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nmz-archiv
nmz 2004/05 | Seite 13
53. Jahrgang | Mai
Kulturpolitik
Balsam auf die Seelen
Der Bundespräsident zeigt sich „bewegt“
Spätestens seit dem Festakt zum GEMA-Jubiläum im vergangenen
Jahr, als Johannes Rau der ehrwürdigen Institution anstelle
blumiger Würdigungen den kulturellen Auftrag mit aller Deutlichkeit
ins Stammbuch schrieb, wusste man: diesem Bundespräsidenten
liegt die musikalische Bildung am Herzen. Als er dann auch noch
im September zum Kindermusiktag in seinen Amtssitz lud, entstand
die Idee, das Staatsoberhaupt für einen Besuch der Frankfurter
Musikmesse zu gewinnen. Und er kam. Nicht, um als fotogene Dekoration
kommerziellen Messeständen Publicity zu garantieren, sondern
um der Sache willen: dem Bildungs-, nicht dem Wirtschaftsfaktor
Musik galt sein Besuch.
Lasst alle Verbandsvertreter
zu mir kommen: Johannes Rau beim Messebesuch auf dem Gemeinschaftsstand
der Musikverbände. Foto. Juan Martin Koch
Die Messe hatte also Sorge dafür zu tragen, ihr Engagement
auf diesem Feld glaubhaft zu machen. Im Rahmen des Aktionstages
zur musikalischen Bildung unter dem Motto „Musik bewegt“
wurde der Deutsche Musikrat mit der Aufgabe betraut, eine entsprechende,
von der eigentlichen Messe klar abgegrenzte 90-minütige Veranstaltung
zu organisieren. Ziel war es, die Inhalte und Potenziale musikalischer
Bildungsarbeit in kurzen Präsentationen prägnant darzustellen.
Infotainment nennt man so etwas heute, und in musikalischer Hinsicht
war das durchaus gelungen, sei es die Bühnenpräsenz der
Hamburger „Coolen Streicher“, das Selbstbewusstsein
der Dortmunder Musikschul-Rapper vom Projekt „Kontra“
oder die Innenspannung des Jeunesses Moderne Projektorchesters.
Die eher nichtssagenden kleinen Interviews vor den Beiträgen
indes gaben den verantwortlichen Chorverbänden des ersten Programmblocks
Recht (Arbeitskreis Musik in der Jugend, Arbeitsgemeinschaft Deutscher
Chorverbände), die gegenüber den Organisatoren darauf
bestanden hatten, die altersspezifischen Besonderheiten der Chorarbeit
– in einer sinnfällig aufeinander aufbauenden Abfolge
von Gesangsbeiträgen vor Ohren geführt – mit einer
eigenen Moderation zu kommentieren.
Ohne dieses, auch musikalisch auf höchstem Niveau stehende
Element wäre die Veranstaltung wohl endgültig der Gefahr
erlegen, als konzertant üppig umrahmte Preisverleihung missverstanden
zu werden. Die vom Musikrat und der Stiftung 100 Jahre Yamaha erstmals
„für herausragende musikpädagogische Innovationen“
verliehene Auszeichnung „Inventio 2004“ passte wenigstens
noch inhaltlich zur ursprünglichen Zielrichtung, auch wenn
die späte und nur Insidern bekannte Ausschreibung Fragen nach
der Vergabepraxis aufgeworfen hatte. (Zu den Preisträgern zählten
unter anderem das Jugendmagazin des Bayerischen Rundfunks „19.4“,
das Klingende Museum Berlin oder der Gesangs- und Instrumentalwettbewerb
der Jeunesses Musicales „Verfemte Musik“.) Der –
fraglos wichtige – Musikinstrumentenpreis indes machte diesen
Programmpunkt endgültig zum Fremdkörper.
Was Folgen für die Außenwirkung hatte, denn die wurde
in den Printmedien von eben diesen Auszeichnungen dominiert, was
die Preisträger, die Yamaha Stiftung und den Verband der Musikinstrumentenhersteller,
nicht aber diejenigen gefreut haben dürfte, die sich von dem
Aktionstag ein medienwirksames Signal zu musikpädagogischen
Inhalten erhofft hatten. Die durften sich dafür an des Bundespräsidenten
Grußwort erwärmen, Balsam auf die Seele aller Musiklobbyisten.
In freier Rede lieferte er jede Menge Zitat-Nachschub für deren
künftige Ansprachen und Diskussionsbeiträge: „Wir
müssen darauf achten, dass der ganze Mensch gebildet wird.
