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nmz-archiv
nmz 2004/05 | Seite 46
53. Jahrgang | Mai
Oper & Konzert
Eine Sekunde ist eine Gefühlsentwicklung
Ein Interview mit dem Komponisten Werner Wolf Glaser
Steinig war sein Lebensweg, dennoch ging er stets unbeirrt nach
vorn: der Komponist Werner Wolf Glaser. Seine Brotkantate wurde
1933 auf dem Berliner Opernplatz verbrannt – zudem jüdischer
Abstammung, musste Glaser aus Deutschland fliehen und fand 1944
in Schweden ein neues Zuhause, wo er bis heute lebt. Zu seinem 90.
Geburtstag war er auf Deutschland Tournee und krönte das Glaser-Festival
im Rahmen der Memminger Meile mit seiner Anwesenheit. Dabei blitzte
jugendlicher Schalk aus seinen lebhaften Augen und dem rheinischen
Zungenschlag. Karin Meesmann sprach für die nmz mit ihm.
nmz: Sie sind 1913 in Köln zu Kaiser Wilhelms Zeiten
geboren. Der Erste Weltkrieg, die Weimarer Republik, der Gleichschritt
des Faschismus: wie verlief unter diesen Umständen ihre musikalische
Entwicklung?
Werner Wolf Glaser
Werner Wolf Glaser: Meine Mutter war Pianistin, Schülerin
von Clara Schumann. Mein Vater war Politiker und wurde 1886 ein
Jahr eingesperrt, weil er sich gegen Bismarck gewehrt hatte. Es
war für mich ganz natürlich, in der Musik zu leben, denn
ich saß unter dem Flügel, während meine Mutter spielte
oder Schüler hatte und ging schon sehr früh ins Konzert.
Mit zwölf Jahren habe ich das erste Mal öffentlich gespielt
und alle redeten vom „Wunderkind“.
nmz: Wodurch reifte die Idee, Komponist zu werden?
Glaser: Ich hörte eine Wagner Oper im Gürzenich,
ich war noch sehr klein. Zu Hause, nahm ich ein großes, gelbes
Blatt, malte Notenlinien und schrieb drauf „Waldweben“.
Vielmehr wurde es nicht! Aber meine Mutter zeigte mir, wie man Noten
schreibt. Von ihr habe ich auch das absolute Gehör geerbt.
Bis ich achtzehn war, habe ich ein paar hundert Kompositionen gemacht.
Lauter Imitationen von Werken, die ich gehört hatte, bis zur
Flucht. Dann habe ich alles unter den Tisch geworfen und op.1 geschrieben.
nmz: Wodurch prägten Philipp Jarnach und Paul Hindemith,
bei dem sie in Berlin Komposition studierten, ihren Stil?
Glaser: Jarnach hat mir die ästhetischen Seiten und
Hindemith die praktischen Seiten des Komponierens gezeigt. Das Ästhetische
ist erstmal die Balance zwischen kurzen und langen Phrasen, zwischen
Stark und Schwach, zwischen Dur und Moll natürlich… Es
liegt immer noch in der Luft: dass eine Dur-Phrase und eine Moll-Phrase
verschiedenen Ausdruck haben. Die praktische Seite ist, dass man
kein Flötenstück auf der Tuba spielt. Ein Stück soll
dem Charakter des Instrumentes entsprechen. Nicht umgekehrt, dass
man die Musik in die Instrumente zwingt, dann klingen sie nie gut.
nmz: Sie promovierten schon mit 21 Jahren in Psychologie
und entwickelten später die sogenannte „Intervalltherapie“.
Wie kam es dazu?
Glaser: In Gefängnissen Berlins haben wir Musik gemacht
und aufgedeckt, dass Musik einen großen Einfluss auf das psychische,
wie auf das intellektuelle Leben hat. Später habe ich meine
spezielle Intervalltherapie herausgeschält und publiziert.
Ich behaupte immer noch, die Intervalle seien die Vitamine in der
Musiktherapie. Die müssten eingebettet werden in die Therapiesuppe.