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nmz-archiv
nmz 2004/05 | Seite 45-46
53. Jahrgang | Mai
Oper & Konzert
Viel Lärm um wenig
Zur dritten MaerzMusik Berlin · Von Isabel Herzfeld
Als „Festival für aktuelle Musik“ ist die MaerzMusik
vor drei Jahren angetreten, behauptet damit stolz ihr besonderes
Profil unter den Avantgarde-Veranstaltungen, die schlicht das Gegenwärtige
abbilden. Das ist mit dem Schwergewicht auf Klanginstallationen
und Performance, auf der in Atmosphäre und technischer Innovation
die populäre Clubszene berührenden „Sonic Arts Lounge“
und dem unkonventionellen Rahmen vieler Konzerte auch gelungen.
Glaubt man Kulturstaatsministerin Christina Weiss, garantiert gerade
dieses Aufbrechen der Unterscheidung zwischen U und E, die zeitweilige
Grenzüberschreitung zwischen Kunst und Alltag Attraktivität
und Bedeutung des Festivals. Mit stetig steigendem Publikumszuspruch
ist die MaerzMusik das derzeit wohl erfolgreichste Flaggschiff im
dahindümpelnden musikalischen Sektor der vom Bund finanzierten
Berliner Festspiele. Und Programmstränge wie „Charles
Ives und die Folgen“ Schlaglichter auf die französische
Szene, „Neue Musik auf alten Instrumenten“, „Crossings
zwischen China und Europa“, Zusammenarbeit mit Schülern
lebendige und spannende Begegnungen erwarten.
Wieweit damit jeweils ein Nerv der Zeit getroffen oder eher die
persönlichen Vorlieben der Veranstalter wiedergegeben wurden,
bleibe dahingestellt. Natürlich gehört Charles Ives, Ahnvater
nicht nur der amerikanischen Moderne, zu den herausragenden Figuren
des zwanzigsten Jahrhunderts. Ob Raumklang, Mikrotonalität
oder Einbeziehung des Zufalls und alltäglicher Klangquellen
– vieles ist bei ihm bereits vorgeformt, was später etwa
bei John Cage, La Monte Young oder Tom Johnson als allgemeines Konzept
fasziniert. Überwältigend die Frische und Originalität
einer Musik, die alle bei MaerzMusik präsentierten „Folgen“
weit in den Schatten stellte. Die 4. Sinfonie, welche immerhin Klavier,
Orchester, gemischten Chor und Mezzosopran-Solo auffährt, erwies
sich mit ihren unerschrockenen divergenten Klangschichtungen und
philosophisch fundierter Komplexität als Highlight des Konzerts
des SWR-Sinfonieorchesters unter Sylvain Cambreling, das weder mit
der Uraufführung von Tristan Murails hellfarbigem, doch in
der Substanz vergleichsweise konservativem „Terre d’ombre“
noch mit Georg Friedrich Haas‘ neu-alte Harmonien aufsuchendem
„natures mortes“ gegen den „Übervater“
ankam. Auch das nach dem Quellenmaterial der „Universe Symphony“
rekonstruierte „Live Pulse Prelude“ überzeugte
in Larry Austins Bearbeitung für zwanzig Schlagzeuger durch
die Dichte und gleichzeitige Klarheit durch den Raum wandernder
rhythmischer Schichtungen. Doch die „Folgen“ enttäuschten
eher. In der Klaviermatinee von Heather O’Donnell, welche
die „Concord“-Sonata mit unnachahmlicher Feinheit und
Transparenz erfüllte, ragten neben Ives-Werken nur Walter Zimmermanns
uraufgeführtes „the missing nail at the river“
und Oliver Martin Schnellers vierteltöniges „And tomorrow“,
beides dezidiert bei Ives anknüpfend, aus blasser Beliebigkeit
hervor. Wenig Glück war auch, trotz Schiffsüberfahrt mit
dem Geiger Malcolm Goldstein, dem Mammutprojekt in den legendären
Tonstudios des ehemaligen DDR-Rundfunks in der Nalepastraße
beschieden: Der Raumklangeffekt der dreiseitig um das Publikum gruppierten
Janácek Philharmonie Ostrava wurde in Petr Kotiks „Variations“
für drei Orchester kompositorisch kaum ausgenutzt und musste
in Olga Neuwirths „locus… doublure… solus“
verpuffen, weil sich der Klang weit hinten für einen Großteil
der Zuhörer einfach wieder mischte. Tom Johnsons „Combinations“
für Streichquartett kamen trotz ausgeklügelter Zahlenspiele
über gleichförmig wirkende Harmoniefolgen nicht hinaus,
William Russells „Three Dance Movements“ und „Cuban
Pieces“, die einst zum eisernen Bestand von John Cages Perkussions-Ensemble
gehörte hatten, entfalteten gleichfalls kaum den erwarteten,
die Tanzrhythmen unterlaufenden Effekt. Fraglich, ob sich hier nicht
bessere Musik oder eine bessere Präsentation hätte finden
lassen können.
Spektakuläres versprachen Installationen und Musiktheatralisches.
