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Ausgabe 2004/05
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nmz 2004/05 | Seite 44
53. Jahrgang | Mai
Oper & Konzert

Es hat jeder mal einen schlechten Tag…

„Einstein, die Spuren des Lichts“ von Dirk D’Ase in Ulm und Wilfried Hillers „Wolkenstein“ in Nürnberg

Die Oper, so macht es den Eindruck, hat ein neues inhaltliches Betätigungsfeld gefunden: das biografische Musiktheater. Erinnert sei nur an Opern von Philip Glass (etwa Einstein oder Echnaton), an Dieter Schnebels Majakowski- oder Peter Ruzickas Celan-Oper. Jetzt hatte auch Ulm zum 125. Geburtstag einen Auftrag an den Komponisten Dirk D’Ase vergeben, eine Oper über Einstein zu schreiben, während kurz davor sich Wilfried Hiller um Oswald von Wolkenstein bemühte. Opernbühnen verbiegen sich heute häufig unter der schwerfälligen Last inhaltlicher Konstruktionen und die Biographie-Oper wird als neues Terrain erkannt und fast lüstern angegangen.

„Einstein“ von Dirk D’Ase

Eigentlich sollte eine Besprechung einer neuen Oper nicht mit dem Libretto beginnen. Bei „Einstein, die Spuren des Lichts“ aber entkommt man nicht. Der Komponist D’Ase hatte längere Zeit in Südafrika gelebt und dort seinen Librettisten Joachim Stiller kennen gelernt. Schon bei der Tango-Oper „Azrael“ (Uraufführung 1999) hatte Stiller mitgewirkt, offensichtlich kam man gut miteinander aus. Jetzt aber kann man das inhaltliche Konzept und die sprachliche Ausführung nicht anders als katastrophal bezeichnen. Davon ist auch der Komponist nicht freizusprechen, denn viel habe man sich „in nächtelangen Sessions“ ausgetauscht und gegenseitig abgewogen. Schon lange droht die zeitgenössische Oper allgemein in Handlungskonstrukten zu ersticken, es zeichnet sich ab, dass sich lineare Erzählweise und neue musikalische Sprache kaum mehr vertragen weil die zeitlichen Verlaufsbegriffe nicht mehr stimmen. Nun gut, davon mögen auch D’Ase und Stiller schon gehört haben, denn die Handlung wird auf zwei Ebenen aufgebrochen: Durch dazwischengeschnittene, weitgehend musikfreie Szenen des Anflugs der Enola Gay auf Hiroshima und durch übergelagerte, von der Szene getrennte Chorsätze, die in japanischen Haikus das Innenleben Einsteins beleuchten.

v.l.n.r.: Colonel, Albert Einstein und Captain. Foto: Gerhard Kolb

v.l.n.r.: Colonel, Albert Einstein und Captain. Foto: Gerhard Kolb

Dann aber der Haupt-Plot, der von theatralen Schwachsinnigkeiten geradezu strotzt. Der alte Einstein wird in seinem Haus von einem Erpresser (Hollberg), einer jungen Fotografin Sarah und dem Hausmeister Franklin vom „Institute for Advanced Studies“, einem Fan des Boxers Joe Louis, besucht. Der sinistre Erpresser, der Einstein vorhält, die Relativitätstheorie sei vom Mathematiker David Hilbert abgeschrieben, steht für die bösen Mächte, Sarah für das Gute, für jugendliche Unschuld, Franklin schließlich verkörpert das naive Hiersein. Diese drei Einstein-Ergänzer sind abstrus wie mit der Brechstange auf die Bühne gezwungen. Das alles wäre vielleicht tauglich für eine Comic-Schnurre mit krasser Außenzeichnung, es ist aber bitter ernst gemeint. Dirk D’Ase ist ein Freund von Symbolen, auch die Komposition ist - eher unhörbar - durchsetzt von Zahlensymbolik (die Vollkommenheitszahl Sieben für Einstein, es gibt einen neuntönigen Visions- oder Relativitätstheorieakkord oder eine Hollberg-Spirale im 21-tönigen Fibonacci-Gewand). Die Gespräche von denkwürdiger Plattheit, sei es über Joe Louis und seinem Uppercut, über das miserable Wetter oder über wissenschaftliche Befindlichkeiten, nehmen sich in pathetischer Gesangslinie noch drolliger aus. „Woher hätte ich ahnen können, dass E=mc2 so eine gewaltige Explosion auslösen könnte?“, fragt zum Beispiel der barfüßig menschelnde Einstein. Ein signifikanter, schöner Versprecher: „Ich wollte die Menschen vor Verdummung bewahren, jetzt müssen wir sie vor der Vernichtung bewahren“, heißt es im Text, aber Bühnen-Einstein verdrehte Vernichtung und Verdummung, was vielleicht mehr Denkanreiz schuf, als alle vorgesehenen Auslassungen. Sarah fährt die Verzweiflung aber sofort zurück und tröstet: „Es hat jeder mal einen schlechten Tag“. Den hatten wohl alle, die übers Libretto guckten – oder war schlicht das Rot im Stift ausgegangen?

