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nmz-archiv
nmz 2004/05 | Seite 1
53. Jahrgang | Mai
Leitartikel
Tief-Druck
Logo: Jammern ist out. Modisch nennen wir den Blick aufs Kultur-Umfeldbarometer
jetzt Zwischenbilanz. Was wurde – sieht man vom Standard-Repertoire
einmal ab – im April angezeigt? Bei e-bay steht ein achtjähriges
Mädchen als „Funktionspuppe“ auf der Versteigerungsliste.
Eine Zigarettenfirma fordert auf flotten Plakaten: „Mehr Handlung
für Pornos“. Die Rechtschreib-Reform wird nach wie vor
von Verona Feldbusch aktualisiert und – immer noch hip: „Geiz
ist geil“. Eine schlüssige Erklärung für den
Geburtenrückgang hierzulande.
Was hat das mit Kultur zu tun – werden jetzt einige weltfremde
Winkelpuristen murren. Jede Menge. Wir Musen-Fröner haben uns
längst eingereiht in die Riege der Marketing-Fetischisten,
der Reiz-Plakat-Konstrukteure, der Zahlen-Zähler. Wer als Künstler
keine Kulturmanagement-Ausbildung hinter sich hat, gilt praktisch
schon als Sozialfall. Kultur-Dezernenten in spe studieren bevorzugt
Betriebswirtschaftlehre mit Zusatzfach Tourismus. Der Theaterintendant
muss Controller sein. Und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk
schleimt eine Generation von quotengesteuerten Karriere-Opportunisten
in die Direktoren-Sessel, deren kulturelles Sendungsbewusstsein
sich direkt aus den Sondermüll-Deponien der Industrie zu speisen
scheint.
Wenn der deutsche Aktienindex nervös schwankt, ist stündlich
ein sensibler Kommentar vonnöten, am liebsten mit Adjektiven
aus romantisch-lyrischem Milieu. Selbige sollten aus alter Gewohnheit
auch Feuilletonisten verwenden, wenn sie als Dienstleister Events
anzupreisen haben, deren grundlegender Zuschnitt schon in Caligulas
Arenen hohe Akzeptanz fand. Bloß keine Kritik, kein langweiliges
Hinterfragen. Das Schöne lauert überall.
Exakt: Wir sind auf dem Weg in die Barbarei. Leider durchaus selbstverschuldet.
Wie haben wir uns darüber gefreut, ideologische Verhornungen
vergangener Jahrzehnte losgeworden zu sein. Der Blick so frei, der
Horizont so fern. Was waren wir stolz auf unsere modernen Multitasking-Fähigkeiten,
auf unser vernetztes Denken, auf unsere wertfreie Liberalität.
Da fügt man sich doch gern in den Werkzeugkasten quantitativer
Steuerung. „Bildung und Kultur rechnen sich, finanzieren sich
letztlich selbst“ – haben wir kühn behauptet –
und geirrt. Die scheints starren Formeln hinter den Kalkulations-Sheets
unserer zeitgenössischen Steuermänner reagieren nämlich
eindimensional sehr flexibel und radikal, wenn die Kasse mal nicht
stimmt Als Navigationsinstrumente einer Kultur mit menschlichen
Zügen sind sie völlig ungeeignet. Die flackernde Hektik
unseres gesellschaftsdominierenden Kapitalmarktes lässt keine
Zwischentöne zu. Nicht konservieren, amputieren. Wer oder was
nicht gleich mitkommt, geht drauf. Freilich gnädig narkotisiert
durch schlau kalkulierte Dauerreiz-Salven einer Kulturindustrie,
die sich rasches Invention-Engineering schon aus Selbsterhaltungsgründen
zum einzigen Programm gemacht hat. Während Johannes Rau in
vielen Predigten emphatisch die „Bildung des ganzen Menschen“
einforderte, wurden Schulen geschlossen, Lehrpläne konsequent
von kulturellen Inhalten „entlastet“. The show must
go on…