Dabei besticht „code + switching“ von Ana Maria Rodriguez
und Melita Dahl gerade durch seine leise Unaufdringlichkeit. Ute
Wassermanns Stimme schwingt zwischen allen Facetten von Klang, Geräusch
und Sprachmodulen, dazu verändert sich ihre Mimik auf projizierten
Fotos unmerklich, ein ständiges Changieren zwischen sinnlicher
Oberfläche, Bedeutung und Assoziation. Bei Julian Kleins „Brain
study“ dagegen stand technischer Aufwand und Klangergebnis
in allzu krassem Missverhältnis. Was zunächst äußerst
spannend erschien, nämlich die Transformation der Hirnaktivität
von „Gehirn-Spielern“ in Klang und Licht mittels ausgefuchster
Software und Live-Elektronik, die Umsetzung von Erinnerungen ebenso
wie emotionaler Zustände, erwies sich in minimalen Abstufungen
zarten Rauschens denn doch nicht sonderlich ereignisreich. „Angst,
Freude, Stress und Euphorie“ wurden in der künstlichen
Situation offensichtlich nicht erlebt – jedenfalls nicht in
der Nacht-Version, in der die Spieler friedlich in Hängematten
schlafen. Verschenkt auch Kasper T. Toeplitz und Jean Michel Bruyères
„Nicht-Oper“ „Battling Siki # 3 N.O.B.“
(Not an Opera on Boxing): Allioune Sow boxt sich auf Video und live
warm, eine Meute angeketteter Kampfhunde lässt sich davon zu
Bell- und Jaulkaskaden animieren. Was im Dunkeln, bei den raumumhüllenden
schattenhaften Schwarz-Weiß-Projektionen noch so etwas wie
bedrohliche Atmosphäre entwickelt, am Eingang des Hades von
den Zerberussen bewacht, überschreitet später, wenn die
Hunde auch inmitten greller Klangbänder die Nerven verlieren,
schlicht die Grenzen des guten Geschmacks. Eine Provokation, die
zu nichts führt. Kaum besser Alexander Kolkowskis „Mechanical
Landscape with Bird“, für Kanarienvogel, Serinette (Vogelorgel),
Phonographen und rotierendes Streichquartett mit Trichterinstrumenten.
Was das Kairos-Quartett auf der zum idyllischen Blumengarten dekorierten
Bühne der Sophiensäle, auf pittoresken Drehsitzen mit
seinen von Augustus Stroh 1899 eigens für Tonaufnahmen gebauten
Instrumenten vollführt, ist weit weniger interessant als die
Ausführungen im Programmheft zur Abrichtung von Kanarienvögeln
und den Aufzeichnungen ihres Gesangs. Mehr versprochen hätte
man sich auch vom Neo-Bechstein, einem um 1930 von den Firmen Bechstein,
Siemens und Telefunken entwickelten Elektro-Flügel, dessen
Saiten mit 18 Tonabnehmern verstärkt werden. Vom Pianisten
Reinhold Friedl und dem Programmierer Sukandar Kartadinata zum Raumklang-Mehrkanal-System
weiterentwickelt, ergeben sich trotzdem recht beliebige Klangstrukturen.
Eher unergiebig blieb also, was den besonderen Reiz des Programms
ausmachen sollte. Ein jung gebliebenes und junges Publikum konsumierte
dies alles mit Begeisterung, kaum war auszumachen, ob der gleichmäßig
eingepegelte Jubel dem „Event“ oder der eigenen Begeisterungsfähigkeit
galt. Gewiss waren die vollen Säle als „Erfolg“
für die wohldosierte Mischung aus Anspruch und Unterhaltung
zu werten. Sie wirkte noch am lebendigsten bei den Populäres
avanciert weiterdenken „Bang on a Can All-Stars“, bei
den ausufernden Improvisationen eines John Zorn, der mikrotonalen
Violin-Virtuosität Jon Rose, der die verschiedenen „Stimmungen“
seines Instruments als „Temperament“ bezeichnet.
Für ein altmodisches Verständnis von „Kunst“
als eigenständige Form der Welt- und Selbsterkenntnis standen
nach wie vor die Vertreter der heute zur „Klassischen Moderne“
erklärten Avantgarde: „Neue Musik auf alten Instrumenten“
macht immer noch Mauricio Kagel mit seiner „Musik für
Renaissanceinstrumente“ von 1965, aus der selben Zeit stammt
das wohl großartigste Werk der ganzen MaerzMusik, das ganz
unbekannte „Laborintus II“ von Luciano Berio. Und man
kommt schon ins Grübeln, wenn eine der gehaltvollsten Veranstaltungen
der „aktuellen Musik“ ein vorösterliches Chorkonzert
ist, der Auftritt des von Peter Schwarz geleiteten ars-nova-ensembles
Berlin mit Günther Beckers ausdrucksstarken „Schwebenden
Welten“ auf Gedichte von Rose Ausländer und dem aus kontrapunktischem
Geist geschaffenen Psalm „Hilf Herr“ für zwölf
Solostimmen von Sabine Wüsthoff.