im Kindergarten durch technisch falsch
vorgeführtes Singen Stimmschäden zuziehen (Petermann,
1996). Dies ist angesichts der oftmals mangelnden Enkulturation
des Singens durch die Familie alarmierend. Verbreitete Praxis ist
es inzwischen, die musikalische Arbeit an Musikpädagogen abzugeben,
die einmal pro Woche in die Einrichtung kommen und für 45 Minuten
mit den Kindern Musik machen. Dies schadet dem Berufsstand der Erzieherin
erheblich, als es ein bedingungsloses Eingeständnis mangelnder
musikalischer Fachkompetenz bedeutet. Statt dessen scheint ein vielversprechender
Weg die Nachqualifikation der Erzieherinnen durch entsprechende
Fortbildungsveranstaltungen zu sein.
Die Untersuchung in Bayern zeigte, dass Erzieherinnen sich sehr
für musikalische Fortbildungen interessieren, das Angebot aber
eher dünn gesät ist (Ziegler, 2002).
erschiedene Verbände, wie der amj oder der Deutsche Sängerbund,
greifen hier interessierten Erzieherinnen bereits unter die Arme.
Kurse und Seminare mit Titeln wie „Hilfe, die Kinder wollen
(mit mir) singen!“ oder Hilfe, ich soll dirigieren“
werden besonders intensiv nachgefragt. Langfristig gesehen ist es
neben solchen Fortbildungsveranstaltungen notwendig, das Singen
stärker als bisher in der Berufsausbildung auf der Fachakademie
zu verankern.
In Bayern muss dies beispielsweise eine Konsequenz aus dem neuen
Bildungs- und Erziehungsplan sein, der erfreulicher Weise der Musik
und dem Singen einen höheren Stellenwert beimisst als bisher.
Singen sollte ein Aufnahmekriterium für die Ausbildung zur
Erzieherin sein. Die Ausbildung sollte eine Schwerpunktverlagerung
von der Instrumental- auf die Stimmbildung vornehmen. Zudem wäre
es für jede Auszubildende von Vorteil, bereits während
der Ausbildung eine Spezialisierung auf eine bestimmte Altersgruppe
vorzunehmen.
Schließlich sollte Musik fester Bestandteil der Abschlussprüfung
sein. Die Forderung Kodálys „Die Besten zu den Kleinen“
könnte somit nach und nach vielleicht auch in Deutschland erfüllt
werden.