Der Belgier Berio-Schüler Dirk D’Ase, wohl ein Mittvierziger (sein Alter wurde im Programmheft und sonstigen Informationsblättern beharrlich verschwiegen), hat sich in seiner Wahlheimat Wien kompositorisch einen einigermaßen festen Platz erobert. Dennoch ist er in Kreisen der Neuen Musik noch kaum ein Begriff. Man war gespannt und musikalisch bewies D’Ase durchaus Sinn für plastischen Klang, der unter anderem an Berg geschult war. Das waren die stärksten Seiten der Partitur mit flirrendem Licht (dem Untertitel der Oper geschuldet), mit abseitigen Chorsequenzen auf Zitatbasis und mit emphatischen Aufschwüngen. Die Behandlung der solistischen Singstimmen blieb weit dahinter zurück, auch abgesehen davon, dass hier nur Kommunikations-Müll nebst einigen Einstein-Zitaten zu transportieren waren.
Letztlich kam die Musik nicht gegen die hanebüchenen Vorgaben des Stoffs an. Was macht ein pathosbewegtes Untergangs-Menetekel, wenn es in seichter Lächerlichkeit schifft? So wird man die Einstein-Oper in der dicken Akte der schief gegangenen Musiktheater-Ansätze ablegen müssen. Auch die beachtlichen Leistungen von Chor und dem Philharmonischen Orchester Ulm unter dem jungen Thomas Mandl vermochten da kaum etwas zu retten. Regie (Bruno Berger-Gorski mit nur sehr sparsamen Akzenten) und die eifrig bemühten Solisten standen ohnehin auf verlorenem Posten.

Hillers „Wolkenstein“

Der Künstler als Außenseiter, als Missverstandener, als Ausgestoßener: Das hat den Komponisten Wilfried Hiller schon immer interessiert. In verschiedenen Verkleidungen schlüpfen diese weltfernen Gestalten, die Dinge anders tun als üblich, immer wieder in die Arbeiten des Münchner Komponisten, ganz gleich ob er Stoffe aus alter Literatur übernahm oder mit Schriftstellern wie Michael Ende, Rudolf Herfurtner oder jetzt Felix Mitterer zusammenarbeitete. Außenseiter, Lebenskünstler, das konnten sowohl der biblische Hiob oder Maria Stuart in ihren letzten Briefen, Sagen- oder Märchenfiguren (vor allem in Zusammenarbeit mit Michael Ende), und schließlich Dichtergestalten wie Eduard Mörike („Eduard auf dem Seil“, Libretto: Rudolf Herfurtner) und Oswald von Wolkenstein sein.

Die Idee stammte vom Kammersänger Bernd Weikl. Bei einer Tannhäuser-Aufführung vor knapp drei Jahrzehnten sprang ihn der Gedanke an eine Minnesänger-Oper um Oswald förmlich an und ließ ihn nicht mehr los. Nach vielen Irrungen kam schließlich das Autoren/Regie-Team Wilfried Hiller, Felix Mitterer und Percy Adlon (Filmregisseur „Out of Rosenheim“) zusammen. Und Weikl als alter Oswald von Wolkenstein mischte an der Ausgestaltung des Stoffes auch kräftig mit.

Wirklich gibt der letzte der Minnesänger (dafür kam er im Grunde 200 Jahre zu spät) eine Menge her. Der Tiroler Oswald ist eine schillernde Figur. Er zog als junger Mann durch ganz Europa bis nach Asien und Afrika, erlernte an die zehn Sprachen, stritt sich mit dem Bruder sein Leben lang um das Erbe, wurde Günstling von König Sigmund, bejubelte auf dem Konstanzer Konzil 1415 die verbrecherische Ermordung von Jan Hus, liebte Anna, eine angesehene Bürgertochter Brixens, und heiratete (denn Liebe und Ehe gehen nicht zusammen) Margarete von Schwangau, geriet in ernste Erbschaftsstreitigkeiten mit Gefangennahme und Folter und starb im Alter von knapp 70 Jahren 1445 als zumindest einigermaßen angesehener Mann. Dazu dichtete und sang er. Es sind Lieder deftiger Lebenslust und schwermütiger Lebenspein, getrieben von permanenter, zwanghafter Lust am Unterwegs, wie wir es eher von den Romantikern vermuten.

