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nmz-archiv
nmz 2004/05 | Seite 16
53. Jahrgang | Mai
Hochschule
Musikpädagogik: Chancen für Veränderungen nutzen
Tagung zu Bachelor-/Master-Studiengängen in der Musiklehrerausbildung
an der Universität Potsdam
Internationale Vergleichbarkeit und Angleichung – verstärkter
Berufsbezug – Orientierung am Markt und Flexibilisierung des
Studiums – eine Verkürzung der Studienzeiten und zugleich
eine Erhöhung der Anzahl der Studierenden: In den politischen
Rahmenvorgaben erscheint die Bachelor-/Masterstudiengangs-Reform
fast als die berühmt-berüchtigte eierlegende Wollmilchsau.
Wie jedoch sieht die Umsetzung dieser neuen Rahmenvorgaben aus?
Können sie halten, was ihnen zunächst von ministerialer
Seite zugesprochen wurde?
Diese Fragen und die speziellen Bedingungen der BA-/MA-Stu- diengänge
für die Musiklehrerausbildung sowie die damit einhergehende
Modularisierung und die in diesem Kontext unweigerlich zu Tage tretenden
Probleme standen im Zentrum einer Fachtagung am Institut für
Musik und Musikpädagogik der Universität Potsdam im Februar
2004.
Führende Vertreter der Musikpädagogik von 27 Wissenschaftlichen
Hochschulen fanden sich zusammen, um sich über diese hochaktuellen
bildungspolitischen Reformen auszutauschen und diese auf bundesweiter
Ebene zu diskutieren. Referate wurden von Prof. Dr. H. J. Kaiser
(Hamburg), Prof. Dr. Niels Knolle (Magdeburg), Prof. Dr. Bernhard
Hofmann (Regensburg) und Prof. Dr. Birgit Jank (Potsdam) abgehalten.
Jürgen Rode ( Prorektor der Universität Potsdam) wie
auch Lothar Romain (Vorsitzender der Rektorenkonferenz der Kunsthochschulen
und Präsident der Universität der Künste Berlin)
und Birgit Jank betonten bereits in ihren Grußworten, wie
dringend notwendig ein Austausch der Wissenschaftlichen Hochschulen
über diese Reformen auf Bundesebene sei. Birgit Jank hob darüber
hinaus hervor, dass besonders vor dem Hintergrund der Bologna-Beschlüsse
der EU jedweder Partikularismus der Länder in der Musiklehrerausbildung
endgültig fehl am Platze sei; vielmehr müsse möglichst
rasch ein gesamteuropäischer Hochschulstandard verwirklicht
werden, der den Wissenstransfer und den internationalen Austausch
in der Musikpädagogik effektiver, vergleichbarer und transparenter
gestalten werde. Die Eckpfeiler dieser Ausbildungsstandards bilden
die Bachelor- und Master-Studiengänge. Vorreiter sind die Universitäten
Bielefeld und Braunschweig, an denen diese Modelle bereits seit
dem Wintersemester 2002/2003 realisiert werden.
Wissenschaftliche Ausbildung
Hermann J. Kaiser begrüßte in seinem vorrangig bildungshistorisch
geprägten Vortrag grundsätzlich die Chance, die eine Neugestaltung
von Studiengängen an deutschen Hochschulen und Universitäten
gerade auch im Hinblick auf institutionelle Kooperationen und kompensatorische
Aktivitäten eröffnet. Besonders plädierte er dafür,
dass sich die Musikpädagogik an den Universitäten in der
Musiklehrerausbildung nicht länger an den auf die wesentlich
künstlerisch-praktische Berufspraxis abzielenden Ausbildungsmodellen
der Musikhochschulen orientieren dürften. Es gehe vielmehr
darum, der Vielfalt musikunterrichtlicher Notwendigkeiten der allgemeinbildenden
Schule gerecht zu werden. Dazu sei es unumgänglich, dass die
Universitäten eine Musiklehrerausbildung anbieten, die von
der Wissenschaftsstruktur der Universitäten geplant und von
ihren spezifischen Ressourcen her realisiert werden kann.
Niels Knolle und auch Bernhard Hofmann setzten sich in ihren Referaten
direkt mit den Chancen wie auch den Problemen der unmittelbaren
Umsetzung der Reformen an den Wissenschaftlichen Hochschulen auseinander.
Gleich zu Beginn seines Referats warf Knolle die im Zusammenhang
mit der Bachelor-/Master-Diskussion oft diskutierte Frage auf, inwieweit
mit dieser Konzeption nicht nur das Alte im Neuen gespiegelt werde
oder – anders formuliert – hierdurch einfach nur alter
Wein in neuen Schläuchen verkauft werde. Besonders der Kern
der Studiengangreformen, die Modularisierung und das Leistungspunktesystem
könne im Hinblick auf das hier erforderliche hohe Planungs-
und Aufwandsniveau auf die Universitäten abschreckend wirken,
zumal das Credit-Point System besonders bei der Verrechnung von
instrumentalen Übezeiten schnell Disproportionen im gesamten
System nach sich ziehen könne. Der Verwaltungsaufwand durch
die Kreditierungen und die studienbegleitenden Prüfungen sei
dramatisch gestiegen, betonte Knolle.
Allein an der vergleichsweise kleinen Universität Greifswald
seien sieben Angestellte für die Dokumentationen in einem zentralen
Prüfungsamt nötig. Da darüber hinaus die Module in
regelmäßigen Abständen immer wieder angeboten werden
müssen, befürchtet Knolle, dass hierdurch eine gewisse
Gefahr der Fixierung von Studieninhalten bestehe. Dies bedeute,
dass mit einer konsequenten Modularisierung eine Einschränkung
der Lehrfreiheit einhergehe, da bestimmte Module und Lehrveranstaltungen
obligatorisch in jedem Semester abgehalten werden müssten.
