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nmz-archiv
nmz 2004/05 | Seite 14
53. Jahrgang | Mai
Kulturpolitik
Spagat zwischen lokaler Tradition und Neuem
Kritikerpreis Musik geht dieses Jahr an die Musikakademie Rheinsberg
Der Verband der deutschen Kritiker e.V. verleiht den Kritikerpreis
Musik des Jahres 2004 der Musikakademie Rheinsberg. Die Fortbildungs-
und Begegnungsstätte arbeitet seit 1991 am Grienerick-See in
der kleinen brandenburgischen Stadt Rheinsberg, die im allgemeinen
mit Fontane, Tucholsky und Voltaire in Verbindung gebracht wird.
Eine musikgeschichtliche Bedeutung hat Rheinsberg allemal: entstand
doch hier im 18. Jahrhundert die Idee, eine Lindenoper in Berlin
zu gründen, die Rheinsberger Hofkapelle sollte den Grundstock
dafür bilden. Preußenkönig Friedrich der II. verbrachte
dort sorglose Jahre, sein Bruder Prinz Heinrich ließ im Jahr
1774 das Schlosstheater am Klavierhaus errichten. Eine Spielstätte
für aufregende musikdramatische Aufführungen und ungewohnt
„neue“ Musik sollte das Theater werden.
An diesem Ort eine Musikakademie ins Leben zu rufen, könnte
man fast als zwingend bezeichnen. In den dreizehn Jahren ihres Bestehens
hat sie ihre musikalischen Bildungsangebote für Profis und
Laien, ihre Forschungs- und Veranstaltungstätigkeit kontinuierlich
ausgebaut. Und hier ist den Betreibern ein wahrer Spagat gelungen.
Einerseits der lokalen Tradition verpflichtet, erschließen
die Mitarbeiter musikalische Schätze, geben Notenmaterial heraus
und bringen längst und zu Unrecht vergessene Werke aus der
Zeit der einstigen Residenz der Preußenprinzen zur Aufführung.
Werke der Rheinsberger Hofmusik, von Schaffrath und Graun wurden
in Rheinsberg neu entdeckt, aufgearbeitet und aufgeführt. „Festtage
der Alten Musik“ mit der alljährlich neu firmierten „Rheinsberger
Hofkapelle“ stehen regelmäßig zu Ostern auf dem
Plan.
Andererseits hat auch die neue Musik ihren festen Platz im Programm
der Akademie, die „Pfingstwerkstatt für Neue Musik“
ist dafür prädestiniert. Werke wie „L’ homme
machine- Der Maschinenmensch“ von Georg Katzer oder Paul Heinz
Dittrichs „Zerbrochener Krug“ kamen hier zur Uraufführung.
Allein im Jahr 2003 – der Kritikerpreis bezieht sich auf die
Leistungen des jeweils vergangenen Jahres – stand neben der
Aufführung von Glucks Oper „Paris und Helena“ Franz
Schrekers Ballett „Der Geburtstag der Infantin“.
Gelenkt werden alle Aktivitäten von der Geschäftsführerin
und Künstlerischen Leiterin Ulrike Liedtke. Sie und ihr Team
mussten oft unter schwierigen Bedingungen arbeiten. War es Anfang
der neunziger Jahre noch die mangelhafte bauliche Substanz der Akademie,
ist heute mehr und mehr gegen finanzielle Einbußen zu kämpfen.
Allein im vergangenen Jahr wurden die in Aussicht gestellten Zuwendungen
des Landes Brandenburg um ein viertel gekürzt. Das führte
von der Streichung einer geplanten Herbstproduktion bis zum freiwilligen
Lohnverzicht der Mitarbeiter. Dem künstlerischen Engagement
tat dies keinen Abbruch. Ostern 2004 konnte Glucks „Alkeste“
Premiere feiern und die Pfingstwerkstatt wird Jörn Arneckes
„Drei Helden“, eine Farce für Musik, als Uraufführung
vorstellen. Im Juni steht eine Werkstatt auf dem Plan, die das Lebenswerk
des 95-jährigen Kurt Schwaen würdigen will. Und, ganz
nebenbei (?), steht das Haus allein im ersten Halbjahr 130 Meisterkursen
und Arbeitsphasen zur Verfügung.
Am 23. Mai wird der Kritikerpreis im Berliner GRIPS Theater der
Musikakademie Rheinsberg überreicht. Dahinter stehen engagierte
Menschen, die „mit den Ohren denken“.