Drängt das zur musiktheatralischen Aufarbeitung? Und wie soll die erfolgen – als Sittengemälde der unsteten Zeit, als Tiroler Lehrstück über die überzeitliche Permanenz menschlicher Intrigen, als Individualdrama eines Missverstandenen? Hier schien sich, so deutete nun die Uraufführung an der Nürnberger Oper an, das Autorenteam nicht ganz einig gewesen zu sein. Die Mörike-Oper „Eduard auf dem Seil“ hatte wohl über Gebühr die private Künstlersituation mit Patina belegt, jetzt zog man an verschiedenen Strängen. Felix Mitterers kritischer Biss, den seine Theaterstücke an den Tag legen, verlor sich in der Aura der Opernumgebung und hinterließ allein im Tiroler Akzent und einigen, freilich umgebogen wirkenden, verbalen Spitzen seine Spuren. Dass Päpste (es gab damals drei) den Badedamen in ihrer Geilheit nach Fleisch und Macht unter die Röcke greifen, hat wohl schon damals Oswald nicht weiter empört. Percy Adlon freilich nutzte solche Vorgaben gerne zur lippenstiftbeschmierten Grellzeichnung (insgesamt orientierte sich die Inszenierung ebenso willig wie auch etwas beliebig an spätgotischen Haltungs- und Bewegungsdarstellungen).

Oswald aber wurde zur moralischen Instanz aufgebaut. Und hierbei entstanden falsche Gewichte. Mehrere seiner Lieder sind in die Partitur Hillers eingebaut, aber es waren weniger die Äußerungen eines spitzzüngig sensiblen Polterers, sondern wirkten wie Ausflüsse eines selbstmitleidigen Weltschmerzes.

Fraglos hat Oswald von Wolkenstein auch solche Töne angeschlagen, aber gewiss nicht in solch romantischer Künstler-Elends-Aufbereitung. Hier hing bei der jetzigen Produktion einiges schief. Allein schon dass Wolkenstein zur Entrückungs-Gestalt (im Rocker-Ledergewand) aufgebaut wurde, die in schicksalbestimmender Begegnung mit einer imaginären Wildfrau die Kunst, den Gesang an Stelle von weltlichem Erfolg wählte, stellte die Weichen in die fragliche Richtung von leicht dechiffrierbarer pathetischer Wucht.

Wilfried Hiller hat gleichwohl eine Musik geschrieben, die vor allem klanglich gegenüber früheren Werken an Differenzierung gewann. Als Schüler von Orff bewunderte er schon in jungen Jahren dessen fanatische Suche nach dem passenden klanglichen Gewand. Diese Tendenz baute er in seiner Wolkenstein-Oper aus. Das Orchester ist schlagwerkdominiert, eigenwillige Klänge wie der der Glasharmonika, aber auch schwerflüssige Linien aus geschlagenen Bässen und tiefem Klavier oder Kombinationen von Zymbal-Klängen mit Harfe und hohen Streichern verliehen der Musik immer wieder plastische Kontur. Hier waren die stärksten Momente: Nicht die musikalische Erfindung, die ohnehin häufig von Oswalds Melodien zehrte, machte die kompositorische Tat aus, sondern ihre schillernde Einfärbung. Und das ging bis zum Big-Band-Sound mit Tiroler Akzent, bis zur jazzartigen Posauneneskapade, bis zur frenetischen Suggestiv-Rhythmik. In solch wuchernden Eskapaden zwischen Karikatur und Sogkraft – vielleicht am intensivsten in der Drei-Päpste-Szene – brach die Partitur ein kühnes, zupackendes Spektrum auf.

Dennoch blieb eine gewisse Zähigkeit, die immer wieder mit Oswalds Leidensmiene Hand in Hand ging. Mit „Eine Lebensballade“ ist die Oper in acht Bildern bezeichnet. Es wurde eine Ballade mit romantischer Verklärungssehnsucht. Und das verlieh dem Stück (trotz eines stimmkräftigen Weikl als Oswald, trotz genauer orchestraler Führung durch Fabrizio Ventura) letztlich eine Wehmutsschwere, die heikel mit Erlösungssehnsucht gepaart war. Wolkenstein selbst hätte wohl mit bissig in Klage gesenktem Ton darauf geantwortet.

Die Ratlosigkeit gegenüber dem Libretto, die immer mehr musiktheatralische Konzeptionen umgibt, dürfte, so die letzten Erfahrungen, auch durch den Schwenk zur Biographie-Oper schwerlich zu mildern sein. Um ein Leben zum Theater zu machen, bedarf es doch häufig allzu großer Verbiegungen. Mehr als die Bühne aushält.

Reinhard Schulz

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