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nmz-archiv
nmz 2004/05 | Seite 10
53. Jahrgang | Mai
Cluster
Muss es sein?
Soeben ist die Dokumentation des Siemens Musikpreises 1999 bis
2003 erschienen. Darüber freut man sich. Der Titel freilich
gibt zu denken. „Der Mut zur Moderne” liest man da und
mancher nickt. Denn dieser Jargon ist uns geläufiger denn je.
Überall vernehmen wir, dass wir das Zeitgenössische pflegen
müssen, dass wir uns einsetzen müssen für den Fortbestand
des Neuen. Als Pflicht eines verantwortungsvollen Geistes wird das
wie ein Rezept verschrieben. Wacker rettet man das Neue, um wie
ein Gärtner den kulturgesellschaftlichen Bestand für die
Zukunft zu erhalten.
Es ist unsere Pflicht, auch wenn man sich dafür sogar vor
der breiten Öffentlichkeit entschuldigen muss. Sind wir wirklich
schon so weit? Es scheint so. Das Neue wird – natürlich
von einer verschwindenden Minderheit und mit der hartnäckigen
Entschlossenheit von Green Peace – verteidigt und beschützt
wie eine aussterbende Art oder ein der Planierung freigegebenes
Biotop. Damit, mit dem Übernehmen des Vokabulars, aber degradiert
man sich zur für die rund laufende Demokratie so wichtigen
Opposition am Rande. Es muss sie geben, damit Kahlschlag ohne schlechtes
Gewissen vorangetrieben werden kann. Ist das Neue nicht Lust an
der Neugier, am anderen Wissen, an frischer Erfahrung? Macht es
keinen Spaß mehr? Oder anders gefragt: muss man das Selbstverständliche
verteidigen müssen, gar mit Mut? Vielleicht liegt ein Teil
gegenwärtiger Enge daran, dass wir die Bastionen offensiven
Vorandenkens wie in einem auf die Dauer aussichtslosen Rückzugsgefecht
über die Zeit zu retten vorgeben. Früher, als die Raster
gegenwärtiger Werte erkämpft wurden, galt jeder, der nichts
Neues brachte als überflüssiger Langweiler. Daran sollte
sich im Grunde nichts geändert haben. Warum also nicht „Die
Lust an der Moderne”?