(...) Kunst und Kultur sind nicht die Sahne auf dem Kuchen, sondern
die Hefe im Teig. Wenn diese Hefe fehlt, fällt der Kuchen zusammen,
auf Dauer jedenfalls.“ Den Hit der vergangenen Jahre griff
Johannes Rau gleich selbst noch einmal auf: „Unser Bundesinnenminister
(…) hat gesagt: ,Wer Musikschulen schließt, der gefährdet
die innere Sicherheit‘. (…) Wenn der Satz stimmt, dann
muss man auch Auslandskulturarbeit weitermachen und darf die nicht
kürzen. Wenn der Satz stimmt, dann muss endlich Kulturarbeit
wie Sozialarbeit zu den Pflichtaufgaben der Gemeinden gerechnet
werden und nicht zu den freiwilligen.“ Auch für die Motivationslage
der Musikmesse fand er klare Worte: „Was würde denn aus
der Musikmesse in Frankfurt, wenn es keine Menschen gäbe, die
musizieren, wenn es nur noch Konsumenten gäbe? Was würde
denn eine Stadt eigentlich mehr sein, als ein in Beton umgesetzter
Flächennutzungsplan? Was wäre, wenn es kein Theater gäbe,
keine Oper, keine Bühne, kein Konzert, keine Bibliothek?“
Sprach’s und eilte in die Halle 3.1 zum Gemeinschaftsstand
der Musikverbände, wo sich an einer riesigen Tafel die Spitzenvertreter
um ihn scharten, ihre Anliegen in ein paar Sätzen loszuwerden.
Wie überhaupt dieser Stand nicht nur an diesem Tag, als er
im Zuge des Bildungsschwerpunkts (akustisch problematischer) Veranstaltungsort
einiger Workshops und Präsentationen war, seinen Zweck als
zentrale Anlaufstelle für Informationen zum Musikleben in Deutschland
attraktiver als in vergangenen Jahren erfüllte.
Auch die erste Podiumsdiskussion auf der Themenbühne war
dem Komplex der musikalischen Bildung gewidmet und zwar unter dem
provokativen Titel „Hauptfach Musik?“. Moderator Andreas
Bomba lenkte das Augenmerk angesichts der prominenten hessischen
Runde ein wenig von schulinternen Gegebenheiten weg und sorgte so
für ein anregendes länderspezifisches Panorama der Vernetzungschancen.
Das von Dorothee Graefe-Hessler (Arbeitskreis für Schulmusik)
vorgestellte „Bündnis für Musikunterricht in Hessen“
könnte dafür ein Ausgangspunkt sein, das Ensemble Modern,
hier vertreten durch Geschäftsführer Elmar Weingarten,
ist in diversen Response-Projekten bereits mit im Boot. Volker Bernius
vom Hessischen Rundfunk sicherte – nicht überraschend
– wohlwollende Begleitung der diversen Aktionen und Projekte
zu, und auch dem Vertreter der Politik, dem Landtagsabgeordneten
Norbert Herr, wurde, wie so oft bei solchen Gelegenheiten, die offene
Tür eingerannt. Gut, wenn diesen wohlfeilen Bekenntnissen auch
Taten folgen. Frischen Wind und jede Menge neue Anregungen darf
man sich, nicht nur was die Situation in Hessen angeht, vom designierten
Präsidenten der Frankfurter Musikhochschule, Thomas Rietschel
(vormals Jeunesses Musicales und Deutscher Musikrat), erhoffen,
der mit klaren Worten zum Ausbildungsprofil zukünftiger Absolventen
die Richtung vorgab.
Verbesserte Haftbedingungen
in der Übezelle: Auch heuer lud die Frankfurter Musikmesse
wieder zur Sonderschau „Music4Kids“. Foto: J.
M. Koch
Vielleicht kann auch die Musikmesse ihrerseits wieder von solchen
Bündnissen und Initiativen profitieren; ein Blick in die deprimierenden
Räumlichkeiten des heuer erneut angebotenen „Music4Kids“-Programms
ließ jedenfalls den Schluss zu, dass hier ein wenig pädagogischer
Sachverstand nach wie vor nicht fehl am Platze wäre. Denn wiederum
waren unerschrockene Eltern, die sich mit ihrem Nachwuchs in den
Messerummel gewagt hatten, außerhalb der drei täglichen
Vorführungen komplett allein gelassen. Die einfallsreichen
Musikskulpturen Michael Bradtkes ausgenommen wurden die Kinder einfach
der Ödnis elektronischer Klangerzeuger ausgeliefert oder durften
sich an den durch herumliegende Instrumente verbesserten Haftbedingungen
in heimeligen Übezellen ergötzen.
Da scheint also eine nicht unerhebliche Lücke zu klaffen
zwischen dem Aufwand, der für eine für sich genommen ja
durchaus erfreuliche Hochglanzveranstaltung vor geladenen Gästen
betrieben wird, und dem Angebot für die Kinder selbst, jener
angeblich so ernst zu nehmenden Zielgruppe von morgen, die doch
zuallererst einmal eine heutige ist. Wenn – und dies wäre
auf die Lobbyarbeit für kulturelle Bildung insgesamt zu übertragen
– solche Events endlich einmal dazu beitragen, diese Lücke
in der Substanz nicht nur zu übertünchen, sondern auf
Dauer zu schließen, ist an ihrer Existenzberechtigung nicht
zu zweifeln und wir würden uns freuen, das neue Staatsoberhaupt
im kommenden Jahr mit einer ähnlich persönlichen und echtes
Engagement ausstrahlenden Rede auf der Musikmesse zu hören.
Wo nicht, gilt Johannes Raus Mahnung: „So geht es nicht weiter“.