Allgemein bestehe die Gefahr, dass vielerorts möglicherweise
lediglich die Etiketten geändert, die Inhalte und die Gesamtkonzeption
jedoch unverändert blieben. Darüber hinaus sei bereits
in dieser frühen Phase der Reformen aufgrund der föderalistischen
Struktur der Bildungspolitik ein nicht zu unterschätzender
Trend zu partikularen, spezifischen Lösungen für die Bundesländer
zu bemerken, der eine Kooperation und vor allem eine gegenseitige
Anerkennung von Studienleistungen zwischen den Bundesländern
erschweren könne. Hierbei bilden vor allem die von vielen Bundesländern
unterschiedlich gehandhabte Frage, ob die Lehrbefähigung bereits
nach dem Bachelor- oder erst nach dem Master-Abschluss erworben
werden kann sowie die damit einhergehenden – bisher noch –
ungelösten Besoldungsfragen weitere wichtige noch zu lösende
Probleme.
Integratives Konzept
Bernhard Hofmann setzte sich in seinem Referat mit der Zukunft
der Ausbildung von Gymnasiallehrern an der Universität auseinander
und knüpfte damit an den bereits von H.J. Kaiser aufgeworfenen
kardinalen Balanceakt der Musiklehrerausbildung an, der in der Bildungspraxis
zwischen Kunst und Wissenschaft bewältigt werden muss. Hofmannn
betonte nachdrücklich, dass die Universität keine künstlerische
Profilbildung betreiben solle. Ein integratives Konzept wie sein
vorgestelltes Regensburger Modell, in dessen Kern die Musikpädagogik,
das heißt die musikpädagogische Praxis, als zentrale
Bezugsdiziplin stehen solle, sei gegenüber dem bereits von
Leo Kestenberg propagierten additiven Ausbildungskonzept, das eine
Synthese von Erzieher zu Künstler und Wissenschaftler in der
Person des Musiklehrers vorschlug zu favorisieren.
Die regen Diskussionen im Anschluss an die Referate kreisten im
Wesentlichen um drei große Problemkomplexe: Einmal wurden
die unterschiedlichen Ausbildungsgänge von Musiklehrern an
Universitäten und Musikhochschulen immer wieder thematisiert
und zueinander in Beziehung gesetzt. Es wurde darauf hingewiesen,
dass an den Musikhochschulen das Schulmusikstudium seit vielen Jahren
als so genanntes Parkstudium für ein späteres Solofach
missbraucht wird, da bekanntlich die Anforderungen in den vokalen
und instrumentalen Aufnahmeprüfungen in der Schulmusik an den
Musikhochschulen in der Regel niedriger ausfallen als in den rein
künstlerischen Fachausbildungen.
Darüber hinaus wurde in diesem Zusammenhang auch besonders
die Diskrepanz zwischen der Zahl der abgeschlossenen Schulmusikstudien
und der Zahl der anschließend in diesem Beruf Tätigen
angesprochen.
Der dritte große Themenkomplex der Diskussionen bewegte sich
um die Frage der Dichotomie von Wissenschaft und Kunst beziehungsweise
um das Verhältnis von wissenschaftlichen und künstlerischen
Anteilen in der Modularisierung der Musiklehrerstudiengänge.
Hierbei gelangte man rasch zu dem bereits oft in der Vergangenheit
geäußerten Statement, dass die künstlerische Praxis
zu teuer, die Wissenschaft hingegen zu praxisfern sei.
Vielfach quasi über Nacht wurden viele Universitäten
von den ministerialen Beschlüssen hinsichtlich der Modularisierungen
überrascht, die dann häufig innerhalb kürzester Zeit
umzusetzen waren. Diesen politischen Beschlüssen standen und
stehen viele Bildungsanstalten immer noch hilflos und überfordert
gegenüber, da hiermit über Jahrzehnte gewachsene Studienordnungen
über den Haufen geworfen und durch die neuen Modelle ersetzt
werden sollen. Es war daher an der Zeit, dass sich die relevanten
Ausbildungsinstitutionen endlich auf bundesweiter Ebene austauschen
und über ein weiteres gemeinsames Vorgehen in Bezug auf die
Studiengangsreformen beraten und abstimmen konnten.
Auf Initiative des Vorbereitungsteams der Tagung wurde sogar eine
ständige Konferenz Musikpädagogik an Wissenschaftlichen
Hochschulen Deutschlands konstituiert, um bei diesem Umbruchsprozess
gegenseitige Hilfestellungen zu geben und den Austausch auf Bundesebene
über längere Sicht zu ermöglichen. Diese Konferenz
soll als politisches Sprachrohr und Diskussionsforum fungieren sowie
als länderübergreifendes Netzwerk gegenseitige Kooperationen
befördern und im Hinblick auf die Bologna-Verträge in
Zukunft eine möglichst große Einheitlichkeit bei den
Studiengangskonstruktionen in der Musiklehrerausbildung sichern.
Eine nächste Verständigung zu Mustermodulen in der Musiklehrerausbildung
ist für November 2004 an der Universität Bielefeld geplant.
Hierbei sollen zudem grundlegende erziehungswissenschaftliche Erfahrungen
und Erwartungen an einen sinnvoll strukturierten Ausbildungsgang
für Musiklehrer einfließen.